#Essay

Die Windhose vom
13.Oktober 1870

Erwin Uhrmann

// Rezension von Erkan Osmanovic

Im Auge des Tornados

Türen springen auf, Fensterglas bricht und Ziegel fallen von den Dächern. Ein großes Feuer, nein, der Teufel wütet in der Stadt – der Abt des Augustinerklosters weiß es besser: „Am 13. des vorigen Monates hatten wir in Brünn Gelegenheit, die sehr seltene Erscheinung einer Windhose oder Trombe zu beobachten und uns zugleich von den Verwüstungen zu überzeugen, welche dieses äußerst bösartige Meteor anzurichten imstande ist.“ Der Abt ist Gregor Mendel.

Im Sommer 2019 zeigt das Thermometer der „Wetterstation Innere Stadt“ über 30 Hitzetage. Es ist die Rede vom Jahrhundertsommer, von Hitzewellen, Klimakatastrophen und den planetaren Grenzen der Erde. Die Fridays-For-Future-Demonstrationen ziehen in vielen Städten durch die Straßen und verlangen ein sofortiges Umdenken der Politik. KlimaforscherInnen warnen: Überflutungen, Wirbelstürme und Kriege seien die Konsequenzen unseres rücksichtslosen Wirtschaftens.

In diesem Hitzesommer besucht der österreichische Autor Erwin Uhrmann das Brünner Mendel-Museum. In einem Schaukasten springt ihm ein Ausschnitt von Mendels Essay Die Windhose vom 13. Oktober 1870 in die Augen.

Studienabbrecher wider Willen

Uhrmann ist fasziniert, er recherchiert, taucht immer tiefer in Mendels Leben und seine meteorologischen Beobachtungen ein. 2020 gibt er den Text im Limbus Verlag heraus und ergänzt ihn um seinen Essay Die Ironie elementarer Ereignisse. Uhrmanns Text nimmt mehr als die Hälfte des Bandes ein und ist eigentlich der geheime Star des Buches: Neben der Entstehungsgeschichte des Windhosen-Berichts leuchtet er darin alle Facetten von Gregor Mendel aus und verbindet sie mit Stimmen der Wetter- und Klimaforschung.

Mendel studiert das Wetter und unseren Einfluss auf die Umwelt. Er züchtet Bienen und erforscht mithilfe von Erbsen die Grundlagen der Vererbung. All das macht er vor dem Hintergrund der Industrialisierung und ihrer Innovationen, die Brünn in kurzer Zeit zum „mitteleuropäischen Manchester“ machen.

Brünn ist rastlos, genau wie Mendel. Während Uhrmanns Worte uns in Mendels Denken und Tun mitnehmen, lassen uns Johanna Uhrmanns Illustrationen eintauchen in diese Welt voller Fabrikschlote und Messinstrumente.

Egal ob Erbsen, Bienen oder das Wetter – Gregor Mendel wollte wirklich verstehen, nicht nur sehen. Uhrmann zeigt die Brüche und Kontinuitäten in Mendels Biografie. Etwa die Beziehung Mendels und der akademischen Welt. Sein erstes Studium in Olmütz bricht er ab. Es fehlt das Geld. Einige Jahre später studiert er erneut. Diesmal an der Universität Wien. Er will Gymnasiallehrer werden, doch er scheitert: seine Lehramtsprüfung für Naturkunde und Physik wird negativ benotet. Mendel beginnt stattdessen mit naturwissenschaftlichen Studien. Er wird erneut vom Schicksal abgestraft – die Studienabschlussprüfung im Jahr 1856 ist negativ.

Wissenschaft als Lebenspraxis

Doch Mendel gibt nicht auf, forscht trotz dieser Rückschläge weiter und wird zu einem der bedeutendsten Forscher des 19. Jahrhunderts. Während der Bericht über die Brünner Windhose Mendels Faszination für die Mechanismen der Natur aufzeigt, skizziert Uhrmanns Essay ihn als Beobachter, Forscher – und Visionär: „Mendel schreckte nicht vor der Komplexität der Wirklichkeit zurück. Sein Credo war die Wissenschaft.“

Die Windhose vom 13.Oktober 1870.
Vortrag.
Mit einem Essay von Erwin Uhrmann.
Mit Illustrationen von Johanna Uhrmann.
Innsbruck, Wien: Limbus Verlag, 2021.
112 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-99039-187-7.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 13.04.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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