#Roman

Die wundersame Päpstin / Struldbrugs

Ernst Brauner

// Rezension von Elena Messner

Ernst Brauner verbindet in seinen zwei Romanen Die wundersame Päpstin und Struldbrugs die Romanhandlung mit gesellschaftspolitischen, philosophischen und religiösen Reflexionen, die von aktueller Brisanz sind.

Geht es in Struldbrugs um das Altern, konkreter: die Überalterung und das Problem des Umgangs mit einer als „unproduktiv“ wahrgenommenen Gesellschaftsschicht, so reflektiert der Autor in Die wundersame Päpstin die Frage nach Geschlecht, bzw. Wahrnehmung von Männlichkeit und Weiblichkeit in gesellschaftspolitischen Kontexten, konkreter: um die Frage nach dem „Geschlecht“ Gottes und seiner Stellvertreter auf Erden.

Zunächst zu Struldbrugs. Diese „Chronik aus den ersten Jahrzehnten des dritten Jahrtausends“ bietet Gedanken über das Altwerden und das Altsein, die in vier Teilen einen utopischen Roman voller schrecklicher Zukunftsvisionen bilden. Als intertextueller Bezug wird allen vier Kapiteln ein Auszug aus Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ vorangestellt, und zwar aus jenem Teil des Textes, in dem Gulliver auf Luggnagg die so genannten Struldbrugs, unsterbliche Wesen, kennenlernt, die ja auch den Titel des Braunerschen Romans beisteuern. Gullivers anfängliche Begeisterung für dieses glückliche Volk, das kraft seines Alters, seines Wissens und seiner Weisheit den Mitmenschen und sich selbst ewiges Glück und Reichtum einbringen soll, wird aber enttäuscht: Denn diese Struldbrugs sind zwar unsterblich, aber sie altern – und hier ist der große Haken und das Motiv des Braunerschen Romans zu finden – wie alle Menschen. Das ewige, aber von körperlichem und geistigem Verfall begleitete Leben stellt sich als die wahre Hölle heraus.

Und schon sind wir mitten in den Überlegungen ökonomischer, rechtlicher, emotionaler Natur, die in aktuelle Fragen nach Pensionen oder medizinischer Versorgung von alten Menschen münden, oder der Frage, wie Menschen im Alter intellektuellen und emotionalen Anschluss an die „Mehrheitsbevölkerung“ finden können. Anders gesagt versucht Brauner zu thematiseren, was „Alte“ noch „beitragen“ können, wenn ihre Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird oder sie nicht mehr „einsatzfähig“ sind, aber durch den Fortschritt der Medizin noch lange leben werden.
Das Utopisch-Groteske des Romans sei nur kurz angedeutet: eine weltverschwörerische Bande (ur-)alter Männer, die unsterblich sind, planen in Israel (im biblischen Ort Harmagedon) die Übernahme der Weltherrschaft. Diese Weltverschwörung scheitert, die junge Gesellschaft rächt sich (da technisch versierter) und sperrt ihre Alten in Ghettos oder KZ-ähnliche Krankenhäuser (konkret: das Wagner-Jauregg-Spital in Linz) wobei der Autor in diesen Kapiteln auch die Mühlviertler Hasenjagd, diesmal nach verarmten und kränklichen Alten, neu inszeniert.

Ähnlich fantastisch-utopische Geschehnisse, die mit philosophischen, rechtlichen, religiösen und gesellschaftspolitischen Fragen verknüpft werden, finden sich wie gesagt in der „Päpstin“: hier ist es eine Frau, die in einer nicht sehr realitätsnahen katholischen Kirche bis an die Spitze der Kirchenhierarchie vordringt und also Päpstin wird, es „von der Wellblechbaracke in Gänserndorf“ in den vatikanischen „Palast“ schafft. Allerdings ist diese „Sie“ eigentlich ein Mann. Im Nachkriegsösterreich, das an Frauenmangel leidet, verwandelt sich nämlich der Protagonist Julian Schütz in eine „Juliane“. So umgeht er/sie den „Numerus clausus“ an der theologischen Fakultät. Der Roman fokussiert auf die Frage von konstruierter Männlichkeit und Weiblichkeit, wobei immer auch, wie in Struldbrugs, die Frage von Macht im Mittelpunkt steht, von struktureller Gewalt, die das Leben der Menschen in so vielfacher Hinsicht lenkt und bestimmt. Die „Mächtigen“ der Erde sind die im Untertitel genannten „Schelme“, und schelmisch sind sie eigentlich so gar nicht. Auch diesen Roman beschließt Brauner mit einem furiosen Schlussakt, wie er auch in Struldbrugs alles auf einen schrecklichen Höhepunkt in einer brutalen und unmenschlich gewordenen Welt hin lenkt. Die „Päpstin“ findet naturgemäß in Rom und dem Vatikan ihr groteskes Finale, das keineswegs verraten werden sollte.

In vielerlei Hinsicht ist die „Päpstin“ als Fortsetzung, als erweiterter Arm von „Struldbrugs“ lesbar, die Romane sind auch nur im Abstand eines Jahres (2008 und 2009) publiziert. Nicht nur sprachlich-stilistisch erinnern sie stark aneinander, da gibt es gar wiederauftauchende Figuren(namen), vor allem aber Parallelen auf der inhaltlich-thematischen Ebene. Neben dem bereits genannten ist es vor allem die Sexualität, die in beiden Romane jeweils auf Alter und Geschlecht hin befragt wird. Außerdem sind die Romane durchzogen von essayistischen Passagen, die in grotesker Manier biblische Themen wälzen und sie auf die aktuelle Gegenwart, die allerdings sehr stark deformiert inszeniert wird, beziehen. Eine Art Dauerkriegszustand bzw. ständige Präsenz von Gewalt, struktureller wie physischer sind typische Elemente, die Vorbereitung bzw. Bereitschaft zu Krieg prägen beide Romane und werden durch die Bezüge zu den Schrecknissen des Zweiten Weltkrieges gerahmt.

Leider wird die Lektüre, nicht zuletzt weil die beiden Romane große Ähnlichkeiten aufweisen, etwas langatmig. Die distanzierende Ironie des Erzählers wird mit (bewusst) hochtrabend philosophischen Ergüssen parallelgeschaltet, und so sehr dies anfangs unterhaltend, originell und pointiert ist, so sehr beginnt es nach längerer Zeit anzustrengen und es entsteht der Eindruck, der Autor wolle mit immer schrecklicheren, groteskeren, fantastischeren Handlungssträngen den Leser/die Leserin davon ablenken, dass er das philosophische wie formale Pulver schon in der ersten Hälfte verschossen hat. Diese Ablenkung gelingt allerdings über weite Strecken tatsächlich, da die absurd-utopischen Geschehnisse sehr originell zu Ende gebracht werden.

Ernst Brauner Die wundersame Päpstin
Ein Schelmenroman.
Klagenfurt: Wieser, 2009.
240 S.; geb.
ISBN 978-3-85129-809-3.

Ernst Brauner Struldbrugs
Roman.
Klagenfurt: Wieser, 2008.
250 S.; geb.
ISBN 978-3-85129-702-7.

Rezension vom 25.05.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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