#Roman

Die Surrealisten

Markus Mörth

// Rezension von Stefan Schmitzer

„Ein starkes inneres Gefühl“

Drei Jugendfreunde aus unterschiedlichen Sub-Milieus des Grazer Bürgertums, miteinander verbunden durch einen „surrealistischen Pakt“, den sie in ihrer Gymnasialzeit geschlossen haben, treffen sich nach Jahren wieder.

Einer von ihnen ist plötzlich allein für eine kleine Tochter verantwortlich, der zweite laboriert an den emotionalen und finanziellen Folgen einer geplatzen Hochzeit, und der dritte hat eine große Wohnung, gleich ums Eck vom Cafe Harrach, in der sie dann irgendwie alle drei wohnen. Natürlich ist nichts so, wie es scheint, und jede der drei Lebenssituationen hat ihre zunächst verborgene Schattenseite, die nach und nach ans Licht kommt. Natürlich helfen die drei sich gegenseitig erfolgreich bei der Bewältigung dieser Schattenseiten. Natürlich geht es bei dieser Bewältigung jeweils um verschiendene Spielarten des Mißverhältnisses von „antibürgerlichem Jugendideal“ und „bürgerlichen Sachzwängen“. Und natürlich erweist sich der Erfolg ihrer Bemühungen an den Beziehungen zu Frauen, Kindsmüttern und Geliebten.

Ich sage vier Mal „natürlich“. Warum? – Um zum Ausdruck zu bringen, dass mich nichts an Die Surrealisten überrascht hat. Das ist beinahe verwunderlich, denn Die Surrealisten ist dicht und voltenreich geplottet. Aber schon nach Lektüre der ersten zwei kurzen Kapitel weiß ich ungefähr, wohin der Hase läuft. Und dafür, dass mich die Abweichung der Geschichte, wie sie sich tatsächlich entspinnt, vom Hocker reissen würde, bräuchte der Band eine andere, nuanciertere Sprache. Eine solche aber – eine, die den Erzähler in den Stand setzen würde, gerade die Unterschiede zwischen ähnlichen Elementen sorgfältig herauszuarbeiten – stünde dem raschen Vorantreiben des Erzählflusses vermutlich im Weg. „Die Surrealisten“ hätte vierhundert statt zweihundert Seiten, oder eben ein bis zwei Handlungsstränge weniger.

Gleichwohl wird das Buch genau so, wie es ist, seine Leserschaft finden und sie verlässlich unterhalten. Dafür spricht zweierlei. Zum einen verhalten sich das Thema des Buches („Ideal versus Wirklichkeit“) und sein gekonnt und überbordend angelegter Plot („Treffen sich drei…“) bis ins Detail genau so zueinander, wie wir das aus den besseren – oder sagen wir, den thesenhafter geskripteten – deutschen Kriminalfilmen kennen. Die Konventionen und „shorthands“, die wir uns beim sonntäglichen Tatort-Schauen angeeignet haben, greifen beim Lesen von „Die Surrealisten“ voll, was neben anderen Effekten auch den hat, dass eine vage krimihafte Atmosphäre in dem Roman herrscht, ohne dass es eine Leiche am Anfang und einen zerknautschten Kommissar gebe müsste, der uns durch die Handlung führt. Was sich zwischen den drei Protagonisten im Laufe des Romans ereignet, entspricht in etwa dem, was sich im Verdächtigenkreis beim „Tatort“ abspielt: In der Krise lernt man einander neu und anders kennen, sicher geglaubte Rituale werden durchbrochen, man sieht unangenehemen Wahrheiten ins Auge, man wächst an einander… Zum anderen bietet Mörth glaubwürdiges Grazer Lokalkolorit in Hülle und Fülle. Caféhäuser, Strassenecken, Insider-Gags, ein bisschen Regionalgeschichte – Leser, die so etwas in ihren Romanen schätzen, werden auf ihre Kosten kommen. Auch hierin ähnelt „Die Surrealisten“ einer (Münsteraner, Leipziger, Münchner …) Tatort-Folge – für die Ortsansässigen gibt es Wiedererkennungseffekte, für die anderen literarische Stadtrundgänge aus der Ferne.

Ich habe es oben schon angedeutet – die grössten Stärken des Buches, nämlich Handlung und Pacing, bedingen direkt seine grösste Schwäche, nämlich einen ungenauen Sprachgebrauch. Bei der Kombination aus Tempo und Personalfülle, über die der Roman funktioniert, muss Mörths Sprache stets Überblick und Eindeutigkeit garantieren. Das bedeutet leider, dass er im Zweifelsfall eher zu schablonenhaft und allgemein als zu überkomplex erzählt – und führt zu zahlreichen Sätzen wie dem folgenden: „Ein starkes inneres Gefühl trieb Max direkt zu Clarissas Wohnhaus, das er lange von außen betrachtete, während er versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen.“ Zwar wissen wir aus den vorangegangenen Kapiteln ungefähr, warum Max‘ Gedanken an dieser Stelle in Unordnung sind bzw. worüber Max nachdenkt – aber was er da denkt, und was das genau für ein „inneres Gefühl“ ist, das erfahren wir auch in der Folge nicht. Mit derlei sabotiert sich der eigentlich spannende Aufbau des Buches selber: Um eine gespannte Erwartung aufzubauen, der die Handlung dann entsprechen kann oder nicht, braucht es mehr konkrete Information.

Ein äquivalentes, aber weniger schwerwiegendes Unschärfeproblem gibt es auf der thematischen Ebene: Für einen Roman, der gerade das Inkongruente zwischen künstlerisch-politischen Idealen und sozial verstrickter Lebenswirklichkeit im gehobenen Mittelstand zum Gegenstand hat, wirken die im einzelnen verhandelten künstlerischen oder kunsttheoretischen Inhalte reichlich flach. Auf der Erzählebene ist zumindest eine der Hauptfiguren bildender Künstler – doch in der Art, wie man über Fragen der Ästhetik und der „antibürgerlichen“ Lebensentwürfe spricht, klingt das alles wie bloß vom Hörensagen gekannt. Auch darin ist das Tatort-Prinzip erkennbar: Das „Milieu der Woche“, in welches seine Ermittlungen den Kommissar führen, wird auch nicht genauer geschildert, als Plot und Recherche-Budget des 120-Minuten-Formats hergeben.
Fazit: Jenes andere Buch, das 400 Seiten hätte und in epischer Breite das Aufeinderprallen jugendlicher Ideale und sozialer Wirklichkeit nebst dem Fallout dieses Aufeinanderprallens in Kunstdiskurs und Theorie in einem sehr bestimmten Grazer Soziotop schildern könnte – es liegt halt leider nicht vor. Wer es gern lesen würde, kann es aber zwischen den Zeilen von Die Surrealisten aus der Ferne erspähen.

Markus Mörth Die Surrealisten
Roman.
Graz: edition keiper, 2014.
228 S.; brosch.
ISBN 978-3-902901-53-8.

Rezension vom 21.01.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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