#Roman

Die Königin ist tot

Olga Flor

// Rezension von Martina Wunderer

When the hurlyburly’s done,
When the battle’s lost and won …

(
Macbeth I,1)

„Wenn das Mordgetümmel schweigt, / Und der Sieg den Aufruhr beugt“, wird die Frau, die sich Lilly nennt, einen Blick zurück werfen, und es ist ein Blick in den Abgrund. Achtundsechzig Stockwerke unter ihr drohen die Wassermassen des Sees über die Ufer zu treten und das Fundament des Wolkenkratzers zu unterspülen, das Foyer und den Liftschacht, wo alles begonnen hat – „Duncan und ich ganz allein im verspiegelten Fahrkorb, ich auf den Knien vor der geöffneten Mittelnaht“. „Tu doch was für mich“, hatte er gesagt, und sie danach auf ein Glas Wein in die Wohnung gebeten. Bald lud er sie zum Essen ein, sprach über seinen Werdegang, der ihn an die Spitze eines internationalen Medienunternehmens geführt hatte, von Orten, die er ihr gerne zeigen wollte, und schließlich sogar von Heirat. Da war sie bereits schwanger. Nach der Geburt ihres Sohnes zogen sie in ein großes Haus am Meer, bekamen ein zweites Kind, und Lilly gab sich Mühe, eine gute Mutter und Ehefrau zu sein. Nur manchmal wurde ihr der goldene Käfig zu eng und sie lief alleine los, über den Strand, durch die Straßen, wurde aber nach kurzer Zeit von den Leibwächtern Duncans wieder eingefangen und mit Gewalt zur Vernunft gebracht. Endgültig auszubrechen wagte sie nicht, denn „ein Leben außerhalb des Gewohnten schien mir nicht vorstellbar“. Und so war es schließlich Duncan, der sich, ihrer überdrüssig, einer jüngeren Frau zuwandte und sie an seinen Stellvertreter im Konzern Alexander weitergab. Ein folgenschwerer Fehler, denn „mit meiner Gehorsamkeit ist es nicht weit her. Das habe ich ihm nur nicht verraten“.

„Ich lasse mich immer gerne ficken von einem Krieger“, gesteht sie freimütig zum Auftakt von Olga Flors furiosem neuen Roman. Wer vorankommen will, darf schließlich nicht zimperlich sein. „Also: Keine Gefühle, nur Zielorientiertheit: hier das Ziel, dort das Hindernis. Zum Mittel war es nicht weit. Das Mittel zur Hindernisbeseitigung auf dem Weg zum Ziel war Alexander.“ Das Ziel selbst: die Macht, der Königsthron. Als Frau in einer nach wie vor patriarchalischen Gesellschaft glaubt Lilly, diesen nur über den Mann an ihrer Seite erreichen zu können. Und Alexander ist ihr an Skrupellosigkeit und Machtstreben mindestens ebenbürtig – zunächst als Komplize, später jedoch als Gegner. Von krankhaftem Ehrgeiz und Rachegefühlen gegenüber Duncan geleitet treiben sich die beiden gegenseitig in eine Spirale von Macht, Liebe und Gewalt, und immer weiter bis in den Wahnsinn, in den Tod.

Lilly ist in diesem Duell der Verführung Opfer und Täterin zugleich. Sie war aus ihrer mittlerweile politisch und wirtschaftlich bankrotten Heimat Europa geflohen, um wie so viele vor ihr das Glück in Amerika zu suchen. Doch auch dort bestimmen soziale Unruhen, Rassismus, Korruption und Gewalt das Zusammenleben der Menschen. Geprägt von der Dumpfheit und Brutalität ihrer Umgebung kennt Lilly nur die Mittel der kruden Sexualität und des kaltblütigen Mordes, um den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen. Doch als sie endlich im Zentrum der Macht angekommen ist, verliert sie jeden Halt. I need four walls around me to hold my life / to keep me from going astray … und ich denke, die zweite Zeile müsste lauten: to keep me from falling apart„, zitiert sie George Jones‘ Bartender’s Blues. Sie, die kühl berechnend alle Fäden in der Hand hielt, sich jedes Gefühl versagte, zerbricht nun Stück für Stück an ihrer Schuld, während Alexander alle Skrupel verdrängt und sich immer tiefer in die Auswirkungen seiner eigenen paranoiden Schreckensherrschaft verstrickt, denn „blood will have blood“ / „Verbrechen zeugt Verbrechen“ – so will es die Eigenlogik von Gewalt.

Die Königin ist tot ist ein böser, kluger, bitterkomischer Kommentar zu einer ökonomisierten Welt, der mit Olga Flors früheren Romanen Erlkönig, Talschluss und Kollateralschaden die „präzise Sprache“ und die „mitleidlose Empathie“ (NZZ) teilt. Shakespeares blutrünstiges Stück über den Feldherrn Macbeth, der unter dem Einfluss seiner ehrgeizigen Frau den Schottenkönig Duncan ermordet, sich an dessen Stelle setzt und ein Schreckensregiment errichtet, während Lady Macbeth dem Wahnsinn verfällt, wird in Flors Bearbeitung zu einer Bankrott-Erklärung der Liebe, der Vernunft und der Zivilisation. Die Handlung des Shakespearschen Dramas wird in ihrem Roman auf ein Gerüst reduziert und in eine nahe Zukunft verlegt. Die Perspektive bleibt auf die Ich-Erzählerin Lilly – eine Wiedergängerin Lady Macbeths – beschränkt. Ihren fragmentarischen, sprunghaften Erinnerungen folgend vermag auch der Leser nie den klaustrophobischen Raum ihres Wahns zu verlassen. Durch diese Beschränkung, die virtuose Dramaturgie und die so klare wie poetische Sprache gelingt Flor ein faszinierendes Psychogramm einer jungen Frau, verstrickt in den uralten Kampf der Geschlechter – „full of sound and fury“ / „voller Klang und Wut“ / „Signifying nothing“ (Macbeth V,5).

Olga Flor Die Königin ist tot
Roman.
Wien: Zsolnay, 2012.
222 S.; geb.
ISBN 978-3-552-05578-0.

Rezension vom 16.10.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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