#Sachbuch

Die Nestbeschmutzerin

Pia Janke (Hg.)

// Rezension von Alfred Pfabigan

Vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet wird in universitären Lehrveranstaltungen, vor allem in geisteswissenschaftlichen, häufig kreatives Potential verschwendet. Das Wort vom projektorientiertem Studium geistert seit Jahren durch die hochschulpolitische Debatte, die institutionellen Voraussetzungen dafür fehlen allerdings.

Was Pia Janke unternommen hat, ist also gewissermaßen ein Pionierprojekt: ein von 52 StudentInnen besuchtes Proseminar am Institut für Germanistik der Wiener Universität zum Thema Elfriede Jelinek und Österreich wurde als Großrecherche organisiert, bei der ein gewaltiger Konvolut an Primärmaterialien – Texte und Dokumente von und zu Jelinek aus manchmal schwer zugänglichen Quellen gesammelt wurde. Das Material wurde geordnet und etwa 20 % sind in dem vorliegendem Band publiziert. Elfriede Jelinek hat gut daran getan, das Projekt zu fördern: der Band stellt nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Jelinek Forschung dar, sondern enthält auch wichtige Materialien zur Rekonstruktion der Geistesgeschichte der Zweiten Republik nach 1968.

Jelinek und Österreich, das Thema lädt zu einer plakativen Bearbeitung ein: hier das berüchtigte Plakat der Freiheitlichen, dort Äußerungen Jelineks, etwa über den ländlich-geistfeindlichen Pöbel, der dieses Land regiert. Tatsächlich haben beide Positionen eine lange Vorgeschichte, die hier minutiös rekonstruiert wird, und es mangelt ihnen – zumindest auf der Seite der Dichterin an jener Eindeutigkeit, von der auszugehen wir uns angewöhnt haben.

Die enge Verbindung zwischen Jelinek und der 68er Bewegung ist allgemein bekannt, dass sie in mehreren spektakulären Affären (etwa der rund um die strafrechtliche Verfolgung Leander Kaisers, der Aktion gegen den Twen-Shop des „Kurier“) beteiligt war ist ebenso vergessen, wie der Einfluss, den die literaturtheoretischen Debatten der 68er auf sie hatten und haben: „meine literatur wird heiß werden müssen wie napalm“, schreibt sie 1970, und weiter: „ich als kunstproduzent muss die wirkung eines kampfgases besitzen.“ Das ist ein hoher Anspruch, der von vorneherein mit der Erkenntnis kollidiert, dass „durch Kunst NICHTS verändert wird“.

Mit diesen zwei grundlegenden Auffassungen, das zeigt der Band nicht nur in dem den „Positionen“ Jelineks gewidmeten Kapitel, ist ein Spannungsfeld geschaffen, in dem sich die Jelinekschen Texte und auch ihre damit verbundenen politischen Artikulationen bis heute bewegen. „Alles, was wir als Künstler versucht haben, hat Haider nur stärker gemacht“, heißt es nach der „Wende“ 2000. Pia Janke stellt etwa in dem auch grafisch klug gestalteten Band zwei Textfragmente Jelineks fast nebeneinander, die eine schöne, quasi geschichtsphilosophisch fundierte Ambivalenz zeigen: die Geschichte hätte immer recht, doch gleichzeitig sei sie „ungebildet“. Das klingt ein wenig wie eine Illustration des philosophiegeschichtlichen Denkweges von Hegel zu Schopenhauer, der überhaupt eine untergründige Rolle in Jelineks Denken zu spielen scheint. Die Ambivalenz zeigt sich in vielen Punkten – in ihrer Insistenz auf eine bedrohte österreichische Eigenart in der Kampagne gegen die EU und ihrer notorischen Österreichkritik, aber auch in ihrem Engagement in der und für die KPÖ. Ganz offensichtlich hat Jelinek den Eintritt in eine „wirklich proletarische Partei“ nach ihrer maoistischen Anfangsphase als Konzession an das Realitätsprinzip verstanden, gleichzeitig aber schon früh erkannt, dass die Kultur in der Partei kein hohes Ansehen genieße und man sich um sie nur dann bemühe, „wenn sie für die Öffentlichkeit gebraucht“ wird. Am Ende deutet sie ihre langjährige Mitgliedschaft nur mehr als „Demutsgeste“ einer „nützlichen Idiotin“.

Eindeutig war und ist Jelinek in ihrem Kampf für die geistige Freiheit, wo sie etwa die zutreffende Beobachtung machte, dass die Zensur sich heute hinter der Diffamierung versteckt, und in ihrem Einsatz für die materielle Absicherung von Künstlern, etwa in Form einer Sozialversicherung. Das sei als eines der vielen Felder genannt, wo der Band jenseits des Skandals das Gesamtbild der Elfriede Jelinek erweitert und präzisiert. Ebenso eindeutig ist sie als wesentliche Kombattantin im „Bürgerkrieg“ um die Wahrnehmung des österreichischen Schuldanteils an den Verbrechen des Dritten Reichs zwischen „Burgtheater“ und dem „Häuptling Abendwind“ und als Teilnehmerin der „großen österreichischen Selbstkritik“ nach der Affäre Waldheim und der permanenten Affäre Haider. Neben Thomas Bernhard verfügte Jelinek von allen Teilnehmern dieser „Selbstkritik“ wohl über das höchste Polarisierungspotential und wie bei Bernhard hat diese Fähigkeit auch ihre negative Seite. Der Band belegt, dass es nicht nur die üblichen Verdächtigten Haider („Na ja, die Jelinek liebt mich halt“), Richard Nimmerrichter, Sebastian Leitner und Wolf Martin waren, die hier Einspruch erhoben haben: Catherine Clément etwa hat sich an der Jelinekschen Übertreibungskunst gestoßen, ihr Selbsthass unterstellt und ihr vorgeworfen, Österreich als „Sündenbock Europas“ zu positionieren.

Es war sicher schwer, das vielfältige Material, das sich an vielen Stellen überlappt, zu sortieren. Pia Janke stellt im Vorwort zu Recht fest, dass die „öffentliche Skandalisierung und Personalisierung (…) Bilder der Autorin erzeuge, hinter denen ihre Texte verschwinden“. Dahinter verbirgt sich allerdings eine offene Fragestellung, die Janke sozusagen schließt: am Beispiel Jelineks werde der hierzulande betriebene Umgang mit kritischen KünstlerInnen sichtbar und klargestellt, dass das „gesunde Volksempfinden“ Österreichs Öffentlichkeit bestimme. Das berüchtigte Plakat der Freiheitlichen hat es ebenso gegeben, wie alle im Band säuberlich aufgelisteten Diffamierungen Jelineks.

Dennoch scheint mir der Band eine (oder zwei) andere Geschichten zu erzählen, die um vieles interessanter sind, als die geistlosen Rüpeleien der Jelinek-Gegner: das eine ist das unentwegte, sich immer wieder selbst korrigierende, ja anklagende Experimentieren der Jelinek, ihr Versuch, politisches Engagement und Schreiben zu verbinden, sich also „mit Worten zwischen die Macht und die Wirklichkeit“ zu schieben. Dieses Experiment steht allerdings unter der ungünstigen Ausgangsbedingung eines der österreichischen Tradition nicht fremden prinzipiellen Sprachzweifels: „… ich arbeite seit zwanzig Jahren mit Worten und weiß, dass sie alle gelogen sind.“ Diese Konstellation im Verein mit gelegentlich apokalyptischen Denkmustern und einer Sinnlosigkeitsperspektive, lädt dazu ein, mit vereinfachenden Zuspitzungen eine sekundenlang währende Eindeutigkeit herzustellen. Und genau diese Eindeutigkeit der „Kulturkampfikone“ (Copyright „Format“), deren Äußerungen „Ereignischarakter“ haben, hat Jelinek immer das mediale Interesse gesichert. Pia Janke konzentriert sich in ihrem Vorwort mit der Bemerkung vom „gesunden Volksempfinden“ auf gewisse Gegner, ich bin nicht sicher, ob nicht auch die positive Rezeption in den Massenmedien Jelinek Anlass für ihre gerechtfertigte Klage gegeben hat, dass man sie nur oberflächlich lese. Weite Teile des Bandes belegen einfach ihre Wehrlosigkeit gegenüber allen öffentlichen Bildern ihrer Person. Was wird aus einer ästhetisch und politisch extrem schillernden Position, wenn sie auf einmal zu einer „News“ – Schlagzeile komprimiert wird? Illustriert das gesammelte Material nicht eher ein höllisches Dilemma von künstlerischer Intellektualität im Medienzeitalter: dass die leise Stimme der Vernunft ungehört bleibt und die grelle Stimme des Zornes zwar scheinbar Gehör findet, die Sprechende aber gleichzeitig in den Mittelpunkt einer unerwünschten Aufmerksamkeit rückt? Kurz: dass die Medien eine adäquate Auseinandersetzung mit Politik behindern?

Pia Janke (Hg.) Die Nestbeschmutzerin
Jelinek und Österreich.
Salzburg: Jung und Jung, 2002.
252 S.; geb.
ISBN 3-902144-41-6.

Rezension vom 15.03.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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