#Roman

Die Spur im Morgenrot

Christian Klinger

// Rezension von Walter Fanta

Die Zeit des neuen Genres EU-Ethno-Krimi ist schon längst angebrochen. Im globalen Zusammenbruch aller Werte außer dem Geldwert verbleibt es eine kulturelle Eitelkeit, das Verbrechen mit nationalem Charme bekämpft zu wissen, sei es von Commisario Brunetti im Flair der Lagunenstadt, sei es vom verdrossenen Kurt Wallander im nebelverhangenen Schonen. Die Engländer und Franzosen haben natürlich seit je ihre volkstümlichen Kriminalbeamten, jetzt haben sie auch die Griechen, die Esten und die Iren. Da dürfen wir Österreicher nicht zurück stecken, als ob Alfred Komareks Polt und Wolf Haas‘ Brenner nicht genug wären, hat uns der studierte Jurist Christian Klinger nun den Chefinspektor der Wiener Polizei Seidenbast beschert. Wer das Buch zu Ende liest, wird in Erfahrung bringen, dass uns keine neue Serie beschert wird, Seidenbast hat sich bereits selbst aus dem Spiel genommen.

Ein bewährtes Verfahren im Kriminalroman besteht darin, mindestens drei Erzählstränge miteinander zu verschränken, so dass im abrupten Schnitt und Schauplatzwechsel die Perspektive des Täters, des Opfers, und meistens am ausführlichsten die Perspektive des ermittelnden Polizisten aufleuchtet. In „Spur im Morgenrot“ ist der Ort des zentralen Geschehens Wien, die Jagd führt aber auch nach Rumänien und nach Ungarn; das Verbrechen ist ein Bankraub, der schon länger zurück liegt, und der Verbrecher, wie der Chefinspektor, der ihn jagt, auch ein Wiener Original, namens Eisensteiner. Was Eisensteiner antreibt, ist die Gier nach Geld, nach den Millionen, die er einst beiseite geschafft hat und die er sich jetzt nach der Haftentlassung wieder besorgen möchte. Die Rücksichtslosigkeit dieses Menschen kennt keine Grenzen. Er ist bereit, eine Dame, die ihm auf seiner beschwerlichen Flucht nächtens eine Umarmung schenkt, nach der Liebesnacht abzuschlachten, mit einem Fleischermesser, bloß weil sie ihn verraten könnte (s. Leseprobe). Es zählt zu den Stärken dieses Krimis, dass der Erzähler seinen Abscheu vor dem Verbrecher nicht zeigt, der Leser beginnt schon zu hoffen, dass Eisensteiner sein Vorhaben glücken möge – obwohl er dann noch einen Mord begeht. Der zweite Erzählstrang stellt sich aus der Perspektive des Oberinspektors Seidenbast im Wiener Sicherheitsbüro dar, dessen Karriere stetig nach unten verläuft, das Motiv des sich in der Hierarchie verfangenden, vom Scheitern bedrohten bedauernswerten Polizeibeamten ist hier weidlich ausgenützt. Eine Opferfigur erscheint in der Gestalt des Seidenbast-Freundes und Inhabers eines italienischen Restaurants in der Innenstadt, Giovanni, der von einer ominösen Ostmafia mit Schutzgeldforderungen bedroht wird – eine Figur und ein Handlungszusammenhang, die klischeehafter nicht sein könnten. Eine weitere Perspektive, die in ihrer Verkettung mit der Verbrecherjagd die längst Zeit undeutlich bleibt, eröffnet sich durch den Handlungssstrang um den Studenten und Schrebergarten-Erben Georg Thalhammer. Das ist neben Eisensteiner und Seidenbast der dritte echte Wiener, um dessen Untergang sich die Leser Sorgen machen müssen – nur dass sie bis an den Schluss höchstens ahnen dürfen, was er in der Räuber- und Gendarm-Geschichte überhaupt sucht.

Das Geschehen läuft in sehr kurz gehaltenen Abschnitten unter ständigem Perspektivenwechsel so zügig ab, dass der Leser schon durch das Tempo bei der Stange gehalten wird, wie bei einem Fernseh-Krimi, ohne dass man das seichte Gewässer je verlässt, aber der Spannungsbogen stimmt, man möchte doch wissen, wie es ausgeht, und freut sich über die blendende Idee für die Auflösung. Aber man ärgert sich auch über den ungelenken glanzlosen Erzählstil, die platten Ironien und simplen Gags rund um die slapstickhaften Einlagen des Chefinspektors und die brutalen Manöver des Bankräubers auf seiner Flucht (s. Leseprobe). Ein Krimi-Debütant muss sich seinen Platz im Gedränge des Leseangebots durch seinen Stil erobern – Witz, Ironie, satirischer Blick auf die Verhältnisse, Prägnanz der Beobachtung, Eleganz der Kommentare. Die Figuren Klingers bleiben farblos, besonders der als Typ des sympathischen Versagers gedachte Seidenbast weckt anfangs Hoffnungen, die er dann nicht erfüllt. Dass er am Schluss des Romans der Wiener Polizei abhanden kommt (wie, das sei hier noch nicht verraten!) können wir verschmerzen, die Polizei-Satire à la Zenkers Kottan bleibt in Ansätzen stecken, sie wächst über die Schablone nicht hinaus, es fehlt ihr an erzählerischer Brillanz und Ausdauer, obwohl sie es, was die Skurrilität der Einfälle aus dem Polizeialltag betrifft, mit klassischen Krimi-Satiren aufnehmen könnte.

Besonders kritisch zu bewerten ist der allzu sorglose Einsatz von Klischees. Wer über die Ostmafia schreibt, sollte recherchiert haben, was es mit Verbrechen der organisierten Kriminalität in Wien auf sich hat. Wer über Rumänien und Ungarn schreibt, sollte am besten längere Zeit dort zugebracht oder sich zumindest Informationen verschafft haben, die darüber hinausreichen, dass die Rumänen korrupt sind und in Ungarn die Männer Schnurrbärte tragen. Das Ostmafia-Thema und der rumänische Schauplatz wären jene Felder, wo sich Unterhaltung durch Krimi-Action und gesellschaftspolitische Aussage durch die Schilderung von spannungsgeladenen Milieus berühren könnten. Was die guten EU-Ethno-Krimis eigentlich zur spannenden Lektüre macht, sind die aus Beobachtungen, Analysen und Milieuschilderungen zusammengesetzten Profile gesellschaftlicher Zustände und Veränderungen in den europäischen Staaten. Sie zu lesen heißt über die nationalen Gartenzäune in Europa hinweg zu spähen. Solche Ein- und Ausblicke zu entwickeln vermag „Die Spur im Morgenrot nicht“.

Christian Klinger Die Spur im Morgenrot
Kriminalroman.
Horitschon: novum, 2005.
285 S.; brosch.
ISBN 3-90069310-2.

Rezension vom 18.01.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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