#Sachbuch

Die Netzwerke des Hans Weigel

Wolfgang Straub

// Rezension von Hubert Lengauer

Das Umschlagbild „spricht“ den Band, wenn nicht Bände: Hans Weigel (HW), von hinten gesehen, eilt auf dem Kohlmarkt in Höhe des Artaria-Hauses auf den Michaelerplatz zu, mit zwei Taschen und einer tragbaren Schreibmaschine. Woher kommt er (aus einem der von Literaten heimgesuchten Cafès – Korb, Gutruf, Hawelka?), wohin geht er? Ins Raimund? In den Taschen Manuskripte schreibender Frauen? Man weiß es nicht, aber man sieht: er „schurlt“, wie diese Tätigkeit und Bewegung im Wiener Dialekt heißt.

Mit eigenen Werken, die er in großer Emsigkeit und in großem Sortiment von unterschiedlichen Textarten verfertigte (Chansons, Schlagertexte, Operette, Romane, Theaterstücke, Essays, usw.), ist er nicht in den literarischen Kanon der Zwischenkriegszeit und der Nachkriegszeit eingegangen, eher schon haben das – was auch für ihn spricht – seine Schützlinge erreicht: Ingeborg Bachmann zuerst, Ilse Aichinger, Marlen Haushofer, Friederike Mayröcker. Mit der legendären „Gruppe 50“ im Café Raimund beginnt seine systematische Förderung junger Autorinnen und Autoren, auch als Antwort auf die „Gruppe 47“ gedacht, zu der HW (wie Bachmann, wie Paul Celan) 1952 in Niendorf stieß, allerdings mit geringerem Erfolg.

Kurt Palm hat zuerst die antikommunistische Grundlage beschrieben, auf der er und Friedrich Torberg Literaturpolitik („Brecht-Boykott“) betrieben. Wolfgang Straub verlängert die ideologiekritische und literatursoziologische Linie zurück in die Dreißigerjahre, die Jahre ideologischer Nähe HWs zu den Kommunisten, die in den Jahren des Exils in Basel fortdauert und seine „bilderbuchmäßigen“ Rückkehr nach Österreich vorbereitet, durch ein breites und dichtes Netzwerk aus politischen und literarisch-professionellen Kontakten. Von 1932 bis 1938 hatte HW in Wien Kabarett und Operette schriftstellerisch bedient; die Jahre 1938 bis 1945 verbrachte er im „Transitraum Exil“ in Basel, einem „Wartesaal III. Klasse“ – HW schreibt gegen Ende 1938 ein Stück dieses Titels.

1937 hatte er die Schauspielerin Gertrud Ramlo geheiratet, auch jüdischer Herkunft, in der Schweiz engagiert und für die Wahl des Exilorts, wohl auch für die Lebensgrundlage HWs entscheidend. In seiner „androzentristischen“ (S. 65) Weltsicht blieb sie spärlich bedankt. Visaansuchen für die USA blieben erfolglos, Arbeiten für (u. a.) Nestroy- und Raimund-Inszenierungen des seit 1933 in Zürich tätigen Leopold Lindtberg hielten Weigel über Wasser und gleichzeitig in der Gesellschaft exilierter Österreicher (und Kommunisten). Er schrieb für die Satirezeitschrift Nebelspalter (über die Exilzeit hinaus) und arbeitete für drei Schweizer Verlage.

Zurückgekehrt in Wien baut er zu schon bestehenden Netzwerken (und z.T. in Konflikt mit ihnen, wie in der PEN-Affäre) sein eigenes Netzwerk auf, die „Clique“ und die „Gruppe 50“, mit Beziehungen zu Frauen, die (horribile dictu) „bis ins Intime“ gehen (S. 263). Netzwerkerinnen wie Elisabeth („Bobbie“) Löcker (verh. Liebl), Lilly Sauter (in Innsbruck), Ilse Leitenberger (in Salzburg), Hilde Polsterer und Inge Mörath (später Morath) unterstützen ihn. „Die Zeit der Reintegration war für HW auch eine Phase des Kappens der Bezüge zu kommunistisch aktiven Bekannten und FreundInnen; zugleich kann man eine auffällig späte Ablösung von Brecht beobachten.“ (S. 27). Auch Karl Paryla, Freund und ideologischer Weggefährte aus den 1930er Jahren, wird spät verstoßen. (Sommer 1951, S. 206)

Straub ist hier und in manchen weiteren Passagen versöhnlicher als etwa Ruth Beckermann, die – fokussiert auf die „Unzugehoerigen“, die nicht-integrierten Juden nach 1945 – HW, „der als Jude aus Wien vertrieben worden war, bei Kriegsende jedoch sofort und zu Fuß zurückeilte, um sich mit großem Erfolg sowohl als Antisemitismus-Verleugner wie als österreichisch-jüdischer Antisemit zu betätigen“ härter anfasst (Unzugehoerig, Wien 1989, S. 111). HW leugnet den zweifellos weiter bestehenden Antisemitismus der Nachkriegszeit und die Präsenz „ehemaliger“ Nazis in hohen Positionen (S. 174), er wollte als „Österreicher“, nicht als Jude zurückkehren, reklamierte keinen Sonderstatus oder Privilegien für Juden, verbat sich deren „Ressentiments“, die allerdings angesichts der Stimmung im Lande und den schleppenden Rückstellungen nur allzu verständlich waren. Auch Hilde Spiel sah das schärfer und kritisierte ihn (S. 182). Mit Torberg war er in Konkurrenz um die „Rolle des lokalen Heerführers im Kalten Krieg gegen den Kommunismus“ (S. 233), das Forum Alpbach bildete (unter anderem) eine wichtige Basis dafür, ebenso der Sender Rot-Weiß-Rot, in dem Ingeborg Bachmann unterkam.

Was einer Literaturwissenschaft entging, die HW zu einem Anhängsel der Bachmann-Forschung geschrumpft und ihm dort – bis zu Mc Veighs Forschungen (zuletzt: Ingeborg Bachmann in Wien, Berlin 2016) – „eine Rolle als Gottseibeiuns der Bachmann-Forschung“ (S. 11) zugewiesen hat, wird in der außerordentlichen Leistung von Straubs Arbeit sichtbar. Dabei liegt sein hauptsächliches Verdienst nicht so sehr in der theoretischen Fundierung, deren er sich von Zeit zu Zeit versichert, sondern in der atemberaubenden Dichte des Materials, das er aufbereitet. In gewisser Weise simuliert Straubs Stil die Gangart HWs: das Rastlose, auf vielen Feldern Gleichzeitige, vorwärts und in die Breite Strebende. Straub bewältigt das jedoch mit einer sprachlichen Leichtigkeit und Klarheit, die nie Langeweile oder Verwirrung aufkommen lässt, sondern die Lektüre immer weiter drängt. Das kann man nicht oft in literaturwissenschaftlichen Arbeiten erfahren, gerade wenn sie materialreich sind.

Das Material aus HWs Nachlass begünstigt diese Darstellung, besonders die Korrespondenz des umtriebigen, fleißigen und lebhaften Briefschreibers Weigel. Nur selten greift Straub im Eifer der Darstellung zur krassen Katachrese (HW habe, so heißt es, zur Zeit seiner „Barabbas“-Premiere kein Interesse gehabt, „sich um die Drucklegung eines Textes aus den Eingeweiden der gerade überwundenen Verbrechensmaschinerie zu kümmern“, S. 148, – es handelt sich dabei um einen Text des im KZ Dachau verstorbenen Freundes und Dichters Emil Alphons Rheinhardt). Durchgehend bewegt sich Straub in sachlicher, oft auch kritisch-ironischer Distanz zu seinem „Gegenstand“. Gänzlich ohne Empathie für die Person ist freilich eine solche Darstellung kaum durchzuhalten. Dabei bleibt aber die Mentalreservation Straubs gegenüber politischer Wendigkeit, Opportunismus und Anpassungsfähigkeit durchaus gewahrt.

HW muss in den 1960er Jahren das Schwinden seines Einflusses hinnehmen. Mit der „Wiener Gruppe“, der Zeitschrift „Wespennest“ oder den Grazer Literaten (Kolleritsch und Konsorten) hatte er nichts mehr zu tun. Dennoch reicht sein Image als Österreich-Erklärer und literarische Institution weiter und gibt Anschub für neue Projekte (Jugendkulturwochen Innsbruck, Rauriser Literaturtage (1971), Bachmann-Preis (1977, als Juror). Unter den Kontakten findet sich auch einer zu Thomas Bernhard, in einem Brief des 23-jährigen Dichters dokumentiert, eine Perle der Epistolographie (S. 253f.). Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die in HWs Korrespondenz und Netzwerken zusammenkamen? Das ausführliche Register von Straubs Buch jedenfalls, und ein 60-seitiger Bildteil zeigt eine große Anzahl von ihnen auf Fotos, nebst anderen „sprechenden“ Dokumenten.
Man kann es nicht in seiner ganzen Breite und Differenziertheit wiedergeben, man kann es nicht genug loben.

Wolgang Straub Die Netzwerke des Hans Weigel
Sachbuch.
Wien: Sonderzahl, 2016.
306 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978 3 85449 463 8.

Rezension vom 14.12.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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