#Roman

Die Unberührten

Robert Schneider

// Rezension von Klaus Kastberger

Den Johannes Elias Alder, die Hauptfigur aus Robert Schneiders Erstlingsroman „Schlafes Bruder“, habe ich mir immer mit ganz dicken Aknepusteln vorgestellt. Nur so konnte ich mir erklären, was unter Vorarlbergs Himmel in der entscheidenden Szene des Erfolgsbuches passiert. Da liegt der adoleszente Bursche unter Körperkrämpfen in der Landschaft und hat plötzlich vom „Wehklang“ sterbender Wale bis zum „Bersten“ gigantischer „Wolkenchöre“ den ganzen Klang des Universums im Ohr. Der Körper verliert schlagartig seine Exkremente, Schweiß und Kot und wie ich meine mit Sicherheit auch den Eiter der aufgequollenen Poren: eine Phantasie der Wandlung, wie sie nur in der Pubertät wahrscheinlich und später zumeist pathologisch ist.

Der soeben erschienene, letzte Teil von Schneiders „rheintalischer Trilogie“ beweist, daß der Autor seinem Thema und seinem Stil treu geblieben ist, ja mehr noch: daß es mit beidem noch viel schlimmer kommen konnte. „Die Unberührten“ führen den Schriftsteller als einen grotesken Pathetiker des Pubertären vor; der Leser weiß nie, woran er mit den gekünstelten Figuren ist, und die Figuren selbst wissen nicht, woran sie mit ihren Körpern sind, bis der Autor sie schlußendlich in eine seiner erbarmungslosen Sprachhülsen steckt: „Der 15jährigen Alma fing das Herz unterm Mieder zu hämmern an, und ihr wurde ganz flau im Magen. Die Nasenflügel blähten sich, der Mund mit den aufgeworfenen Lippen versteinerte, das rundliche Kinn mit dem Grübchen wurde spitz, und – Rupert sah es verstohlen – die fingerhutgroßen Brüste erhoben sich ein wenig.“

Es ist unklar, in welchem Alpental und unter welch zarten Hemdchen solch verlockende Metamorphosen zu sehen sind; Schneider siedelt das Ereignis in einem Schweizer Hospiz tausend Meter über dem Boden der gesicherten Tatsachen an. Im übrigen klagt der Autor den Wahrheitsgehalt seiner Geschichte, so unwahrscheinlich sie in jedem Detail klingen mag, bei jeder erdenklichen Gelegenheit ein. Alma, von deren Brüsten gerade die Rede war, nährt mit diesen nicht nur das Begehren ihres künftigen Mannes, sondern ernährt mit ihnen wenig später eine Tochter namens Antonia. Ein Mädchen, das – kaum selbst in die Pubertät geraten – das heimatliche Dorf St. Damian verläßt, um nach Amerika auszuwandern. Dort lebt sie sieben Jahre lange unter erbärmlichen Verhältnissen nahe einem Pier im Hafen, bis ihre Stimme durch Zufall vom Korrepetitor der Metropolitan Opera entdeckt wird und auch in diesem Buch die finale, kosmische Wandlung erfolgt: Die Bettlerin des Tages wird zu Mozarts Königin der Nacht.

Der Dreck, dem die Künstlerin entstammt, gilt auf der Bühne als Zuwaage ihrer Genialität. Daß Schneider einer solchen Kunstideologie anhängt, war hinlänglich bekannt, nur vermag er sie eben auch im neuen Buch nicht glaubhaft umzusetzen. Wie zum Hohn auf sein eigenes Thema ist es das Handwerk des Schreibens, an dem der Autor scheitert. Völlig uninspiriert rückt er historische Fakten in den Text, um damit der Geschichte vielleicht doch noch ein klein wenig Beispielhaftes abzupressen: Antonia Sahler wird ausgerechnet am 28. Juni 1914 gezeugt, so als ob der Beginn des Ersten Weltkrieges an ihr etwas plastisch machen könnte und so als ob der Tag der Zeugung auf das Kind irgend einen Einfluß hätte; das narrative Hilfskonstrukt wird aber gleich wieder fallengelassen und verpufft effektlos. Auch auf die zeitgenössische wirtschaftliche Situation nimmt Schneider mit einem nur lose in den Text gestellten Satz Bezug. Dieser Fremdkörper ist ein Musterbeispiel schlechter literarischer Technik und sollte fortan für eine wirkliche Kunst des Schreibens didaktisch genutzt werden: „Das Für und Dawider der Währungsreform, die Umstellung von Kronen auf Schilling erhitzte gerade die dörflichen Gemüter.“

Unerträglich ist die Phrasenhaftigkeit des Buches, ein Duktus der forcierten Hohlformen und der manierierten Wortstellung, der so tut, als würde er einer anderen Zeit entstammen und dabei doch nur fehlerhaft und lächerlich wirkt: So „flattieren“ Mädchen durch die Gegend, als ob sie nicht flattern oder flanieren könnten, „demodiertes“ Leinen erweist sich mit vollem Recht als Ladenhüter, ein Mann „verlustiert“ sich an Schildkröten und Schlangen (dazu hätte man als moralischer Mensch gerne Details gekannt), ein Mädchen „gigampft“ am Stuhl, Menschengruppen versinken in einem geräuschlosen „Brodem“ und ein ganz Verwegener liegt doch tatsächlich „querlängs“ in einer Kiste, das stelle man sich einmal räumlich vor.

Eine wirkliche Brücke zwischen dem Ländle und New York schlägt nicht der Dampfer, der Antonia Sahler in die USA bringt, sondern eine übernationale Schicht an Eigennamen, die der Glaubwürdigkeit des Buches den entscheidenden Schlag versetzt: Kolumban Beer (ein Name, der eher an ein exotisches Getränk als an einen Vorarlberger denken läßt) gibt einen jungen Liebhaber, Aron Fleisig einen Musiker, Cölestin Halbeisen einen Dorflehrer, Jenö Nárrody einen Menschenhändler, Baruch Allerwelt einen Professor, Bruno Walter (man glaubt es nicht) einen Dirigenten, Rosa Bok eine Sängerin, Leo Koch einen Pfarrer. Wo sie solche Namen mit Phrasen kombiniert, erklimmt die Schneidersche Kunstsprache den Höhepunkt des Dilettantismus: „Jenö Nárrody redete Papier“; „der Monsignore redete Milch“. Robert Schneider aber hat mit seinem Buch Blech geschrieben. Einen Text, mit dessen Titel man es am besten bewenden läßt: unberührt, d.h. ungelesen.

Robert Schneider Die Unberührten
Roman.
München: Knaus, 2000.
255 S.; geb.
ISBN 3-8135-0161-2.

Rezension vom 15.02.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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