Vielleicht wurde hier der biographische „gap“, der Abgrund zwischen den (Sprach-) Welten als Kulturraum erkannt, produktiv gemacht auch für das Poetische. Und dieses wird erkennbar als Ort des Zweifels: Zweifel an der Sprache, an der Gewissheit. Wo anders wäre dann der Ort der Gewissheit, fragt Waterhouse im Einklang mit Hamburger, wenn nicht im Versagen vor den großen Ansprüchen, im Verzicht auf die großen Programme und Konzepte, im Rückgriff auf die einfachste Form der Sinnlichkeit: Evidenz und intentionslose Wahrnehmung, begleitender Sinn und kindlicher Spielcharakter, pfiffiges Kokettieren mit Wortmöglichkeiten und aufmerksames Erforschen ihrer Realität.
Der Band sammelt poetische Auftragsarbeiten, Preisreden, Antworten auf Fragestellungen poetologischer Projekte, einen Satz Gedichte Hamburgers englisch und deutsch: Bei Waterhouse wird Übersetzung Transkription von einem Instrument zum anderen, aus einer Expressivität für eine andere umgesetzt, aus einer Sprache gerettet für die andere und ihre andere Klangfarbe, ihre andere Nuancenmöglichkeit gegenüber der Ursprungssprache: „Ich lese ihnen das Gedicht in seinen englischen Klängen vor“ heißt es bei Waterhouse (S. 64) und er fragt: „Gibt es in diesen Klängen ein anderes Denken, ein, wie ich behelfsweise sage, unwahres Denken?“ (ebda)
„Unwahres Denken“ hat etwas für sich, im idealistischen Kontext der lügenden Dichter hieße das die Aufhebung aller Instanzen und Parameter, die der Text nicht selbst inhärent hat. Demgemäß widmet sich Waterhouse in seinen Übersetzungsarbeiten den Dichtern der Unsicherheit und Insistenz auf das Nicht-Finalisierende, auf Unerklärlichkeiten, er teilt mit Hamburger das Beharren auf ein Zweifeln, „ohne das ärgerliche Ausstrecken nach Faktum und Vernunft“, was Hamburger „Negative Capability“ genannt hat: „that is when man is capable of being in uncertainties, mysteries, doubts, without any irritable reaching after fact and fiction“. (S. 163f)
„Übersetzen ist eine Art und Weise, die Unwahrheiten zu finden“, führt Waterhouse hier in einer anspruchsvollen Konzeption weiter aus, und als unübersetzbar erweise sich darin die „Sprache der Identität“ etwa eines Adolf Eichman (wie sich anhand der Übersetzungsarbeit an Hamburgers „In a Cold Season“ herausstellt), weil sie „keine Verbindung zum anderen aufnehmen kann.“ (S. 62). Solche Verbindung sieht Waterhouse gegeben in der Materialität des Sprachlichen, in ihrem „Mutterstoff“, dem physischen Wortkörper und Klang. Immer wieder folgt er den Etymologien in ihre Verzweigungen und Ursprünge, vielleicht treibt er hier das Gedankenspiel manchmal zu weit und vielleicht schleichen sich da auch Fehler ein – „Wiedehopf“ ist nicht „Woody“, auch wenn das im Kontext schön wäre, und die Assoziationsketten von „vera“, „wahr“, über „vertigo“ und die Vorsilbe „ver-“ zu „wer“ und „inverno“ treibt zwar den Leser in einen lustigen Schwindel, erscheint aber auch manchmal als wishful thinking einer Sehnsucht, dass es unter den Sprachen noch etwas Verbindendes gäbe, der „gap“ unterlaufen ist und unterwandert durch eine quasi mythische Verbundenheit im Disparaten. (S. 60)
Dieses Dazwischensein ist die produktive Krise der Poesie, nämlich ein Zustand ständiger Entscheidung zwischen unzureichenden Möglichkeiten, wie Waterhouse zeigt, die von Situation zu Situation im Gedicht alles Bisherige in Frage stellt. „Wenn es etwas wie eine streng undogmatische Geste gibt, so habe ich diese bei Michael Hamburger gefunden“ (S.170) lautet das radikale Paradox, unter dessen Signum die Übertragungsarbeit fortläuft – vom Primäreindruck der Wirklichkeit, die ihre Form im Gedicht sucht ebenso, wie zum Sekundäreindruck eines Gedichtes, das seine Eindrücklichkeit in die andere Sprachwelt übertragen finden soll, und hier findet Waterhouse nun ein für sich erlittenes „inbetween“ als aktive und positive Wertung gesetzt bei Hamburger: „Keine freie Übertragung ins Eigene, also kein Gedicht, das dem eignen Opus und der eigenen Individualität einverleibt wird, soll die Übersetzung sein; aber auch keine Form der Wörtlichkeit, da sie keine rhythmischen Möglichkeiten erlaubt. ‚Something inbetween‘ nennt Michael Hamburger seine Entscheidung. (…) Es geht hier weniger um Regeln und Lehrsätze, aber um die Aufmerksamkeit“ (S. 166).
Nach sieben Bänden innerhalb der letzten elf Jahre schließt Peter Waterhouse mit dieser Essaysammlung vorläufig seine Übersetzungsarbeit des Werks von Hamburger ab. Um so verwunderlicher, dass dies dem Verlag nicht ein wenig mehr editorischen Aufwand wert war: Man vermisst Quellenangaben zu den englischen Gedichten, zwei der Essays sind als Preisreden deklariert, nicht aber ist angegeben zu welchem Preis, einige argumentative Wiederholungen in den über viele Jahre entstandenen Aufsätzen hätten sich mittels Querverweisen reduzieren lassen (so wird das lange Gedicht „Balsam-Pappel“ einmal auf Seite 20 und dann im folgenden Aufsatz wieder auf Seite 38 komplett zitiert), die englischen und deutschen Aufnahmen der Gedichte der beigefügten CD sind nicht koordiniert, statt der Laufzeiten der CD-tracks wären eher Seitenangaben zu Gedichtabdrucken im Text hilfreich gewesen, und die einzige Publikation von Waterhouse in englischer Sprache, „Propria Persona (Propria Poesia)“ ist im ansonsten zweisprachigen Kontext nicht übersetzt.
So lässt sich dieser Band lesen als ein Arbeitsbrevier, das den Waterhouse’schen Fragegestus, seine Arbeits- und Zugangsweise an der Lyrik von Michael Hamburger mitvollziehbar macht und ihn nicht trotz, sondern wegen der möglichen Einwände als immens anregend erweist in seinen Metamorphosen der Vorstellungsmöglichkeiten, seinem Changieren durch die Bedeutungen, der Drift durch den Sprachklang und in einem oft weitergetriebenen assoziativen Spiel über phonetische Ähnlichkeiten von Wörtern und Begriffen, die nicht immer in einem etymologischen Kontext stehen. Übersetzung wird sichtbar als etwas Prozessuales, ein Probehandeln, Abtasten des Sprachklangs auf seine semantischen und emotionellen Werte hin, auf einen „Ursprung Wahrheit“ voller Skepsis und Akribie, vor allem aber mit einer für Waterhouse typischen Verve und Intensität des Fragens: Eindrücklichkeit, Entschiedenheit und Unbeirrbarkeit sind die Qualitäten dieses Dichters.