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Diese Komödie ist eine Tragödie

Christine Rigler

// Rezension von Stefan Winterstein

Das Etikett „Volksschriftsteller“ ist zugleich symbolische Auszeichnung wie literarische Profilbeschreibung. In ihm verbinden sich nach herkömmlichem Verständnis – wiewohl der Begriff vage ist – ein gewisser aufklärerischer Anspruch („Volksaufklärung“), die Geltung als Klassiker und eine breite Popularität. In der österreichischen Gegenwartsliteratur wird der Titel des Volksschriftstellers wohl zuallererst mit einem Namen verbunden: Peter Turrini. Das ist nicht ohne Ironie, weil sich dieser selbst immer als Unzugehörigen, als Außenseiter erlebt hat. Und doch ist es, gemessen an obigen Kriterien, gerechtfertigt – mindestens so sehr wie Turrinis Selbstetikettierung als „Heimatdichter“ (die sich vor allem auf die Suche nach einer Heimat bezieht).

Peter Turrini steht seit beinahe einem halben Jahrhundert ohne große Pausen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sein Ruhm setzte mit der Uraufführung seines Debütstücks „Rozznjogd“ Anfang 1971 am Wiener Volkstheater nicht allmählich, sondern augenblicklich ein. Das Stück des 26-Jährigen wendete sich in deftiger Dialektsprache und schockhaften Bildern gegen den Konsumismus, die soziale Entwertung des Individuums und allerlei gesellschaftliche Zwänge – ein kritischer Impetus, dem der Schriftsteller seit damals treu geblieben ist. Das Stück, bis heute in zehn Sprachen übersetzt und in über hundert Produktionen auf die Bühne gebracht, provozierte einen Skandal, der in Turrinis Karriere nicht der letzte bleiben sollte, obwohl der Autor, wie die Biographin Christine Rigler betont, den Skandal nie um seiner selbst willen gesucht, ja manchmal nicht wenig unter ihm gelitten hat.

Rigler hat es dankenswerterweise unternommen, anlässlich des 75. Geburtstags des Schriftstellers einen Streifzug durch dessen Leben und Werk zu erarbeiten, ein Unterfangen, das erstmals einen handlichen und dabei halbwegs gründlichen Werküberblick und zugleich auch bislang unverfügbare biographische Einblicke gestattet. Der Leiterin des in Krems beheimateten „Archivs der Zeitgenossen“ stand dafür nicht nur der seit einigen Jahren dort untergebrachte Dichtervorlass als reiche Quelle der Werk-, Lebens- und Rezeptionsgeschichte zur Verfügung: Auch den Biographierten selbst hatte sie als Auskunftsgeber zur Seite.

Auf die „Rozznjogd“ folgte bald das „Sauschlachten“ (uraufgeführt 1972 in den Münchner Kammerspielen), das ebenso wie das Erstlingswerk längst zu den Theaterklassikern der österreichischen Nachkriegsliteratur zählt. Die Tragödie rund um einen sich jeder menschlichen Sprache verweigernden Bauernsohn erzählt „die Geschichte eines Menschen, der nicht in seine Umgebung paßt“, so notiert Turrini fünf Jahre später, und: „Ich identifiziere mich mit der Hauptperson dieses Stückes. Mein Vater war ein Italiener, ich bin in einem Kärntner Dorf aufgewachsen. Ich habe mich von dieser bäuerlichen Umgebung immer ausgestoßen gefühlt, obwohl ich so gerne dazugehören wollte.“ (S. 81) Rigler gelingt es im Verlauf ihres Buches, die sozial schwierige Position der Familie Turrini plastisch zu machen, aber auch die Rolle der Kindheitserfahrungen für Turrinis literarisches Schreiben und seine politischen Standpunkte zu beglaubigen.

Mitte der siebziger Jahre wandte sich dieser vom Theater ab und dem Fernsehen zu, weil es ihm nach eigener Einschätzung nicht gelungen war, mit seinen Theatertexten neue, von „Prestigezwang“ und „Abonnementmüdigkeit“ unverdorbene Publikumskreise anzusprechen (S. 98). Mit „Der tollste Tag“ (1972) und „Die Wirtin“ (1973) hatte er seine ersten Klassikerbearbeitungen (nach Beaumarchais bzw. Goldoni) und mit dem Einpersonenstück „Kindsmord“ (1973) ein Psychodrama geschaffen, das den realen Fall einer Kindstötung zum Ausgangspunkt nahm. Turrini hatte sich in kürzester Zeit als gefeierter Theaterschriftsteller etabliert. Seine Vorstellung von gesellschaftlicher Wirksamkeit aber war uneingelöst.

Vielleicht erfüllte sie sich in seiner Phase als Drehbuchschreiber, der immerhin ein Millionenpublikum erreichte: Die sechsteilige, gemeinsam mit Wilhelm Pevny verfasste Fernsehfilmreihe „Alpensaga“ (1974–1979) schrieb nicht nur die Geschichte des österreichischen Bauernstandes neu, sie schrieb, als äußerst erfolgreiches und arbeitsaufwendiges Kollektivunternehmen, in dem die Autoren weitestgehend freie Hand behielten, auch Fernsehgeschichte. Dies nicht nur wegen des auch in diesem Fall unumgänglichen Skandals, der – von Bauernbund, ÖVP- und Kirchenvertretern inszeniert – einsetzte, bevor das Werk überhaupt produziert war, sondern auch weil künstlerischer Anspruch und der Anspruch auf politische Aufklärung hier ideal zur Deckung kommen.

Als zehn Jahre später die vierteilige Serie „Arbeitersaga“ ausgestrahlt wurde, hatte Turrini mit dem verwandelten, durch ein neuartiges Programmüberangebot und ausufernde Geschwindigkeit gekennzeichneten Medium Fernsehen schon wieder abgeschlossen. Bereits 1981 notiert er ins Tagebuch: „Reumütig stehe ich vor der verlassenen Geliebten Theater und bitte um Gnade“ (S. 125).

Ob Turrinis Wirksamkeitsanspruch sich als Theaterautor je einlösen hat lassen und wie realistisch dieses literarische Begehren überhaupt ist, sei dahingestellt: Dem Autor bleibt anzurechnen, dass er nie aufgehört hat, diesen Anspruch zu stellen. Die öffentliche Figur Peter Turrini zeichnet aus, dass er als Autor wie als Redner nie die Konfrontation, jedoch auch nie die Suche nach dem Verbindenden gescheut hat. Seine Gesellschaftskritik pflegt er nicht aus der zynisch eingefärbten Position des sich moralisch überlegen Fühlenden, sondern, sei es literarisch oder außerliterarisch, mit dem Feuer des auf Verständigung abzielenden, sich für die Schwachen starkmachenden Menschenfreundes zu formulieren.

Je näher Geschichte an der Gegenwart liegt, desto schwieriger ist sie bekanntlich zu schreiben. Rigler schafft es dennoch, auch für die mittlere und späte Schaffensphase gültige Darstellungslinien zu finden. Nachdem Turrini ans Theater zurückgefunden und weitere Erfolgsstücke geliefert hatte (insbesondere „Josef und Maria“, 1980; „Die Bürger“, 1982), mit dem aus einer persönlichen Krise erwachsenen Band „Ein paar Schritte zurück“ erstmals aber auch als Lyriker hervorgetreten war, erwies sich für den Theaterdichter Turrini zunächst vor allem die Zusammenarbeit mit Claus Peymann als fruchtbar. Die Peymann-Ära am Wiener Burgtheater war ja durch öffentliche Debatten, Skandale und eine Repolitisierung des Theaters, aber auch durch einen besonderen Stellenwert der Gegenwartsdramatik gekennzeichnet; so wie andere Autorinnen und Autoren war Turrini zugleich zentraler Beiträger wie Profiteur dieser Konstellation.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Schriftsteller und dem Theaterdirektor und Regisseur wird von Rigler von der ersten Kontaktnahme im Jahre 1986 bis zum Abschied des Deutschen aus Wien 1999, ja eigentlich noch darüber hinaus, nachgezeichnet. Geheimer Höhepunkt der Beziehung war ein Brief Turrinis an den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky, in dem sich der Schreiber leidenschaftlich für den umstrittenen und umkämpften Theatermann einsetzte: „Peymann hat dieses Burgtheater, welches immer ein Irrenhaus gewesen ist und immer eines sein wird, zu einem besonderen künstlerischen Ort gemacht, um den uns Europa beneidet.“ (S. 162)

Nach der Burg war es das Theater in der Josefstadt unter Herbert Föttinger, das dem Schriftsteller eine neue künstlerische Heimat bot. Auch die Hintergründe der Opernarbeiten des dieser Kunstform anfangs unverblümt abgeneigten Turrini werden im Buch ausgelotet („Der Riese vom Steinfeld“, 2002; „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“, programmiert für 2020). Und ebenso kommt der für Turrini typische kollaborative Ansatz nicht zu kurz: Sei es die frühe Zusammenarbeit mit Willard Manus, die spätere Arbeitsbeziehung mit Pevny oder die jüngeren Co-Autorschaften von Silke Hassler.

Einen Lebenden zu biographieren stellt stets einen Drahtseilakt dar, zumal wenn der Biographierte der Biographierenden dabei über die Schulter schaut. Mancher inhaltliche weiße Fleck mag daraus zu erklären sein, wie umgekehrt zum Beispiel die etwas zu detailliert geratene Familiengeschichte, die bis zur Ernennung von Turrinis „Lieblingscousine“ reicht (S. 37). Für die Biographie eines Volksschriftstellers, dem Allgemeinverständlichkeit immer ein wichtiger Maßstab gewesen ist, scheint es außerdem konsequent, selbst basale zeitgeschichtliche Kontextinformationen mitzuliefern. Manche, die unzweifelhaft zum Allgemeinwissen gehören, hätten sich zur Vermeidung von Intellektbeleidigungen dennoch besser in einem Nebensatz unterbringen lassen.

Solche Detailmängel schmälern aber keineswegs die unstrittigen Qualitäten dieses übrigens reich bebilderten und auch mit einem Werkverzeichnis ausgestatteten, angenehm zu lesenden Bändchens.

Christine Rigler Diese Komödie ist eine Tragödie
Werk und Leben des Schriftstellers Peter Turrini. Biographie.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2019.
240 S.; geb.
ISBN 978-3-7099-3473-9.

Rezension vom 04.11.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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