Von solcherlei Auskünften soll man sich freilich nicht beirren lassen, sondern aufmerksam den beiden dialogisch angelegten Selbstbefragungen Gehör schenken. Der Schriftsteller belohnt den Neugierigen dafür mit originell-subversiven Syllogismen, die etwa nachweisen, weshalb es gefährlich sein kann, wenn Schriftsteller Macht haben. Als inkompetente Pragmatiker und gerissene Opportunisten mit einem Hang zu extremen Ideologien wären sie nämlich imstande, großen gesellschaftlichen Schaden anzurichten, ließe man sie nur gewähren.
Interessant ist es auch zu erfahren, wie viel handwerkliches Geschick der Einsatz scheinbar belanglosen Zierats im erzählerischen Kontext erfordert. So spricht Kehlmann von den Mühen, Gestik als Ausdruck von Charaktereigenschaften sprachlich zu gestalten. Er hält dies für „eine sehr schwierige Übung“, an der schon Größen wie Vladimir Nabokov gescheitert seien. Der Schriftsteller muss, wenn seine Prosa überzeugen soll, eine Szene richtig sehen und die Wirklichkeit dabei an Konsequenz übertreffen. Mit andern Worten: „Nur die Wirklichkeit kann es sich leisten, sehr unwahrscheinlich zu sein.“
Der vom Autor eingeforderten Präzision im Detail steht sein Faible für die fantastische Literatur gegenüber, die den Realismus, Liebkind des europäischen Romans, magisch überhöht. Kehlmanns Poetik fordert mithin zum mimetischen Bruch heraus und distanziert sich zugleich von syntaktischen Experimenten, die, man darf es ruhig sagen, die Lesbarkeit beeinträchtigen. Erstaunlicherweise habe die Kritik diesen fantastischen Zug in seinem Werk nicht zur Kenntnis genommen, weil Berufsleser dem Klappentext offenbar mehr Gewicht beimäßen als dem Buch.
Werden im ersten Teil allgemeine poetologische Themen abgehandelt, so widmet sich der zweite Kehlmanns jüngstem Roman. Der Autor fragt sich, womit sich in der Vermessung der Welt die Differenz zwischen den historischen Personen und den literarischen Figuren rechtfertigen lasse. Er meint damit die Protagonisten Humboldt und Gauß. Diese hätten zwar mehr als bloß den Namen mit ihren Vorbildern gemein, dennoch erwiesen sie sich als Geschöpfe des Schriftstellers, der um der Story willen ausschmücken und erfinden müsse.
Auf diesem dialektischen Verhältnis zur Realität beruht jegliche Kunst, und Kehlmann zitiert das Goethe’sche Diktum von „jenen sehr ernsten Scherzen“ (hat sich schon jemand die Mühe gemacht, den Wortlaut zu verifizieren?), um sein ästhetisches Credo von seinem literarischen Übervater absegnen zu lassen.
Kein Zweifel, Kehlmann weiß Bescheid. Er hat viel gelesen, reflektiert und auch gelebt, weil gute Literatur ohne „ein Element existentieller Wahrheit“ nicht auskommt, was so viel heißt wie: Wer schreibt, sollte etwas zu sagen haben. Für Kehlmann gilt dies allemal.