#Sachbuch

Die Muse hat genug geküsst, sie schreibt

Erdmute Sylvester-Habenicht

// Rezension von Veronika Schuchter

Lange Zeit war die Stellung der Frau im Literaturbetrieb und in der Literaturgeschichte ein Randthema, dem sowohl wissenschaftlich als auch in den Medien nur wenig Raum und jenen, die sich damit beschäftigten, wenig Prestige zugebilligt wurde. Seit ungefähr zwei Jahren hat sich das geändert, vor allem dank der Bemühungen und Vernetzungsarbeit vieler Akteurinnen im Literatur- und Medienbetrieb, denen es durch ihre Arbeit gelang, das Thema nicht nur kurz hochzukochen, sondern auch längerfristig zu verankern. Der Band Die Muse hat genug geküsst, sie schreibt von Erdmute Sylvester-Habenicht möchte sich hier ebenfalls einordnen.

„Frauen und Literatur. Spannende Antworten auf 33 verblüffende Fragen“ verspricht der Untertitel – doch leider sind weder die Antworten sehr spannend noch die Fragen sonderlich verblüffend, zumindest für jeden, der sich mit der Materie schon ein bisschen auseinandergesetzt hat. Man muss das Buch daher eigentlich einmal aus professioneller Perspektive betrachten und einmal aus der Perspektive von Leser_innen, die noch nie etwas von Frauen und Literatur und wie diese zwei Dinge zusammengehen, gehört haben. Rezipient_innen, die zu letzter Gruppe gehören, lesen daher bitte weiter bei a). Gehören Sie eher zur ersten Gruppe, lesen Sie bitte weiter bei b).

a) Sollten Sie sich noch nie mit Frauen und Literatur auseinandergesetzt haben, ist zunächst der Griff zu Virginia Woolfs großartigem Essay A Room of One’s Own (Ein Zimmer für sich allein in manchen Übersetzungen auch Ein eigenes Zimmer) von 1929 empfohlen. Sie lesen richtig 1929, dennoch ist der Text bis heute erhellend und viele Mechanismen der Marginalisierung der Literatur von Frauen greifen auch heute noch und sind daher mehr als aktuell. Dass nach dieser Lektüre fast alles stilistisch abfällt und dementsprechend weniger Befriedigung liefert, ist ein Nachtteil, dennoch bietet Die Muse hat genug geküsst, sie schreibt eine gute und kurzweilige Einführung in viele Themenfelder rund um historische und aktuelle Fragen zur Literaturproduktion von Autorinnen. Die Frage Nr. 3 „Kennen Sie Shakespeares Schwester“ können Sie dann auslassen, mit der haben Sie sich dann ja schon beschäftigt. Gezeigt wird die Bandbreite des Themas und es gibt viele Anregungen, wo man sich bei Interesse weiter vertiefen kann, wozu man auch tatsächlich Lust bekommt, spürt man das Engagement der Autorin doch bei jedem Wort. Das ist mitreißend und zeigt auch die große gesellschaftliche Relevanz. Dazu hätte es gar nicht so viele Ausrufezeichen gebraucht, die wirken eher störend. Als Einführung, die Begeisterung weckt und nicht streng wissenschaftlich, sondern essayistisch-kolumnistisch daherkommt, kann man das Buch empfehlen.

b) Jene, die sich schon ein wenig mit der Thematik beschäftigt haben, werden wahrscheinlich nur bedingt etwas Neues aus dem Band ziehen können. Da wird alles, was man schon kennt, nochmals aufs Tapet gebracht, man fühlt sich an seine Einführungsvorlesung zur feministischen Literaturwissenschaft erinnert – die fing auch mit Freuds Grübeln über das Rätsel Frau an. Es folgen die üblichen Beispiele, von Virginia Woolfs A Room of One’s Own (das gattungstechnisch hybrid sein mag, aber mit Sicherheit kein Romanessay), Wielands fördernder und zugleich paternalistischer Rolle bei der Entstehung von Sophie La Roches Geschichte des Fräuleins von Sternheim bis hin zu Karoline von Günderode. Vieles bleibt oberflächlich oder wird einfach nur behauptet, weil es gut klingt, wie etwa: „Aber Frauen haben dem Diskurs ein Schnippchen geschlagen und erobern sich gegen alle Natur und Kultur die öffentliche Position der Autorin. Sie haben dies in der Geschichte getan und tun es bis heute tagtäglich neu. Und strafen den Geschlechterdualismus Lügen.“ (S. 17). Wieso schreibende Frauen den Geschlechterdualismus aufheben sollen, erschließt sich nicht. Dazu bleibt viel zu schwammig, was damit überhaupt gemeint sein soll. Das bipolare Geschlechtersystem? Eine auf sex, also dem biologischen Geschlecht beruhende gesellschaftliche Arbeits- und Rollenverteilung? Ersteres würde heißen, dass Frauen schreibend beweise, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt, was argumentativ nicht trägt. Vermutlich ist daher eher zweiteres gemeint, doch der Geschlechterdualismus ist diskursiv wesentlich komplexer als eine simple Zuweisung oppositioneller Wesenszüge. An diesem kurzen Beispiel zeigt sich ein Problem des Buches: Da werden Diskurse durcheinandergeworfen und nicht ordentlich ausgelotet. Wenn die Autorin schreibt, dass sich Schriftstellerinnen „Gegen alle Natur und Kultur die öffentliche Position der Autorin“ erobert haben, so kann sich eine mit dem Thema vertraute Leserin denken, dass damit eben auch ein biologisch begründeter Geschlechteressentialismus zur Disposition gestellt wird. Das steht aber leider nicht so da, weshalb bei jemandem, der nicht mit Genderwissen beschlagen ist, hängenbleiben könnte, die Autorin meine, dass Schreiben gegen die Natur sei. Tatsächlich ärgerlich wird es aber, wenn Dinge fachlich falsch dargestellt werden, etwa im Kapitel 31: „Frauen und Dramen – das geht gar nicht?“ Da wird zunächst behauptet, dass Dramen als die Königsklasse der Literatur gelten würden, was in Zeiten, in denen der Roman übermächtig ist, zu belegen wäre. Dann heißt es: „Zu der Zeit wurden sie [die Frauen] im kulturellen Diskurs mit viel männlicher Fantasie zum Naturwesen deklariert. Daraus leitete sich ihre natürliche Fürsorge für das Haus, die Kinder und den Ehemann ab. Zuhause darüber hinaus ein wenig zu lesen, sich an die kleinen literarischen Formen, den Roman oder die Lyrik zu versuchen [sic], das ja – aber Dramen? Gleich selbst verfassen? Nein.“ (S. 131). Dass eine Frau die Möglichkeit hatte, sich an einem Roman zu versuchen, geschweige denn eine zu veröffentlichen, war eine Ausnahme, noch in den 1990ern gab Marcel Reich-Ranicki zu Protokoll, Frauen könnten keine Romane schreiben und 2013 erklärte die Nobelpreisträgerin Alice Monroe, sie schreibe Kurzgeschichten, weil für Romane habe sie neben Haushalt und Familie zu wenig Zeit gehabt, um ununterbrochen zu arbeiten. Tatsache ist, dass auch heute noch kaum Stücke von Frauen aufgeführt werden, dafür gibt es aber andere Gründe, die diskursiv nicht mit der Produktion anderer Gattungen konkurrieren.

Man kann Erdmute Sylvester-Habenicht mit Sicherheit nicht vorwerfen, dass sie fachlich nicht beschlagen ist, immerhin hat sie ihre Dissertation zum Thema Kanon und Geschlecht verfasst. Sie versucht anhand von 33 Beispielen das Thema Frauen und Literatur von verschiedenen Seiten zu beleuchten und nichts unberücksichtigt zu lassen. Der Spagat zwischen Unterhaltung, Engagement und fachlichem Anspruch gelingt leider nicht ganz. Lieber hätte man auf ein paar Fragen verzichtet und die anderen dafür etwas genauer ausgelotet.

Erdmute Sylvester-Habenicht Die Muse hat genug geküsst
Frauen und Literatur.
Spannende Antworten auf 33 verblüffende Fragen.
Sulzbach: Ulrike Helmer Verlag, 2019.
144 S.; geb.
ISBN 978-3-89741-437-2.

Rezension vom 13.01.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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