#Roman

Die Unerreichbarkeit von Innsbruck

Gabriele Petricek

// Rezension von Johanna Lenhart

Verfolgungsrituale.

Jemand geht um in Gabriele Petriceks Die Unerreichbarkeit von Innsbruck: Eine Schriftstellerin wird auf einer Reise, die sie unter anderem nach London, Venedig und Stockerau führt, von einem Unbekannten hartnäckig verfolgt.

Obwohl sich hier zunächst ein Detektivroman zu entwickeln scheint, stellt sich bald heraus, dass es sich nicht um gewöhnliches Beschatten und Beobachten handelt. Durch abrupte Perspektivenwechsel – weg von der Beobachteten hin zum Beobachter und zurück – wird klar, oder zumindest wahrscheinlich: Eine Schriftstellerin wird hier von einer ihrer Figuren verfolgt. Gelegentlich dreht sie den Spieß um und verfolgt ihren Verfolger, lässt sich aber allzu schnell wieder ablenken, wie dieser gern moniert: Er – ihre Figur – sei „zuweilen neugieriger als sie, zu erfahren wie’s weitergeht.“ Der Text sitzt der Schriftstellerin im Nacken wie ein gutmütiges, manchmal schlechtgelauntes Phantom, das sie beobachtet, sie anschaut, und sie dadurch animiert, es ihrerseits zu verfolgen, zu entschlüsseln, zu begreifen, weiterzuschreiben. Aber eben nie für lange: „Bis ich ihn fallen lasse, weil ich die Lust verliere, da mich wer anderer interessiert oder bloß er mich nicht mehr, erst dann wird er nach mir wieder Ausschau halten.“ Jemand – die Schriftstellerin oder der Text selbst in Gestalt des Verfolgers – sucht einen Faden, einen roten vielleicht. Dass es aber nicht darum geht ein Ziel, etwa einen fertigen Text zu erreichen, ist ab dem ersten Satz Programm: „Mit dem ersten Schritt erübrigt sich die Frage nach dem Ziel – „. Alles andere als geradlinig und geplant verlaufen sowohl Reise wie Textproduktion. So beobachten wir die Schriftstellerin und ihren Verfolger sowie allfällige zufällige oder auch weniger zufällige Bekanntschaften auf ihrem Weg, immer am Ziel Innsbruck vorbei, aber doch irgendwo ankommend.

Verfolgt wird die Schriftstellerin auch von Texten anderer Autoren und Autorinnen, die sich in den eigenen Text hineinquetschen, Platz für sich beanspruchen. Da ist die unheimliche Erscheinung Mani – ein Wiedergänger aus der Legende vom Heiligen Koloman aus Stockerau –, der die Schriftstellerin im Zug abpasst und auf Ab- und Umwege bringt, oder ein gewisser Gensfleisch, auch Gutenberg genannt, der sie mit einer Schimpftirade aus einem anderen Zug vertreibt, Brinkmann und Joyce sind immer wieder Thema und Arcade Fire geistern mit ihrem Lied „Supersymmetry“ durch den Text. Aber besonders Quehenberger, der Londoner Begleiter und Innsbrucker Bezugspunkt der Schriftstellerin, ist ein ständig Anwesender, dessen Name, so erfahren die LeserInnen, aus Thomas Bernhards autobiographischem Roman Ein Kind stammt. Aber es ist, so wird verdächtig vehement betont, natürlich nicht der selbe Quehenberger. Fremde Texte sind hier „Ghostwriter“ im wörtlichen Sinn, die Texte selbst die Gespenster, die zum Schreiben treiben, den Text ermöglichen, sich in ihm einquartieren, die man aber, ganz nach Goethe, auch nicht wieder loswird.

Dieses lustvoll gezeichnete Vexierbild von Verfolger und Verfolgten stellt auch die Frage, was im Text eigentlich Fakt und was Fiktion ist. Ist eine Erfindung eine Lüge? Zumindest Gensfleisch scheint davon überzeugt. Wer hier das Sagen darüber hat, was wirklich ist, wer wen erfindet, ist nicht auszumachen. Beide Seiten – die Schriftstellerin und der Verfolger – beanspruchen das letzte Wort für sich. Der Verfolger etwa erklärt: „[…] also, fest steht: so wie ich es erzähle, ist es richtig. Nichts ist wahr. Wahrscheinlich aber alles. […] Nein, nein, um es kurz zu machen: was ich berichte, gilt. Wie auch immer es gewesen sein mag. Was fehlt, erfinde ich.“ Fehlendes zu (er)finden und Vorhandenes zu ver- und entschlüsseln spornt aber auch die Schriftstellerin an. Unermüdlich löst sie auf ihrer Reise Kreuzworträtsel um Kreuzworträtsel, füllt die Leerstellen und bildet aus den längsten Lösungswörtern Sätze, die es, vielleicht Non-Sense, vielleicht „Orakel“, zu knacken gilt: „VORAUSSETZUNG für SCHAUERARTIGE GOETTLICHKEIT sind GEMEINSAMKEIT und VERSCHWOERUNG“.

Die Unerreichbarkeit von Innsbruck präsentiert sich als ein mit viel Lust und Leichtigkeit in teils wagemutigen Satzkonstruktionen erzählter Prozess der Textproduktion. Die Schriftstellerin folgt Eingebungen und Einflüsterungen, schaut mal hierhin, mal dorthin oder entzieht sich als Blinde verkleidet den (eigenen) Blicken und macht die LeserInnen so zu vergnügten Mitreisenden, die – zusammen mit dem Verfolger – zusehen, wie sie immer wieder „wechselt von hierorts nach daorts und Hemd und Hose wie Jacke nach Laune und Lust nachgerade hakenschlagend und nach der Wahrheit längst kräht keiner mehr.“

Gabriele Petricek Die Unerreichbarkeit von Innsbruck
Roman.
Wien: Sonderzahl, 2018.
240 S.; geb.
ISBN 978 3 85449 492 8.

Rezension vom 10.09.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.