#Roman

Die Werkstatt

Walter Kappacher

// Rezension von Ulrike Matzer

Eine gut gefertigtes Gesellenstück

Nachdem im vergangenen Jahr bei Müry Salzmann ein sorgsam gemachter Band zu Leben und Werk von Walter Kappacher erschienen ist, wurde von Deuticke heuer ein weiteres seiner Erstlingswerke in überarbeiteter Fassung neu aufgelegt.

Wobei der Verlag sich löblicherweise schon vor der Verleihung des Büchner-Preises an Kappacher 2009 um eine Re-Edition seiner frühen Romane bemühte: 1992 nahm man „Morgen“ (1974) ins Programm, 2007 folgte „Der lange Brief“ (1982), 2010 dann ein Neudruck der Erzählung „Rosina“ (1978). Somit ist das Œuvre des mittlerweile 75-Jährigen in annähernder Vollständigkeit auch einem größeren Lesepublikum zugänglich. Während in seinen einhellig begeistert besprochenen letzten Romanen männliche Protagonisten jenseits der Lebensmitte aus einer existenziellen Krise ihr Dasein reflektieren, konfrontieren uns die um nichts weniger biografisch grundierten früheren Bücher allesamt mit „Varianten des Dichters als jungem Mann“, wie Peter Handke es einmal nannte.

Die hier erzählte Geschichte von Werner Seeger weist in der Tat deutliche Parallelen zur Vita des Schriftstellers Walter Kappacher auf, der seine Lehrzeit als Motorradmechaniker in einer Salzburger Werkstatt absolvierte und auch an Rennen teilgenommen hat. „Seeger machte alle möglichen Pläne für sein Gesellenstück, verwarf sie wieder, weil sie entweder nicht durchführbar oder zu einfach waren“, heißt es an einer Stelle im Buch, das seinerseits als literarisches Gesellenstück Kappachers angesehen werden kann: 1966, mit 28 Jahren, hatte er eine erste Fassung des Romans zu Papier gebracht und wieder vernichtet; die 1974 niedergeschriebene zweite Version wurde im Jahr darauf veröffentlicht – was ihn nicht davon abhielt, 1980 weiter daran zu schmirgeln, wie die Jahreszahlen am Ende des vorliegenden Textes nahelegen. Nicht nur in dieser Geduld erfordernden Präzisionsarbeit sind die auf den ersten Blick so konträren Tätigkeiten des KfZ-Mechanikers und des Autors einander durchaus ähnlich. In der Beharrlichkeit und Konzentration, mit der hier ans schriftstellerische Werk gegangen wird, mag man eine entschiedene Form von Kunstwollen sehen, die sich der Lektüre von Kafkas „Prozess“ und Walter Benjamins „Erzähler“-Essay verdankt: Dort sind ein Angestellter, Seefahrer und Handwerker diejenigen, die etwas zu berichten haben. Über sie hat Kappacher den Mut gefasst, aus ähnlichen Erfahrungen heraus das Schreiben zu probieren.

So folgen wir über einige Wochen dem 32-jährigen Motorradmechaniker Werner Seeger, der sich nach einem Unfall bei einem Stock-Car-Rennen in den USA für einen Erholungsurlaub in seiner Heimat Salzburg eingefunden hat. Die durch die Verletzung nötige Hospitalisierung hatte ihn bereits zum Einhalten gezwungen; die Rückkehr nun an den Ort seiner jugendlichen Sozialisation, die Lehrwerkstatt, die er vor dreizehn Jahren verlassen hatte, löst unweigerlich ein Sinnieren über den bisherigen Lauf seines Lebens aus. Auch Schemen eines verdrängten Traumas zeichnen sich ab, das Gefühl, am Tod seines bei einem Motorradrennen verunglückten Lehrlingskollegen David die Mitschuld zu tragen. Obwohl man offiziell von einem Fahrerfehler sprach, quälen Seeger Selbstvorwürfe: Lag es nicht doch an Mängeln der Mechanik? Davids Verwegenheit hatte es dem US-amerikanischen Rennstallbesitzer Bigwood während dessen Aufenthalt im Salzburgischen angetan. Ihn hätte er für seine Profi-Werkstätte in Florida, nahe der legendären Hochgeschwindigkeitsstrecke in Daytona, vorgesehen gehabt. Statt ihm war letztlich Seeger dem Ruf gefolgt, nach Abschluss seiner Lehrzeit Ende der fünfziger Jahre.

Dem Besuch in der Sunklerschen Werkstatt sieht Seeger mit gemischten Gefühlen entgegen: Ob der ehemalige Chef noch lebt? Was aus den Kollegen von einst geworden ist? Zum einen scheint die Zeit in der nach Gummi, Motorenöl und Männerschweiß riechenden Garage stehengeblieben zu sein. Andererseits sind die Folgen des strukturellen Wandels nicht zu übersehen: schmieriger Schmutz an den Fenstern, Dreck am Boden und ein Durcheinander dort, wo ehedem penible Ordnung herrschte. Die verbliebenen Mitarbeiter kommen dem nicht mehr nach; das Verhältnis zwischen der einst florierenden Zweiradwerkstatt und der ihr angeschlossenen Automechaniker-Abteilung hatte sich längst umgekehrt. Und auch die Gegend rundum war nicht mehr dieselbe, statt der Schrebergärten dominierten jetzt Betonbauten und Tankstellen die Ausfallsroute zur Westautobahn.

Walter Kappacher wäre nicht er, würde er all dies nicht lediglich wie beiläufig erwähnen. Pars pro toto, anhand unscheinbarer Details liefert er Indizien, die auf die sozioökonomische Entwicklung in der Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderzeit verweisen. Überhaupt wird vieles erzählerisch nur angetupft oder gestreift, erst nach und nach erhellen sich uns die Zusammenhänge. In Rückblenden wie in momentan driftenden Gedanken umkreist Seeger das Milieu der Werkstatt, seine eigene Rolle darin. Dies in einer leicht naiv wirkenden, feststellenden Weise, wie sie der Wahrnehmung und dem Wortschatz eines schüchternen Burschen entspricht – aber auch dem von allem Zuviel geklärten Kappacherschen Stil. Dadurch ergibt sich ein ganz eigenes, verhaltenes Zeitmaß des Erzählens. Was umso paradoxer wirkt, ist doch durchwegs von der Männerwelt der Mechaniker die Rede, ihrem derben „Spruch“ ebenso wie jenem der Motoren. Doch im Verstehen der Funktionsweisen der Technik erschließt sich dem Lehrling ein Stück Welt, in beinahe Stifterscher Manier; seinem pubertären Fanatismus, seinem Ehrgeiz und Hunger nach Anerkennung verdankt sich seine Entwicklung: „Er wollte Motoren zerlegen und sich das Zusammenspiel der Einzelteile einprägen.“ Mit der Beherrschung bestimmter Handgriffe und der Fähigkeit zur Fehlerbehebung erlangt er mehr und mehr Sicherheit, ja Souveränität.

Fast immer finden sich in Kappachers Büchern Elemente eines Entwicklungs- oder Bildungsromans, und nicht selten ist den Figuren eine Reise oder ein Handicap Movens dafür, ihr bisheriges Leben zu rekapitulieren. Seine ehemaligen Kollegen wundern sich bereits, warum Seeger Tag um Tag sein Vorhaben, Skilaufen zu gehen, verschiebt. Aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los, immer wieder findet er sich in der Werkstatt ein, um die verbliebenen paar Mitarbeiter in Gespräche zu verwickeln. Nicht wenige Mechaniker und Rennsportamateure sind dem Suff verfallen, wie der sich als Taxler durchfrettende frühere Staatsmeister Toni Luksch. Kaum vorzustellen auch, dass Seegers damaliger Meister Ennemoser, dem alle nach der Pfeife tanzten, sich nun seinerseits als Befehlsempfänger in einer Postgarage verdingt. Seeger dagegen brennt nach wie vor für seinen Beruf. Allerdings wird ihm die muffige Enge der damals schon anachronistischen Werkstatt Sunklers erst jetzt so recht bewusst. Ebenso muss er sich eingestehen, von den Sehenswürdigkeiten Salzburgs keinen Schimmer zu haben. Der Lauf der Jahreszeiten zeichnete sich ihm nur über die Konjunkturen in der Werkstatt ab: vom Winter als Periode der Arbeit an den „eigenen“ Maschinen zum Sommer als Hochsaison im Servicebetrieb. Die Spezifika der „schönen Stadt“, wie der Gaisberg oder die Seengebiete rundum wurden von den jugendlichen Motorfreaks offenbar bloß als Terrain für Rennstrecken gesehen.

Trotz gemischter Gefühle scheint er sich aber doch zu vergewissern, dass der Schritt in die Stadt zur Lehre und der kühne Sprung nach Übersee das einzig Richtige gewesen waren. Selbst wenn auch dort sein Horizont kaum über die Werkshalle hinaus reicht und bloß die Wettbewerbstermine seine Tage strukturieren. Mit Anfang Dreißig ist er immer noch Single; im Anbahnen einer Beziehung zu Frauen wirkt er so unbeholfen wie je. Wenn überhaupt, so dachte er stets nur an eine aus der Heimat, aber „dann durfte es keine sein, die sich anmalte und puderte und sich das Haar färbte“. Nach wie vor in einer klassischen Männerwelt befangen, hält er an Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen fest, die mittlerweile selbst im provinziellen Österreich überkommen wirken.

Welchen Schluss Seeger nach seiner Auszeit für sich ziehen wird, bleibt letztlich offen. Walter Kappacher stellt das Bild des Abschieds von den Eltern, die er im Aufbruch zu den Lehrjahren gleichsam als Portalfiguren hinter sich lässt, ans Ende seines Buchs.

Beim Erscheinen des Romans Mitte der Siebziger Jahre wollte die Kritik in Kappacher vor allem einen weiteren anti-akademischen, „engagierten“ Schriftsteller aus dem Milieu der Werktätigen sehen. Vor einer derart einschränkenden, kategorisierenden Rezeption ist diese Neuauflage mit Sicherheit gefeit. Nicht nur, dass wir den Roman nunmehr im Wissen um das spätere Werk und um wiederkehrende Motive lesen. Was einen in dieser vor vier Jahrzehnten verfassten Geschichte heute anspricht, ist etwa die „Kultur der Reparatur“, auf die gerade eine jüngere Generation sich angesichts der Auswüchse der Wegwerfgesellschaft wieder besinnt: Die Erwähnung, dass Seeger als Elfjähriger sich sein erstes Fahrrad komplett aus mehreren schrottreifen Modellen zusammengestückelt hat, zeugt von einer liebevollen Beziehung zu den Dingen, wie sie uns längst abhanden gekommen ist. Auch nehmen wir, von den Herstellungsprozessen entfremdet, das Handwerk erst jetzt wieder so recht in seinem Wert und seiner Würde wahr, wie der Sozialhistoriker Richard Sennett es in seinem Plädoyer getan hat. Im Defilée aller möglichen Typen von Puch-Maschinen vermittelt sich zudem ein Stück österreichischer Industriegeschichte, der es bereits damals durch die internationale Konkurrenz an den Kragen gegangen war.

Walter Kappacher Die Werkstatt
Roman.
Überarbeitete Neuausgabe.
Wien: Deuticke, 2014.
144 S.; geb.
ISBN 978-3-552-06221-4.

Rezension vom 30.07.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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