#Roman

Die kleine Figur meines Vaters

Peter Henisch

// Rezension von Helmut Sturm

„Mit meinen Büchern bin ich nie fertig, schon gar nicht mit diesem“, meint Peter Henisch im Vorwort zur zweiten Neuausgabe des erstmals 1975 bei Fischer erschienenen Romans. Die Neuausgabe erscheint im Residenz-Verlag. Vor allem die Beigabe von etwa zwanzig Seiten Fotos von Walter Henisch sen. machen diese attraktiv auch für Besitzer der Originalausgabe. Die Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit des Vaters – Walter Henisch hat seine jüdische Herkunft lange Zeit geleugnet und war während des Zweiten Weltkriegs ein von den Nationalsozialisten hochgeschätzter Kriegsberichterstatter – ist auch fast dreißig Jahre nach dem ersten Erscheinen von packender Aktualität.

Die Arbeit von „embedded Journalists“ ist wohl keine us-amerikanische Erfindung; Henisch sen. hat seine Aufgabe so in Erinnerung: „… alles, was in diesem Frontabschnitt geschehen würde, auf möglichst propagandawirksame Weise ins Bild zu bringen“.

Peter Henisch, der mit Die kleine Figur meines Vaters, wie es immer wieder heißt, eines der ersten „Väterbücher“ publizierte, lässt seinen Vater zumeist im O-Ton reden, der dem Autor aus Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen mit dem kranken Vater vorliegt. Ergänzt wird die Rekonstruktion der väterlichen Vergangenheit durch Gespräche mit Mutter und Großmutter (von ihr soll der nächste Roman handeln), sowie durch die Auseinandersetzung mit den Fotos. „Ich habe den Krieg, sagt die Stimme meines Vaters auf dem Tonband, vom Anfang bis zum Ende als eine Folge von Bildern gesehn. (…) Wenn du wirklich ein Buch über mich schreiben willst, musst du von diesen Bildern ausgehn.“

Eine Eigenart dieser biografischen Arbeit ist das von Anfang an bestehende Naheverhältnis zwischen Verfasser und Gegenstand, das bis zu einer weitgehenden Identifizierung führt. „Ich möchte, habe ich geschrieben und deshalb zweimal ein neues Blatt in die Schreibmaschine eingespannt, daß du mir MEINE Lebensgeschichte erzählst. (…) später habe ich ihm gestanden, daß ich wissen möchte, wer ER ist, um mir darüber klar zu werden, wer ICH bin.“
Die Annäherung erfolgt vor allem in der Erkenntnis des Sohnes, dass der Zugang des Schriftstellers zur Wirklichkeit der des Fotografen ähnelt. Für beide ist selbstverständlich, was der Vater in der Formulierung des Sohnes ausdrückt: „Was mich interessiert und oft sogar fasziniert hat, waren DIE GESCHEHNISSE AN UND FÜR SICH. Diese Geschehnisse sind mir samt und sonders MOTIVE gewesen. Auch wenn ich mittendrin war, habe ich mich bis zu einem gewissen Grad immer außerhalb der Geschehnisse gefühlt.“

Eine Frage, die mich seit dem Wiederlesen dieses Buches nicht mehr ausgelassen hat, ist, ob sich dieser teilnahmslose Blick nicht auch meiner bemächtigt hat. Wie ist das, wenn wir uns durch die Programme und Bilder zappen? Anstelle des Auslösers der Kamera drücke ich den Knopf an der Fernbedienung. Unversehens bin ich in eine Gefahr geraten, die auch der Sohn erkennt: Es könnte sein, dass ich im Charakter des Kriegsfotografen etwas festmache, was ich an mir nicht sehen möchte. „Indem ich diesen Teil meines Charakters in deinem Charakter dingfest mache, kann ich so tun, als wäre ich ihn los.“

Peter Henisch meint, dass die Erzählung über seinen Vater, weil sie keine erfundene Geschichte sei, weniger „belanglos“ sei als bloß fiktive Texte. Dieses Theorem ist kaum haltbar, Henisch jun. kein philosophischer Schriftsteller. Doch Die kleine Figur meines Vaters ist auch heutzutage noch alles andere als belanglos.

Peter Henisch Die kleine Figur meines Vaters
Roman.
Neuausgabe mit Fotos von Walter Henisch.
Salzburg, Wien, Frankfurt am Main: Residenz, 2003.
270 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-7017-1343-X.

Rezension vom 14.06.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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