#Roman

Die vier Weltteile

Hanno Millesi

// Rezension von Bernd Schuchter

Vom Heimkehren ins Nichts. „Außerdem begriff ich, dass, ganz egal, ob es sich heute um einen Sonn- oder Feiertag handelte, keiner von uns würde behaupten können, der Besuch dieses Museums wäre umsonst gewesen.“ (S. 148–149)

Der didaktische Mehrwert dieser Aussage ist unbedingt zu bezweifeln, denn Hanno Millesis neuer Roman unterläuft ständig nicht nur die Erwartungen des Erzählers, sondern auch jene des Erzählens. Dem Autor ist es um eine Unruhe zu tun, wenngleich er beharrlich die scheinbare Ruhe erzählt – oder das Einbrechen ebenjener Unruhe in eine geordnete Welt, die bedrohliche Irritation eines immergleichen Alltags.

Der Plot ist rasch erzählt: Ein bunt zusammengewürfelter Haufen, bestehend aus einem Ich-Erzähler, vier Kindern in unterschiedlichem Alter, die wie die Daltons ihren je eigenen Ton entwickeln, und einer zweiten Erwachsenen namens Wanda, streunt durch das Kunsthistorische Museum in Wien, ehe eine Ausnahmesituation sie dazu bringt, sich selbst und die Welt zu reflektieren. Auch wenn die Gruppe es anfangs mehr ahnt als weiß, so scheint ein Terroranschlag, der sich im Eingangsbereich des Museums ereignet haben soll, ihrer aller Leben zu bedrohen und sie auf sich selbst zurückzuwerfen. Die Türen sind geschlossen, auch zu ihrem Schutz, und so vertreiben sie sich die Zeit bis zur ihrer Befreiung mit der Lektüre der Alten Meister, von denen das Museum übervoll ist.

Auch wenn die Bedrohung bald schon vom Erzähler entkräftet wird, der in der Rückschau mit seinen Reflexionen reüssiert, ergibt sich eine eigentümliche Spannung, die Millesi mit der Bildlektüre der berühmten Gemälde kontrastiert; fraglich bleibt, ob die klugen Kommentare insbesondere der Kinder plausibel sind, wenn sie etwa angesichts des Turmbau zu Babel von Pieter Brueghel schnoddrig erklären, dass alles Blabla sei.
Die tatsächliche Bedrohung mag nicht real sein, die Befindlichkeiten gehen dennoch ihren Weg; die verschworene Gruppe vertreibt sich die Zeit, indem sie Bilder liest, von erschreckenden Krokodilsdarstellungen (im titelgebenden Gemälde
Die vier Weltteile) eingeschüchtert, von halb pornographischen Darstellungen kaum bekleideter Damen wie der Susanna im Bade eher peinlich berührt. Hanno Millesis Tour de Force durch das Kunsthistorische Museum gleicht an manchen Stellen einer wohlwollenden Aufzählung der Wunderwerke, die es dort zu besichtigen gibt. Dabei gerät der grundsätzliche Konflikt, der Terroranschlag, als Marginalie des Lebens in den Hintergrund. Die Kunst als entrücktes Traumreich der eigenen Vorstellung in der Betrachtung rückt dagegen in den Fokus. Da wird Millesis Buch zur Fabel oder zum Gleichnis, und zu einer Reise durch die Jahrhunderte, so beredt weiß der Autor von den Meisterwerken zu erzählen.

Die vier Weltteile ist auch eine Erzählung davon, wie Menschen reagieren, wenn eine Gewalt in ihr Leben tritt, mit der sie nicht gerechnet haben. Es ist erstaunlich, so der Tenor, mit welcher Phantasie und Hartnäckigkeit der Mensch sich dagegen wehrt. Dass die Kunst dabei kein schlechter Ratgeber ist, versteht sich von selbst. Millesis zurückgenommene, schlichte Sprache verrät dabei keine Wertung. Der Mensch, so Millesi, ist anscheinend, wie er ist, wird er auch als Kaufmann, Bauer oder Edelmann dargestellt. Die Künstler aber scheinen die Einzigen zu sein, die die Jahrhunderte überdauern.

Hanno Millesi Die vier Weltteile
Roman.
Wien: Edition Atelier, 2018.
149 S.; geb.
ISBN 978-3-903005-71-6.

Rezension vom 05.03.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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