#Roman

Die Rahmenhandlung

Friedrich Hahn

// Rezension von Helmuth Schönauer

Bilder, Rahmen und ein Rest von Leben.

Als hohe Kunst gilt in der Roman-Literatur die Fähigkeit, ein niedriges Schicksal aufregend zu erzählen. Dabei schließen die Protagonisten Freundschaft mit den Lesern, weil deren Biographien oft ähnlich verlaufen. Gegen Ende freilich verabschiedet sich so ein Held wieder mit der Warnung: Mach es nicht so wie ich, es kann ein Irrweg sein!

Friedrich Hahn hat in seinem Episoden-Roman Rahmenhandlung einen melancholischen Helden aufgespürt, der eingeklemmt zwischen den Leerstellen Beruf und Familie fürchtet, mit der anstehenden Rente selbst dieses Leere noch zu verlieren. Ein Rahmenstudio stellt idealerweise den Rahmen für diese Episoden vom Abschiednehmen und Verklingen dar.
Held Winfried steht mit seinen 63 Jahren an der Klippe seines bisherigen Lebens, er wird springen, die Frage ist nur wohin und wie tief.
Der Roman vom großen Leben zwängt sich plötzlich in das Format eines Kammerstücks, die notwendigen Figuren betreten das Rahmengeschäft mit einem „Palimpalim“, so etwa klingt der Gong, wenn eine Kundschaft den Laden betritt. Winfried ist meist ins Sinnieren und Herumspielen mit seinen Rahmen abgetaucht, wenn ihn das Signal weckt, um ein Geschäft, eine Beratung oder einfach einen Spontankontakt abzurufen.
In der Hauptsache sitzt Winfried nämlich seine Zeit ab. Wenn er abends zusperrt, seufzt er wie im Schöpfungsbericht, „es war Morgen, es war Abend, es war ein ganzer Tag“.
Seine Frau Christina ist auf Reha, wo sie seltsam abgeschoben und final geparkt ebenfalls ihre Zeit absitzt, egal ob sie genesen oder in weitere Einrichtungen abgeschoben wird. Winfried braucht sie eigentlich nur noch zum Meditieren über die vergangene Zeit, es ist jedenfalls keine Zukunft mehr mit ihr eingeplant. Und die Tochter Anna ist Schauspielerin in Berlin, wechselt aber ständig die Stücke und die Bühnen, sie ist gleichsam im Theaterstrom versickert und bleibt für den Vater unerreichbar.
Ein Rahmenstudio ist im Zeitalter der billigen Massenmöbel eine ziemlich sinnlose Einrichtung, ist doch oft der Rahmen eines Bildes das wertvollste Möbelstück einer Wohnung. Von der Kunsttheorie her betrachtet hat der Rahmen die seltsame Aufgabe, ein wertvolles Bild als Solitär gegen den Alltag hin abzudichten.
Winfried ist sich bewusst, dass sein Tun zwischen Belanglosigkeit, Vergänglichkeit und versunkener Kunsttheorie angesiedelt ist. Und für die sichtbare handwerkliche Arbeit hat er einen Mitarbeiter, den er aber nicht bezahlen kann, weshalb er vom Finanzamt demnächst in die Steuerklasse der „Liebhaberei“ eingestuft werden wird. Das Ende des Ladens ist nahe.
Neben raren Kundschaften, die Bilder oder sonstige künstlerische Nuggets einrahmen lassen wollen, sind es gerade prekär praktizierende Maler und Kunstanfertiger, die das Rahmenstudio aufsuchen, um ihre Arbeit in einen größeren Kontext zu stellen. Winfried hat sich den Ruf erworben, den Sinn der Kunst vom Rande der Gesellschaft her beschreiben zu können.
Bei weiblichen Kundschaften schlägt sofort die erotische Glocke an, einmal kommt eine Spiegelkünstlerin, die sich auf die Kunst der Selbstbespiegelung kapriziert hat, ein andermal ist es eine Buchhändlerin, die sich in einer ähnlichen Verfassung wähnt wie der Rahmenhändler. Bei einem losen Date im Restaurant beschließen die beiden, sich zusammenzutun, indem sie etwa Motive der Literatur rahmen oder dem Rahmen der Literatur zu einem finalen Halt verhelfen. In der Auslage des Ladens gehen fortan Bücher in Bilder über und Buchcover werden zu Installationen ausgebaut. Winfrieds Sprache wird bei diesen Planungen recht zweideutig. Indem er vom Wesen der Kunst erzählt, meint er die Sehnsucht nach einer gelungenen Beziehung, und wenn er dann vom reinen Geschäft berichtet, fällt das sprachliche Kunstwerk wieder zusammen zu einem ereignislosen Soufflé.
Die 45 Kapitel schlängeln sich unauffällig durchs Jahr, manche Abschnitte sind gar noch als Unterkapitel „a“ und „b“ ausgeführt, als wäre es möglich, einem Tag Sinn einzuhauchen, indem man ihm eine verbesserte Fassung zuschreibt.
Rund um Weihnachten wird der Laden vorerst dichtgemacht, Winfried erlebt typische Weihnachten eines Rahmenhändlers, er schläft vorm Fernseher ein und muss bedrückt am nächsten Tag feststellen, dass es Helene Fischer gewesen ist, die ihn in den Schlaf gesungen hat.
Und halb in Trance, halb eingeschlafen vor den eigenen Aussichten im neuen Jahr beschließt er, den Laden an den Nagel zu hängen. Es wird kein „Palimpalim“ mehr geben. Mit den letzten zusammengekratzten Geldfetzen kauft er sich ein marodes Wohnmobil und verschwindet.
Als ihn die Buchhändlerin anrufen will, um Bescheid zu sagen, dass sie vielleicht mitkommt, ist er schon verschwunden. Auch die Email-Adresse ist abgedreht. Vielleicht hat Winfried das alles nur als als Begleitkommentar zu seinem neuen Rahmen ausgesprochen, den er wohl jetzt gefunden hat. Erotik und Kunst liegen immer eng beieinander, weil man über beides nie beiläufig reden kann.
Ein echter Friedrich Hahn!, darf man als Leser zusammenfassen. Wieder einmal hat sich ein Held durch den Alltag gekämpft und alle Fesseln abgeworfen, die sich wie falsche Rahmen um Kopf und Kragen schließen, sodass der freie Lauf der Dinge eingeschränkt ist. Obwohl wir vom Helden nichts mehr wissen, beruhigt er uns doch mit seinem Verschollen-bleiben: Ein Ausstieg ist möglich. Kein Rahmen ist so fest, dass man nicht daraus herausfallen könnte.

Friedrich Hahn Die Rahmenhandlung
Ein Episoden-Roman.
Maria Enzersdorf: Edition Roesner, 2021.
163 S.; brosch.
ISBN 978-3-903059-94-8.

Rezension vom 18.10.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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