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#Prosa

die nacht schluckte die dämmerung

Fritz Widhalm

// Rezension von Günter Vallaster

Hört, hört! Ein „polymorph-perverser ehemaliger Holzknecht“ namens Konrad Berger verlässt Niederösterreich und verunsichert Wien. Gut, nicht ganz Wien, und verunsichern hat hier keinesfalls etwas mit Bedrohung zu tun: Der polymorph-perverse ehemalige Holzknecht Konrad Berger ist zwar gewiss kein Harmloser, aber ein Guter. Er „erlebt in wien verschiedenste zwielichtige situationen“ (S. 13), schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, unter anderem als Wasserleichenstatist in der Alten Donau, durchlebt so manches Reinraus mit Männern und Frauen, begehrt und wird begehrt und entwickelt sich vorerst einmal zum Maler: „konrad begann zu malen, sagt die bergermutter. sozialistischer expressionismus, sagt der bergervater. holzknechte, sagt die bergermutter. die haben sich nie besonders gut verkauft, sagt der bergervater.“ (S. 42). Dann zum Schriftsteller: „bald bestanden konrads gemälde nur mehr aus schriftzeichen auf rosaroten untergrund, sagt die bergermutter. der dichter konrad berger war geboren, sagt der bergervater.“ (S. 45). Diese Kommentare der Bergermutter und des Bergervaters in Statler & Waldorf-Manier erfolgen auf jeder Seite des biografischen Teils ganz unten nach einem dicken Strich, wo sonst Fußnoten stehen. Im Unterschied zu den älteren Herren in der Ehrenloge der Muppet-Show sind sie wie nach einem Motto „Schwamm drüber“ immer wohlwollend und verständnisvoll, ja sogar noch ergänzend und weiter ausholend.

Zur Gesamtkonzeption der Konrad Berger-Saga: Eingeleitet wird sie mit einem Interview, das Konrad Berger mit Fritz Widhalm führt, danach folgt in Teil 1, „in einer sternenklaren nacht“, die Erzählung aus dem Leben Konrad Bergers, die ihn von seinem einundfünfzigsten Lebensjahr in die Jugendzeit in den frühen 1970er-Jahren und zurück begleitet, auch nach vielen Wiener Abenteuern zurück nach St. Pölten. Teil 2, in Großschreibung mit „Konrad geht baden oder: Durch Konrad“ betitelt, besteht aus Oden an ihn, schriftlich niedergelegt von der „drallen lokomotivführerin“ (S. 15) Berta Wieland und angereichert mit gezeichneten Selbstporträts Bergers aus verschiedenen Jahrzehnten. In Teil 3, „Oh ewige Hundekacke oder: Von Konrad“, äußert er sich über sich selbst und wie der Glam mit Marc Bolan in sein Leben trat. Dichte, rhythmisch-musikalische Porträts von David Bowie, Marc Bolan, Alice Cooper, Brian Eno, Divine und Tiny Tim, die dem „fansein gewidmet“ (S. 112) sind, sowie ein in Fragmenten gehaltenes Nachwort, das die Figur Konrad Berger literaturwissenschaftlich und psychologisch genau herausarbeitet, runden den Band ab.

Lustvoll wird hier das Freud’sche Wort „polymorph-pervers“ aufgegriffen, umgekehrt, auf die Füße gestellt und in der Gestalt von Konrad Berger subversiv-provokant hochgehalten. Die eingangs erwähnte Verunsicherung bedeutet oft Erweiterung und einschnürende gesellschaftliche Konventionen fallen an den Orten, wo Konrad Berger auftaucht, wie Hemden und Schlipse. Wobei, so friedlich geht’s dabei nicht immer ab. Die Namen der Personen, mit denen Konrad Berger verbandelt, aber auch in alles Mögliche verstrickt ist, lesen sich zum Teil wie aus der legendären Zeichentrickserie „Nick Knatterton“: Berta Wieland aus Baiersbrunn, „verliebt in ihre lokomotive und schmieröl“ (S. 28). Rosa Berger, die Bergermutter. Theo Fischbach, Ex-Mitzögling Konrad Bergers im Heim, der heimlich „die schwulen saunen von wien“ (S. 43) besucht. Der arrogante und selbstbewusste Pflichtverteidiger Claus Constantin Langer. Der Friedhofsverwaltungschef Lothar Sprengler, „hausherr in der villa seines onkels“ (S. 19) Josef Heindorf, „zwei arrivierte parade-zombies in st. pölten“ (S. 26). Anita Lauffen, Fischbachs Gattin, die gerne bei Geburtstagsfeiern nackt aus der Torte springt. Die lästernde und vorlaute Tilda Dunst, die „ohne unterwäsche durch die wiener hinterhöfe streift“ (S. 45). Der junge Schlagzeuger Oliver Heidemann und der depressive Gitarrist Harald Hauser, ein Vorläufer des Shoegaze. Sie beide bilden mit Berta Wieland am Bass ein Freejazz-Funk-Pop-Trio. Fanny Raben, eine „dominante tante mit zigarettenspitz, bizarrem idiom und grell geschminktem gesicht“ (S. 42). Der strenge Onkel Martin Malz. Die selbstsichere Kunstgaleristin Wilhelmine Zischler, bei der Konrad Berger einen „nacktputzjob“ (S. 47) beginnt.

Als Folie für die Berger-Erzählung dienen Sprache und Textstruktur von Filmbeschreibungen auf DVD-Hüllen, Videokassetten oder in Filmlexika, wie im Interview zu erfahren ist: „ich habe einundfünfzig beschreibungen ausgewählt und daraus dein leben gebastelt“ (S. 5). Demonstriert sei dieses Gestaltungsprinzip an dieser Stelle am Beispiel des Hüllentexts zum Film „Velvet Goldmine“, Regie: Todd Haynes, USA 1998: „Anfang der Siebziger: Der polymorph-perverse ehemalige Holzknecht Konrad Berger ist der unangefochtene König des Glamrock. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere inszeniert er seine eigene Ermordung und verschwindet spurlos. Zehn Jahre später erhält der österreichische Schriftsteller Fritz Widhalm den Auftrag, zum Jahrestag des spektakulären Popskandals über den Verbleib des einstigen Rockstars zu berichten. Er beginnt bei Konrads Ex-Frau Berta Wieland, die Fritz in die abgedrehte Zeit der 70er mitnimmt.“ Durch die Brechung der Alltagserlebnisse Konrad Bergers in derartigen Textmustern und das Weiterspinnen des Erzählfadens in einem solchen Stil gerät die Geschichte zu einer Art Sitcom, der grandiose Übersteigerungen und phantastische Wendungen voller skurriler Komik in einem atemberaubenden Tempo eingeschrieben sind.

In Teil 2 des Bandes, der „poetischen Hommage“ (S. 65) an Konrad Berger, erfolgt die Annäherung an ihn auf leisen lyrischen Sohlen. Auf subtile Weise werden in diesem Abschnitt zunächst Impressionen aus der Kindheit festgehalten, in Form von Schnappschüssen wie „Dein ganz kleines pferd zum glück“ (S. 71) oder „Die erde als apfel das hört nicht auf“ (S. 72). Nick Knatterton lässt auch hier grüßen: „Du weißt woher du kommst tür auf / Tür zu mit vorgestrecktem kinn“ (S. 67). Die Dichtung wird im weiteren Verlauf zunehmend politisch: „Ein kleiner mensch setzt den bleistift an / Juchhe und die ganze welt / Wird ein oh weh“ (S. 86), „In was für einer zeit leben wir / Also marschierst du zielbewusst wie / Alle anderen flüsse und so weiter“ (S. 94) und der lyrische Schwerpunkt wandert sukzessive von den Füßen zum Kopf: „Im dunkeln ist das denken ein loch / In das wir hineinfallen sagen die tanten“ (S. 97).

Fritz Widhalms die nacht schluckte die dämmerung ist wie ein erfrischender Spaziergang auf den Leopoldsberg um Mitternacht, ein ekstatischer Tanz zu „Ballroom Blitz“ von „The Sweet“, eine muntere Partie Tischtennis zu fünft, eine Packung süß-scharfer Ingwerstäbchen und ein gemütlicher Abend mit Dosenbier und DVDs zusammen.

die nacht schluckte die dämmerung. Oder: hört hört, mein mund bleibt stehen.
Wien: edition zzoo, 2008.
132 Seiten, broschiert.
ISBN: 978-3-902190-21-5.

Rezension vom 14.01.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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