Soviel zum Sujet dieses Romans, der ein Schlüsselroman ist und einige Botschaften allzu unverhüllt daherbringt. Ob es zur Verschleierung viel beiträgt, dass ein F-Politiker nicht Jörg Haider heißt, sondern Sepp Walder, eine Schauspielerin nicht Erika Pluhar, sondern Charlotte Wohlig, und ein SPÖ-Obmann weder Viktor Klima noch Alfred Gusenbauer, sondern Paul Mentschig? An der Figur Mentschig lässt sich ablesen, welches literarische Risiko Erika Pluhar in ihrem mittlerweile sechsten Buch eingeht. Mentschig hat Macht, Charisma, aber er ist trotzdem – nomen est omen! – Mensch. Mentschig vertritt das Menschliche in der Politik, direkt und unhinterfragt. Dieser Paul Mentschig ist eine Frauenfantasie, eine abgeplattete Version des Ingeborg-Bachmann’schen Neuen Mannes aus der Erzählung „Drei Wege zum See“. Die Zeichnung der Traummannfigur korrespondiert mit der Sehnsucht nach dem Guten, Wahren und Schönen, die dieses Buch atmet, aus Klassiker-Inszenierungen in die Niederungen der österreichischen Innenpolitik verfrachtet.
Im österreichischen Polit-Roman hat der Aufstieg der Haider-FPÖ und die Sorge um einen neuen Rechtsextremismus in den Neunzigerjahren eine Diabolisierung der Rechten bewirkt. Dies schlägt sich in Schablonen aus der tagespolitischen Wirklichkeit und grotesken Führerfiguren nieder, etwa in „Opernball“ (1995) von Josef Haslinger, in „Doktor Paranoiski“ (2001) von Ernst Molden oder in „Pittersberg“ (2000) von Werner Thuswaldner und in „Ein nützlicher Idiot“ (1999) von Walter Wippersberg. In allen diesen Erzählungen sind die fiktiven Repräsentanten der Rechten die Bösen, die Gewalt anwenden, Terror ausüben, die Demokratie stürzen oder zumindest bedrohen. Die faschistischen Schreckgespenster sind in der Fiktion böser, gewalttätiger und dämonischer als in der Realität. Dies lässt auf Ängste schließen, die das weitaus überragen, was die demokratische Ordnung in Österreich tatsächlich bedroht und aus den Angeln hebt.
In einer Schlüsselstelle des Romans „Die Wahl“ wird die behinderte Tochter der SPÖ-Präsidentschaftskandidatin von einer wahrscheinlich im Auftrag Sepp Walders handelnden Bande junger Männer aus ihrem Rollstuhl gekippt. Ein solches Attentat im politischen Auftrag ist in Österreich zum Glück nicht geschehen, aber der Schreck über die Briefbombenserie saß in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre vielen im Genick und das Rätseln um die Hintermänner des Franz Fuchs ist noch in Erinnerung. Dass es geschehen könnte, dass es dem rechten Mob zugetraut werden könnte, davor will Pluhars Geschichte warnen, die offenbar im Jahr 1999 spielt, im letzten Jahr vor der politischen Wende.
Für die Präsidentschaftskandidatin im Roman bedeutet die Hinwendung zur Politik das Eintreten für Wahrheit, Gerechtigkeit, Humanität, Überwindung von Vorurteilen und Parteigrenzen. Verlautbarungen Charlotte Wohligs darüber sind, als Redemanuskript, Rundschreibenentwürfe und Interviewvorbereitungen gestaltet, in den Text eingebaut und im Buch jeweils kursiv gesetzt (siehe Textprobe). Die traktathaften Ergüsse der Kandidatin und alle ihre Debatten- und Dialogbeiträge enthalten kein Wort zu sachpolitischen Fragen. Das Plädoyer für das Gute droht ins Leere zu laufen, weil es unverbindlich bleibt. Indem die Kandidatin für das Gute spricht, ohne zu sagen, was das Gute – in politisches Kleingeld gewechselt – sei, funktioniert ihre Rolle der reinen privaten Menschlichkeit zwar für eine sympathisierende Leserschaft. Aber manch einer wird die Gutmenschenrolle Charlotte Wohligs doch als Maskierung der selbstverliebt über den Niederungen der politischen Alltagspraxis thronenden Autorin auffassen.
Es gibt in dem Roman eine interessante und gut ausgeführte Konstruktion, nämlich die Aufspaltung der Stimme der Autorin in zwei Protagonistinnenstimmen, die das Ich zusammenhalten: die der ständig an sich zweifelnden Mutter Charlotte und die der unbestechlichen Wahrheitsinstanz der querschnittgelähmten Tochter Klara.