#Roman

Die Zumutung

Sabine Gruber

// Rezension von Iris Denneler

Leben als Sein zum Tode. Wie läßt sich das beschreiben, wie erzählen angesichts der täglichen Bedrohung, die Vergangenheit überdimensioniert, die Zukunft vernichtet und Chronologie fragwürdig macht? „Es hat begonnen ohne Anfang, mitten im Leben. Dafür gibt es kein Wort, Zustände vielleicht, die jeder kennt. Zustände, die man nicht erträgt, oder Müdigkeiten, die man für etwas anderes hält, als sie sind“.

„Damals“ – als ‚damals‘ noch ein harmloses Wort war -, damals ging er neben ihr her, der Tod, lehrte sie das Wissen um die Zeit, die Ahnung davon, was Lebensverlängerung und was ‚Sterbeverlängerung‘ heißt. Seit ‚damals‘ hat sie sich aufgespalten in zwei: die eine, die täglich aufblüht („ich drehe mich ins Licht und knospe. Ich gieße mich, bis das Wasser aus den Mundwinkeln abfließt, weil es keinen Platz mehr findet, weil ich überlaufe“), und die andere, die – wer weiß wie oft – die eigene Grablegung imaginierte („Als sie mich hinaustrugen, hing im Himmel Schnee. Die Zuckerhutfichten waren eisverklebt und standen starr wie weihnachtliche Zierbäume“). Noch geht der Tanz von Leben und Tod weiter, der irgendwann begonnen hat in der Umarmung von Eros und Thanatos – ein Rondo, strukturiert von den immer wiederkehrenden Vanitasbildern und Vanitasphantasien, das kontrapunktisch von einem unablässigen Liebesreigen begleitet wird, welcher ebenso schicksalhaft die Erzählerin in seinen Bann zieht: Da ist Leo, der Ehemalige, Unvergessene, Starke („Leo hat einen Überschuß an Kräften, gibt mir aber nichts davon ab. Auf sonntäglichen Wanderungen setze ich mich an den Wegesrand und streike, bis Leo den Rucksack öffnet, um mich mit Proviant zu versorgen“); da ist Paul, die unenttäuschbare Fernbeziehung in Rom, diese „Zuverlässigkeit im Hintergrund“; da ist Holztaler, den sie ebenso haßt und braucht wie diesen großen Anderen, den Tod, und der immer dann zur Stelle ist, wenn das „Als sie mich hinaustrugen“ angestimmt wird. Und plötzlich taucht da Beppe auf, eine neue Liebe, intellektuell, anregend, kompliziert, einer aus dem Reich der B-Tage (B wie Blutwerte, Befund, Besprechung). Am Ende des Reigens schließlich Michael, der Fotograph, der sie für die Ewigkeit bannt und für eine Nacht liebt.

Doch nichts kommt der Leidenschaft gleich, mit der die Erzählerin den Tod umwirbt. Hat sie es nicht immer schon gewußt, daß der treueste, der todsicherste Kompagnon Freund Hein ist? Daß er längst in sie eingedrungen ist, zu ihrem Leben gehört? Er ist es, der alles Sinnliche in ihr provoziert, mobilisiert, herauspreßt, er ist es aber auch, der alle Aktivitäten so fragwürdig, gleichgültig, irrelevant macht. Eine Frau Mitte Dreißig sieht das Stundenglas der Zeit verrinnen, entdeckt hinter ihren Männern den beinernen Doppelgänger. „Es ist nie mehr Aufbruch in den Tag. Es ist Aufbruch in die Stunde. Ich gebe mich längst mit den kleinsten Einheiten zufrieden. Und doch habe ich nur eine Ahnung, was mit mir ist“. Weniger rational als durch den Körper erfährt sie ihre Bedrohung, wenn sie nach Wasserfluten (und Liebe) verlangt, Totentänze kunstgeschichtlich begutachtet, ihre Träume analysiert. Dem Unbegreiflichen von Angesicht zu Angesicht gegenüber, doch bei wachstem Verstand, arbeitet die Ich-Erzählerin unablässig daran, das Absurde zu erfassen, Indizien zu sammeln, die Grenzen von Ich und Nicht-Ich auszuloten. Ohne Larmoyanz, manchmal humorvoll, meist melancholisch beschreibt sie ihr Da-Sein und immer wieder, in schönen Bildern, ihr Nicht-Sein. „Es ist mein Erdbeben, und ich bin das Erdbeben für die anderen“. Zurückgeworfen auf sich selbst, empfindet sie sich als Zumutung und weiß doch, daß auch ihr zuviel zugemutet wird: Launen des Schicksals, Todesängste, Anderssein.“

In Sabine Grubers Roman gibt die allesübertönende Stimmung dieses vom Tod gezeichneten Lebens die Patina; gleichzeitig macht die souveräne erzählerische Distanz die Bilder zu Allegorien. Aus einer Story wird eine Geschichte, wird Kunst. Und so künstlich und unwirklich-schwebend die Konstruktion, so faszinierend der langsam-tragende Gang dieser Geschichte. Die 1963 in Meran geborene, mit zahlreichen Preisen und Stipendien für ihre Prosa, Hörspiele, Theaterstücke bedachte Autorin erzählt immer dann am überzeugendsten, wenn es um labile Zustände geht, um Zwischengefühle, Zwiespältigkeiten, Unausgesprochenes. Ein Grund vielleicht, weshalb der erste Teil dieses Buches faszinierender ist als der Schluß. In ihm finden sich wunderbare Beobachtungen wie diese: „Es ist diese Schwüle, die in der Stadt hängenbleibt, hineingedrückt in die Straßen und Plätze, die kein Luftzug auseinandertreibt, in der man den nackten Oberarm hebt, um sich scheinbar das Haar aus der Stirn zu streichen, in Wirklichkeit aber nur, um den Geruch unter der Achsel zu prüfen“; dort wird noch spielerisch mit Zeit, mit Vor- und Rückblenden umgegangen. Erst später zeigt sich der Tod unmaskiert, als ganz konkrete Bedrohung, dann nämlich, als die Lebens- und Sterbensgeschichte ganz von der Wirklichkeit eingeholt und es klar wird, daß die Protagonistin ein Protokoll ihrer Krankengeschichte verfaßt. Diagnose: Nierenleiden, chronische Glomerulonephritis.

Spätestens hier bleibt dem Leser kein Raum mehr, den Tod (nur) als schöne Metapher zu begreifen. Doch wollen wir wirklich Krankengeschichten hören, Frauengespräche über ungewollte Schwangerschaften, launigen Psycho- und Liebestalk über erfüllte und nicht-erfüllte Ansprüche? Gefahr droht nicht nur Leib und Leben, sondern auch der erzählerischen ‚un-reliability‘, der distanzierenden Kälte. Das Veristische – es wäre das Banale. Dennoch ist dieses Buch eines, das überzeugt, dessen verlangsamte, musikalische Sprache sich als Ton festsetzt und andauert; unzerstörbarer als die fragile Leichtigkeit des Seins, unzerstörbarer auch als dieses eine, von der konkreten Bedrohung überschattete Leben. Eine schöne nature morte, ein Totentanz, ein Buch der Abschiede.

Sabine Gruber Die Zumutung
Roman.
München: C.H. Beck, 2003.
224 S.; geb.
ISBN 3-406-50264-4.

Rezension vom 28.02.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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