#Roman

Die Maske hinter dem Gesicht

Anselm Glück

// Rezension von Martina Wunderer

„Nur für den Fall, dass es der Kritik nicht auffallen sollte: Dieser Roman ist natürlich keiner. Das aber perfekt,“ verheißt kokett der Klappentext des neuen, nun ja, Romans, denn als solcher wird er noch auf dem Buchdeckel bezeichnet, des österreichischen Malers und Schriftstellers Anselm Glück.

Ein Roman, der ausdrücklich unter dieser Gattungsbezeichnung daher kommt, aber sich selbst unmittelbar im anschließenden Paratext widerspricht – bereits an dieser Stelle sollte der Leser gewarnt sein vor dem Spiel, das der Erzähler in den folgenden durchnummerierten neunundzwanzig Abschnitten des Buches inszenieren wird – einem Maskenball mise en abyme, wie schon der Titel besagt: hinter dem nackten Gesicht lauert bereits wieder die Maske, eine von vielen. Und so treten sowohl Form als auch Inhalt dieses Buches stets nur maskiert auf, es setzt ein perfides Spiel von Sein und Schein, von Erkennen und Verkennen in Szene.

So beschwört es – scheinbar – die Konventionen einer Romanerzählung, beschreibt Schauplätze, Graz und Wien, bevölkert sie mit Figuren – dem libidinösen, nicht mehr ganz frischen Ich-Erzähler, dem Schriftsteller und Maler Brandmeier, alter-ego des Autors, Gerda, seiner blonden Geliebten, und deren reicher Tochter, Kunststudentin und junge Gespielin, dazu Hel, untreue Ehefrau eines Privatdetektivs, der hinter dem Erzähler herspioniert, u. v. a. mehr. Ihre Wege und Schicksale kreuzen sich, Familiengeschichten, Beziehungsdramen, gefährliche Liebschaften, Intrigen und Verschwörungen bahnen sich an und wecken den Vorgeschmack auf eine große Erzählung.

Doch genau dieser Genuss wird dem Leser verweigert. Denn eine konventionelle Romanerzählung, bekennt der Klappentext zu Recht, „ließe sich leichter nacherzählen“, da sie einen Handlungsbogen hätte, einen Anfang und ein Ende, einen sorgfältig komponierten Aufbau. Glücks Roman wirkt so, als wäre ihm dieses klare, starre Gerüst einer Struktur zu eng geworden, er sprengt lustvoll die Seiten, den Buchdeckel, birgt Material nicht für einen, sondern für unzählige Romane, ja, „es geschieht hier sowieso derartig viel, dass das in Österreich, wo die ganze Sache spielt, gar nicht alles hineinpasst.“ Und was geschieht, geschieht einzig in der Sprache, die sich hier zum eigentlichen Akteur aufschwingt, sich verdichtet und erweitert, mal kühn in der Metaphorik, mal kritisch als Echo auf standardisierte Phrasen, mal zurückgestutzt, reduziert auf die wörtliche Bedeutung, auf das Buchstäbliche, mal lustvoll überbordend an einem Mehr an Bedeutung.

Der Versuch des aufmerksamen Lesers, Sinnzusammenhänge zu konstruieren, eine stimmige Handlung aus diesem „kaleidoskopischen Buch“ heraus zu destillieren, sich in bespieltem Raum und erzählter Zeit zurechtzufinden, ist grandios zum Scheitern verurteilt. Ein aufreibendes, frustrierendes Spiel, das der Erzähler sich hier mit den Leseerwartungen erlaubt, ständig werden sie unterlaufen, enttäuscht, bloßgelegt. Der Erzähler stielt sich aus der Verantwortung, aus der Autorität, die dem Erzähler traditionsgemäß zugehört. Er erzählt keine lineare Geschichte, er spinnt keinen roten Faden, er versucht auch nicht, den Leser in den Bann zu ziehen. Im Gegenteil. Gemäß dem Rimbaudschen Diktum: „Je est un autre“ spielt der Erzähler lustvoll mit verschiedenen Ich-Entwürfen, kommentiert ironisch die eigenen Erzähl-Handlungen, reflektiert humorvoll-kritisch die eigenen und die Gedankenwelten der anderen, tritt sich an mancher Stelle gegenüber, um mit sich Zwiegespräch zu halten, verschließt an anderer Stelle die Augen, um in den „wunderbaren Zustand ausgeblendeter Spiegelei“ zu sinken.

In einem karnevalesken Maskenspiel hält er den Leser zum Narren, entzieht ihm Absatz für Absatz den Boden unter den Füßen, den er ihm doch gerade erst bereitet hat, lässt ihn, wie seine Geschichten, ins Leere laufen, wo er doch vorgibt, Verbindungen herzustellen: oder, aber, weil, beziehungsweise, zum Beispiel – alle diese Sprachscharniere, sie sind nichts weiter als fadenscheinige Täuschungen, um die Brüche, die den Roman durchziehen, oberflächlich zu kaschieren; wie belaubte Äste, die die tiefe Grube vor den Augen des Wanderers verbergen sollen, und wie der Wanderer, so tappt auch der Leser, trotz der Warnung im Klappentext, stets in die Falle. Kurz davor klein bei zu geben, stellt sich schließlich die Erkenntnis ein, dass dieses Buch ihm vielleicht bewusst einen Spiegel vorhält – in seiner Erwartung an den Text wird er ständig auf sich selbst zurückverwiesen – und ihn vor die Herausforderung stellt, alle erlernten, bekannten Lektüreverfahren über Bord zu werfen.

Nun gut, Herausforderung angenommen: Wenn sich der Text, der einem Sudelbuch gleicht, einer linearen Lektüre verschließt, so wird er nun eben häppchenweise genossen, mal von hinten her aufgerollt, mal nur flüchtig mit den Augen gestreift, mal aufs Genaueste unter die Lupe genommen: und siehe da, plötzlich beginnt all die „Intelligenz, Unmoral, Moral, Sprachschärfe und Phantasie“, die in diesem furiosen Buch steckt, zu funkeln, und anstatt Frust entwickelt sich nun eine große Lust am Text: „Die Lust, alles aus jedem Blickwinkel zu betrachten, ohne verantwortlich für auch nur irgend etwas zu sein.“

Anselm Glück Die Maske hinter dem Gesicht
Roman.
Salzburg, Wien: Jung und Jung, 2007.
348 S.; geb.
ISBN 978-3-902497-22-2.

Rezension vom 24.04.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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