#Roman
#Prosa

Digitalis Purpurea

Andrea Wolfmayr

// Rezension von Christine Rigler

Digitalis Purpurea ist ein typisches „Frauenbuch“. Es erzählt, zum Teil in Rückblenden, die Geschichte einer bürgerlichen Familie aus der Sicht zweier Frauen. Beide sind in klassischen Aufgabenbereichen tätig (Hausfrau und Mutter), repräsentieren aber die unterschiedlichen Lebenshaltungen zweier Generationen. Die alte verwitwete Arztgattin fügt sich ihrer gesellschaftlichen Rolle und streift dafür den Frust, der sich ein Leben lang angesammelt hat, an der Jüngeren ab; die Jüngere, das ist ihre Schwiegertochter Melanie, die eigentliche Hauptfigur des Romans, die sich um das große Haus und den Garten kümmert, fünf Kinder großgezogen hat und heroisch die intrigante Schwiegermutter im unteren Stockwerk betreut.

Das Szenario umfaßt alle möglichen Fehltritte, an deren Kaschierung sich vor allem die Ehemänner interessiert zeigen: NS-Verbrechen, Seitensprünge, Heroinsucht, Prostitution, Scheidung, Nervenkrisen. Melanie weigert sich schließlich, der bürgerlichen Scheinheiligkeit weiterhin zu dienen, eine entfremdete Ehe nur pro forma aufrecht zu erhalten, und findet zu einer neuen und unabhängigen Identität.

Digitalis Purpurea ist in einer realen österreichischen Stadt (Graz) und an realen Plätzen in dieser Stadt angesiedelt. Andrea Wolfmayr legt ihren Roman also einerseits realistisch an und verzichtet andererseits auf jegliche Form der Analyse. Die personale Erzählperspektive verschafft Einblick in die konträren Gedanken- und Gefühlswelten der Frauen, die, in beiden Fällen ähnlich, um einen nicht näher begründeten Opferstatus zentriert sind. Eigenverantwortung ist weitgehend ausgeschlossen, vorherrschend sind egomanische Selbstmitleidsposen, die in diesen Schilderungen hausfraulicher Überbelastung kaum relativiert werden.

Andrea Wolfmayr schreibt in einer stilisierten Umgangsprache, die gesprochen nicht wirklich vorstellbar ist. Handlung und Charaktere sind aus Klischees zusammengesetzt, die wiederum in sprachlichen und inhaltlichen Stereotypen reflektiert werden; banale Ansichten und Gedanken werden als individuelle Empfindungen vorexerziert und mitunter seitenlang ausgewalzt, ohne die Figuren zu konturieren – auch wenn diesen eine gewisse Lebendigkeit nicht abzusprechen ist.

Digitalis Purpurea ist ein Beispiel für die triviale Umsetzung weiblicher Selbstbefreiungsideologien in der Literatur. Dabei geht es unter anderem darum, patriarchal kontrollierte sprachlich-gedankliche Begrenzungen aufzuheben und das eigene „kreative“ Potential freizusetzen. Der assoziative Plauderstil in Wolfmayrs Roman mag dem Bewußtsein der dargestellten Figuren bzw. der Erzähltechnik entsprechen; ob es aber notwendig ist, etwa den Synonymreichtum der Sprache so ausgiebig auszuschöpfen, bleibt fraglich. Der Mangel an narrativer Ökonomie und Konstruktion bei gleichzeitiger Detailfülle führt jedenfalls zu einer Kultivierung von Abschweifungen und Nebensträngen, deren Relevanz für den Gesamtansatz nicht immer nachvollziehbar ist.

Ein gewisses Maß an weiblicher Selbstironie muß man dem Roman immerhin zugestehen. Das Buch erfüllt nämlich gleichzeitig einen praktischen Zweck: als Kochbuch. Für jedes Gericht, das im Text vorkommt, findet sich in einer Fußnote ein Rezept mit Quellenangabe, die verwendeten Kochbücher sind im Anhang als Literaturverzeichnis aufgelistet.

Digitalis Purpurea.
Roman.
Graz, Wien, Köln: Styria, 1998.
200 Seiten, gebunden.
ISBN 3-222-12629-1.

Rezension vom 16.04.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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