#Roman

Die letzte Insel

Christian Mähr

// Rezension von Wolfgang Straub

Christian Mähr ist ein guter Handwerker. Er versteht sich auf das Handwerk des Erzählens und des Spannungsaufbaus. Er verwendet dabei nicht immer feinmechanische Werkzeuge, was aber – wie man etwa an seinem Debüt bei Du Mont, „Simon fliegt“ (1998), ersehen konnte – keineswegs einen Mangel an Exaktheit nach sich ziehen muß. Eines der wichtigsten technischen Hilfsmittel in Mährs neuem Roman ist die Andeutung, das klassische Werkzeug des suspense, das dem Leser häppchenweise die Information zuführt und ihn so am Textfortgang festhält.

Gleich der Auftakt ist ein solcher inhaltlicher Köder: „Ich bin wieder hier.“ Ebenso der erste Satz des zweiten Absatzes: „Ich habe jetzt ein anderes Zimmer als damals.“
Keine Frage: Es wird eine Weile dauern, bis man erfährt, warum der Ich-Erzähler nach einem „damals“ „wieder“ hier ist. Denn diese beiden Wörter umspannen den gesamten Inhalt: die Wiederkehr des Erzählers – im ersten und letzten Kapitel geschildert – bildet den Rahmen, die Geschehnisse „damals“ sind das Movens des Romans.

Verläßt man sich auf sein Erinnerungsvermögen – ohne in den „Klagenfurter Texten“ nachzulesen -, dürfte Mähr den 1999 beim Bachmann-Wettlesen vorgetragenen und von der Jury größtenteils zerzausten Ursprungstext in Richtung eines ausgeprägteren dramaturgischen Bogens und weniger Selbstreflexion getrieben haben. Zwar sucht Mährs Erzähler die südlichen Gefilde in einer Schreibkrise auf (seine Frau fragt ihn während des ersten Aufenthalts denn auch: „Warum schreibst du eigentlich nichts?“), das Schreiben über das Nicht-schreiben-Können bleibt jedoch Ausnahme. Das heißt nicht, daß wir es mit einem Buch ohne Reflexion zu tun haben, die Niederschrift der unglaublichen Ereignisse zwingt den Erzähler dazu, sich seiner Erinnerungen zu vergewissern und seine Zweifel zu artikulieren.

Bevor Mähr „loslegt“, läßt er sich auf den ersten zwei, drei Dutzend Seiten Zeit, Personal, Topographie und Ausgangslage einzuführen: Der Ich-Erzähler, ein mäßig erfolgreicher Autor von Trivialromanen, macht mit seiner Frau auf einer kleinen Insel Urlaub. Man erfährt nur, daß auf der Insel spanisch gesprochen wird und daß das Eiland Teil eines „Archipels“ ist – bald vermutet man die Kanaren als Vorbild.
Wie in „Simon fliegt“ steht erneut ein Wunder, etwas Verwunderliches im Mittelpunkt: Diesmal ist es eine Insel, die nur von einigen Leuten gesehen werden kann, eine Insel, die es auf Karten nicht gibt, die aber für die „Sehenden“ sehr reale Erscheinungsformen hat – der Verlag klärt am Waschzettel auf, daß sich Mähr hierbei auf eine „kanarische Legende“ stütze.

Es gehörte zu den Stärken von „Simon fliegt“, das Wundersame über weite Strecken ganz lapidar, mit schlagender Simplizität zu beschreiben, sich nicht dem Interpretativen hinzugeben (wunderbar etwa die Ansichtskarte – im übrigen auch von einer spanischen Insel, aus La Palma -, die Simon mitteilte, er sei „mit sofortiger Wirkung zur einfachen Levitation befähigt“). In „Die letzte Insel“ gelingt Mähr dieses erfrischend Stoische nur mehr passagenweise. In den ersten Kapiteln kommt hinzu, daß man den Eindruck gewinnt, der Autor wisse mitunter nicht, welches Werkzeug er nun führe. Hat man mit Erleichterung festgestellt, daß die Ferienwelt und ihre meist lächerlichen Protagonisten vom Erzähler nur aus der Distanz beobachtet werden, schleichen sich prompt Elemente einer plumpen Tourismussatire ein („auf den blauen Stoffliegen rösteten vier Figuren“).
Hält der Erzähler, wie festgestellt, sein eigenes Schreiben meist hintan, so vermeint Mähr stellenweise Witz in die Sache bringen zu müssen, indem er seinen Ich-Erzähler den Leser direkt ansprechen läßt – erneut etwas plump, nur vermeintlich ironisch („Meine Fangemeinde würde es nicht verstehen, wenn die Ausgeburten meines Schöpfergeistes …“).
Hinzu kommt, daß der Autor manchmal Entscheidungsschwierigkeiten zu haben scheint, welches Werkzeug nun denn angebracht sei. Er wechselt häufig und nicht nachvollziehbar zwischen Perfekt und Präteritum, oft herrscht mündlicher Duktus mit umgangssprachlichen Ausdrücken vor („es macht mich fertig“, „ein großes Hotel halt“), stellenweise wiederum eine Art „hoher Stil“ („in des Wortes weitester Bedeutung“), es werden aber auch Fremdwörter und Fachausdrücke („nautische Assoziationen“, „exzeptionell“, „präkognitiv“) eingeflochten.
Verunsichernd sind so manche sprachliche Unexaktheit und Ausdrucksschwäche: Beim „kindlichen Abusus“ des Zeitworts tun (oder verwenden nur Erwachsene, die mit Kindern sprechen, verdoppelnde Ausdrücke wie „tust du lachen?“) scheint Mähr seinen Schriftsteller vorführen zu wollen („organisieren tat ohnehin sie“, „fahren tat grundsätzlich meine Frau“), andere Fälle gehen eher zu Lasten Mährs („das Boot war recht voll“, „was bedeutend malerischer aussieht, als es sich rentiert“).

Es wäre falsch, den Eindruck erwecken zu wollen, man habe es hier mit stilistischem Kauderwelsch zu tun, die Schwachpunkte sind breit gestreut. Mit Fortgang des Romans, mit zunehmender Geschwindigkeit der Ereignisabfolgen nimmt auch die Stilsicherheit des Texts zu, die Langsamkeit ist diesmal nicht Mährs Sache. Der Roman ist als großes Crescendo, mit vielen Variationen (die wenigen „Sehenden“ werden jeweils in einem eigenen Kapitel mit auktorialem Erzähler vorgestellt) und kurzer Coda, geschickt komponiert; die krimimäßige Handlung, der Marathon an ungewöhnlichen Ereignissen entwickelt nach und nach einen „Drive“, der für sich genommen zu Lesegenuß führen kann.

Der Roman bleibt aber vor allem durch seinen Plot angreifbar. Der Roman geht in seinem Kern weit über die Schilderung einer Osmose zwischen Wunderbarem, Unglaublichem und Alltag hinaus und in trivialere Untiefen hinein, vor allem die Wiedergänger, die Untoten lassen an Schlagwörter wie „Fantasy“, Esoterik oder Parapsychologie denken. Natürlich will sich Mähr mit solch Abgeschmacktem nur spielen. Aber hier hat ihm das passende Handwerkszeug gefehlt, um mit all den Anspielungen zwischen Atlantis, Pitcairn und Toteninsel („Die letzte Insel“), um mit dem Mythischen und Mystischen, aber auch mit der ebenso involvierten Kolportage beschwingt zu jonglieren und dabei einen fetzigen Unterhaltungsroman (oder einen geistreichen Krimi) zu produzieren.

Christian Mähr Die letzte Insel
Roman.
Köln: DuMont, 2001.
216 S.; geb.
ISBN 3-7701-5551-3.

Rezension vom 26.02.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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