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Die Irrfahrt des Michael Aldrian

Gerhard Roth

// Rezension von Daniela Bartens

Die Oper ist sein Leben. Schon als Kind konnte er ganze Aufführungen Ton für Ton im Kopf repetieren und eigentlich hatte er Dirigent werden wollen. Mangels „persönlicher Note“ ist ihm das aber trotz seiner „außerordentlichen Merkfähigkeit“ (18) für Töne nicht gelungen. Und so hat es Michael Aldrian, den Protagonisten von Gerhard Roths jüngstem Roman, in den Souffleurkasten der Wiener Staatsoper verschlagen, wo er als „Maestro suggeritore“ viele Jahre lang aus der Froschperspektive die Sänger oben auf der Bühne „dirigiert“.

Aus der Unsichtbarkeit seines Souffleurkastens gibt er sich seiner Unersetzlichkeitsillusion hin. Er kennt alle Gschichten und Gschichteln der Mitglieder des Ensembles und lotst sie mit dem leidenschaftlichen Kalkül eines Demiurgen durch die Fährnisse der jeweiligen Inszenierungen, garantiert den reibungslosen Ablauf, indem er mit seinem enormen musikalischen Gedächtnis potentielle Fehler vorhersieht und zu vermeiden hilft. Eine kleine, aber – jedenfalls in der Selbstwahrnehmung – tragende Rolle. Durch einen Hörsturz wird der von den Kollegen ob seiner zwiespältigen Fähigkeiten „Mephisto“ (12) genannte Einzelgänger aus der Unterwelt seiner geschützten Souffleurkastenexistenz auf die Bühne des „echten“ Lebens geworfen und findet sich als Akteur wider Willen in einer Inszenierung wieder, die alle Zutaten einer großen Oper in sich trägt. Soweit die Vorgeschichte.

„Wie das kaputte Schräubchen einer riesigen Maschine gegen ein Ersatzteil ausgetauscht“ (10) und plötzlich aus der vermeintlich göttlichen Allmacht in die ebenso trügerische Ohnmacht der Bedeutungslosigkeit gestürzt, beschließt Aldrian – es ist Karnevalszeit –, seinen Bruder Jakob und dessen Frau Elena wie schon oft zuvor in Venedig aufzusuchen, um vor Ort an einer Art alternativem Reiseführer über die Stadt zu arbeiten. Doch die Reise gerät dem Ex-Souffleur und Hobby-Zauberer zur Höllenfahrt, sind doch Jakob und Elena, in deren Haus er eine Garçonniere bewohnt, bei seinem Eintreffen spurlos verschwunden. Nach und nach wird klar, dass Aldrian in eine Verbrechensgeschichte hineingeraten ist, die ihn sukzessiv vom außenstehenden Beobachter zum Verfolgten und schließlich selbst zum Verfolger und Rächer werden lässt, während er parallel dazu scheinbar unbeeindruckt die vorab geplanten und vereinbarten Besichtigungstermine in diversen Archiven, Museen, Anstalten, Kirchen und Palästen wahrnimmt, welche selbst wiederum Licht- und Schattenseiten des Daseins widerspiegeln und so die Handlung kommentieren: vom Museo Fortuny, einer Art venezianischer Kunst- und Wunderkammer mit Bühnenmodellen, Gemälden und Stoff gewordenen Paradiesesvisionen, dem Palazzo Contarini del Bovolo, der in seiner Architektur „Leichtigkeit und Schwere“ (54) spielerisch vereint, über das labyrinthische „Archivio di Stato di Venezia“, also das politische und diplomatische Gedächtnis der Serenissima mit seinen Abrechnungsbüchern und Spionageberichten, aus denen sich die Vergangenheit rekonstruieren, aber auch durch Nicht-Sachgerechtes-Archivieren (bewusst) vergessen lässt, über den im Zentrum des Romans stehenden „Dogenpalast“, der mit seinen Prunksälen auf der einen und dem Justiztrakt mit den Folterkammern und Gefängnissen auf der anderen Seite als „reichgeschmückte“ Einheit von „Paradies und Hölle“ (222) dargestellt wird, bis zur riesigen „Biblioteca Marciana“, in deren Karten, Globen und Schriften „nicht existierende Welten“ als existierende „imaginiert“ werden und eine „Gegengeschichte“ der „Träume“, alles „Unausgesprochenen und Vergessenen“ und der „Tierheit“ ausgemalt wird. Aber auch andere, nicht mehr existierende heterotopische Orte wie die Pest-Lazarette des Mittelalters, die ehemalige Irrenanstalt San Servolo und der „vergessene“ Anstaltsfriedhof finden teilweise in umfangreichen essayistischen Kapiteln Erwähnung.

Wie in Reiseführern üblich werden im Roman auch Kirchen (leitmotivisch San Pantalon mit dem berühmten Deckengemälde, das Himmelfahrt und Höllensturz als Umspringbild gestaltet) und Theater (das abgebrannte und wiederaufgebaute Opernhaus La Fenice) beschrieben, aber auch diverse Lokale und Geheimtipps, Cafés und Märkte wie das berühmte Caffè Florian auf dem Markusplatz und der Fischmarkt spielen in der Verbrechensgeschichte eine Rolle. Venedig-Klischees, etwa die Gondeln und das jährliche Karnevalstreiben mit seinen Masken, den Touristenströmen und Andenkenläden, werden genussvoll angehäuft und die Verflüssigung des Realen durch das allenthalben strömende Wasser betrieben. Witterungsbedingungen wie das berühmt-berüchtigte „aqua alta“, aber auch Nebel und Schneefall werden lustvoll-ausufernd in Szene gesetzt und untergraben zusätzlich die Orientierung.

„Man hat Venedig oft genug als eine Märchenstadt bezeichnet. Das stimmt nur insofern, als es nicht nur verklärende, sondern auch grausame Märchen gibt. Das venezianische Gehirn, das diese Märchen erfunden und sogar erlebt hat, hat selbstverständlich zwei Hälften. Die eine speichert historische Ereignisse und Lügen – das Archivio di Stato di Venezia und der Dogenpalast –, die andere ist das Reich der blühenden Phantasie, der Kunst, der Religion – die Biblioteca Marciana, die Museen und die Kirchen. Beide Gehirnhälften kommunizieren miteinander, daher ist es schwer, ein objektives Gesamtbild zu gewinnen.“ (327)

Wie zwei Stimmen eines Musikstücks, wie rechte und linke Hirnhälfte, werden die beiden Realitätsebenen gegeneinander geführt – das Karnevalesk-Alptraumhafte und das Logisch-Rationale –, bis der Realitätsstatus von allem und jedem fragwürdig wird. Der ganze Text ist dichotomisch strukturiert: Diesseits und Jenseits, Paradies und Hölle, Engel und Dämonen, (weltliche und kirchliche) Macht und Ohnmacht, Wirklichkeit und Traum, Erinnern und Vergessen, Fiktion und Realität, Innen und Außen, Oben und Unten, Licht und Dunkel, Metamorphose und Mimikry und viele mehr lassen sich aus der einen, ursprünglichen Spaltung, wie sie der christlichen Weltgerichtsikonographie mit ihrer Trennung von Aufstieg in den Himmel und Höllensturz entspricht, ableiten. Dass die Hoffnung auf ein diesseitiges, sozusagen verwirklichtes, „echtes“ Paradies (479) die Menschen in die Hölle stürzen kann, Himmel und Hölle also nah beieinander liegen, kennt man als eines der Lebensthemen Roths.

Als würde er die Verfahrensweisen und Themen seines 15-bändigen Doppelzyklus aus Die Archive des Schweigens und Orkus in einem einzigen Buch und fokussiert auf einen einzigen Schauplatz – die Kulissenstadt Venedig als Bild der Welt – versammeln wollen, lässt Gerhard Roth in seinem neuen Roman, dem ersten einer geplanten Venedig-Trilogie, aus seinem Werk Altbekanntes in neuer Dichte und extremer Künstlichkeit anklingen: die Reise in die Ferne als Hadesfahrt des Protagonisten in die eigene Unterwelt, die Er-fahrung der fremden Realität durch ausgewählte Reiseführer – Wissenschaftler, Archivare, Direktoren –, deren Darstellung wie Vergil in Dantes Göttlicher Komödie die Wirklichkeit perspektiviert, weiters die aus den beiden Wien-Essaybänden bekannten Foucaultschen Lesarten von Gebäuden als Stein – und somit sichtbar – gewordenen Machtstrukturen, die Parteinahme für das Vergessene und an den Rand Gedrängte, die Schäbigkeit und moralische Zwielichtigkeit der Protagonisten, aber auch das mythologische Schreiben, das sich an den großen Menschheitsmythen und -fragen abarbeitet, und die Verlinkungsstruktur, die den Roman mit vorangegangenen Werken verbindet (im Konkreten insbesondere mit dem Roman Grundriss eines Rätsels von 2014), sowie die „mise en abyme“-Technik, die Michael Aldrian zu einem Nachbarn der fiktiven Autorfigur Philipp Artner am Wiener Heumarkt, dem tatsächlichen Wohnort des realen Autors Roth, macht und zugleich zu dessen Figur, sodass ein Spiegelkabinett aus endlosen Abspaltungen, Zerrbildern und Doppelgängerfiguren der einen, hypertrophen Autorfigur entsteht:

„Fahren Sie wieder nach Venedig?“, hatte Artner Aldrian gefragt, und als Aldrian mit „ja“ geantwortet hatte, hatte er hinzugefügt: „Ich arbeite gerade an einem Kriminalroman, der in Venedig spielt, in dem Sie vorkommen.“ (11)

Den angekündigten Kriminalroman mit Sänger- und Dirigentenanekdoten bleibt Artner mit Die Irrfahrt des Michael Aldrian dann allerdings schuldig, wie auch Michael Aldrian gegen Ende des Romans behauptet, „das Projekt, einen Reiseführer zu verfassen, längst aufgegeben“ (478) zu haben. Beide scheitern mit ihren Schreibanliegen – ganz im Gegensatz zu ihrem realen Autor, der in bewährter Manier Reisebericht und Verbrechensroman dergestalt engführt, dass der Reisebericht als (historischer) Verbrechensroman und der Verbrechensroman als subjektiver Reise- und Entwicklungsbericht gelesen werden kann. Und er setzt auf der Handlungsebene ein brillantes Vexierspiel mit Verweisen unterschiedlichster Machart in Szene, bei dem von Anfang an nichts „echt“ ist. Der apokalyptische Theaterdonner mit mehreren Toten, abgehackten Händen, gefälschten Banknoten im Koffer, diversen Verkleidungen und Maskeraden, Zaubertricks und Rauschzuständen folgt vielmehr von vornherein der großen Oper.

Nicht zum ersten Mal lässt Gerhard Roth in Die Irrfahrt des Michael Aldrian einen seiner Protagonisten eine italienische Reise antreten. Und diese Reisen haben immer auch mit Fragen des Diesseits und des Jenseits, des Glaubens und seiner Ausdrucksformen in der Kunst zu tun. Ein Arkadien – wie Goethe im Motto seiner Italienischen Reise – finden sie dort freilich allesamt nicht, auch wenn die Paradiessuche Motor der Reisebewegung sein mag. 2011 in Orkus. Reise zu den Toten etwa den verstörten Untersuchungsrichter Sonnenberg, fiktives Alter-Ego des Autor-Ichs im Text, der angesichts der „Jüngsten Gericht“-Fresken in Padua und Florenz mit ihren Höllendarstellungen von der massenweisen Erniedrigung und Vernichtung von Menschen die „Leichenhaufen und Quälereien der Konzentrationslager wiedererkennt“ (Orkus, S. 614) und darüber den Verstand verliert. Und Grundriss eines Rätsels, der unmittelbare Vorgängerroman der Irrfahrt, schafft eine direkte Verbindung, wenn die eingangs durch eine Gasexplosion in die Luft gejagte und samt ihrem Werk pulverisierte Autorfigur Artner gegen Ende in Venedig, der Stadt seiner Kindheits(kranken)erinnerung, wieder auftaucht und schließlich – „selbst der Schimpanse“ (Grundriss, 496) – im Peggy-Guggenheim-Museum in Francis Bacons Bild „Studie eines Schimpansen“ in die darauf abgebildete „Kiste“ als in die Kunst eingeht.

Die Kunst-Kiste – ob „Sarg“, „helle Manege“ (Grundriss, 496f.) oder Souffleurkasten – mit ihrer Mehrdeutigkeit von Draußen und Drinnen ist wohl auch der eigentliche Schauplatz des Venedig-Romans Die Irrfahrt des Michael Aldrian, der mit dem grandios schillernden Satz „Ich war ein Wunderkind, jetzt bin ich ein Niemand“ (9) einsetzt. Wie der listenreiche Odysseus in der Polyphem-Episode der Odyssee sich doppeldeutig als „Niemand“ bezeichnet und so seine Täterschaft („Niemand hat’s getan“) sprachlich zugleich anerkennt und negiert, womit seine Irrfahrt (ins Fiktionale) ihren Anfang nimmt, so tritt auch sein abgetakelter Nachfahre Aldrian eine Reise in die Fiktion mit ihren Möglichkeiten, dem Nicht-Existierenden sprachlich Präsenz zu verleihen, an und gerät dabei in eine Art alternativen Seinszustand, ein Zwischenreich zwischen An- und Abwesenheit, aus dem er erst gegen Ende des Romans und nur punktuell wieder auftaucht:

„Aldrian war in seiner Vorstellung jedoch schon so oft eine erfundene Figur gewesen, dass es ihm jetzt – nachdem er selbst wie eine fiktive Figur gehandelt hatte – nichts mehr ausmachte, nur noch Ausflüge in die Wirklichkeit zu unternehmen, anstatt eine vollständig fiktive Figur zu werden.“ (479)

Aldrians Venedigreise ist auch eine Jenseitsreise in die verborgene zweite Wirklichkeit fast aller Protagonisten, in ein alptraumhaftes Reich der Täuschungen und Tarnungen, der „Mimikry“, wie es im Text heißt (25), aus dem ihn nur die Liebe bezeichnenderweise einer Beatrice und seine Leidenschaft für die Kunst in all ihren Erscheinungsformen möglicherweise zu erretten vermögen. Erst die Einsicht in die grundlegende Fragmentarität des Lebens, das sich „als eine einzige riesige Ansammlung von Splittern“ (475) präsentiert, und sein Bekenntnis zum „Rätselhafte[n], Unsachliche[n]“, das „eine Art stenografische Botschaft enthielt, die er nur über seine Empfindungen wahrnehmen konnte“ (476), bewirken eine „Metamorphose“ (25), die es ihm ermöglicht, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.

Gerhard Roth hat einen „Verbrechensroman“ geschrieben, in dem der Höllensturz paradoxerweise von unten nach oben, aus der Unterwelt des Souffleurkastens in die „wirkliche“ venezianische Wirklichkeit führt, die sich dann jedoch als Fiktion herausstellt – vorformuliert in den großen literarischen Paradiessuchen, beginnend mit der Bibel über Dante bis zu Goethes Faust. Schon der Name „Michael“ (wörtlich: „Wer ist wie Gott?“) lässt aufhorchen, gilt er als einer der vier Erzengel doch als Bezwinger Satans, der den Drachen in die Hölle stürzt, aber auch als Hüter des Paradiestores und Seelenwäger am Tag des Jüngsten Gerichts, als einer, der eine Botenfunktion zum Volk Israel unterhält. Sein Bruder Jakob (auch: Israel), der sich den Erstgeburtssegen vom blinden Vater durch Täuschung erschwindelt, wird hingegen als einer der drei Erzväter der Israeliten bezeichnet. Wie eineiige Zwillinge, wie zwei Seiten derselben Medaille, sind der Racheengel und „Mephisto“ Michael und sein faustischer Bruder Jakob, der den biblischen Traum von der Himmelsleiter in die irdische Suche nach einem „Garten Eden“ (212) ummünzt, der Souffleur und der Kopist nach der Natur, der Ohren- und der Augenmensch, der mit seinen Zeichnungen eine Art „Arche Noah“ (207, 374) schaffen will, aufeinander bezogen. Das Dingsymbol der bekanntlich für den Frieden stehenden Taube, das von den Tauben am Markusplatz über die leitmotivische Heilige Geist-Taube als verborgene Anstecknadel an Michael Aldrians Kragenrevers zur Taubheit Aldrians durch den Hörsturz bis zur Arche Noah und den Brieftauben auf dem zweiteiligen – und erst in seiner Zusammenführung deutbaren – Gemälde von Carpaccio (281) und von dort wieder zur Brief- und Briefbeschwerer-Symbolik – Schweres und Leichtes eben – führt, sei hier nur am Rande erwähnt. Die Allusionen reichen jedoch noch weiter, ist doch Jakob im Text mit der Restauratorin Elena verheiratet und solcherart auch mit ihrer Schwester Margherita (Gretchen) familiär verbunden. Mit Elena träumt er wie Faust mit seiner Helena von einem griechischen „Arkadien“, einem künstlichen Paradies am Meer, und wie in der Philemon- und Baucis-Episode aus Faust II vernichtet ein Brand das Paradies-Reservat, bei Roth sind es sogar zwei, weil auch noch das Modell des „Paradiso“ und damit die Erinnerung daran zerstört wird. Mephisto Aldrian hat aber nicht nur in seinem Bruder Jakob eine Komplementär-, sondern auch im Maskenbildner und Waffenhändler Diego (= Jakob) Sarcia (Luzifer?) eine dubiose Spiegelfigur, mit der ihn das Wissen um die tatsächlichen Verbrechenszusammenhänge verbindet. Daneben gibt es eine Vielzahl an bekannten Namen, von den ermordeten Mafiosi Fibonacci, Celi (= Himmel) und Scarlatti bis zu der einzig positiven Identifikationsfigur des Dr. Dr. Galotti.

Und wenn Michael Aldrian gleich zu Beginn des Romans einen „Blick in die Beatrixgasse“ in Form eines „gerahmten Drucks von Adalbert Stifters [gleichnamigem] Gemälde als Geschenk für seinen Bruder und dessen Frau“ (14) auswählt, so wird von daher vielleicht das in manchen Rezensionen als nicht sehr glaubwürdig beanstandete, etwas schale nachsommerliche Glück der späte(re)n Verbindung zwischen dem Paradieshüter Michael und der Paradiesführerin Beatrice erklärbar, die sich am Ende als eine Art Heilige (Patchwork-)Familie aus Zauberkünstler, Journalistin und verlorenem Sohn auf die Suche nach dem zerstörten, „verlorenen“ Paradies (vgl. 487) machen.

Gerhard Roth hat eine solche Fülle an Bezügen geschaffen, dass – wie in einem paranoischen Wahn – die Zeichen selbst Verweissysteme bilden, die weit über die Deutungshorizonte der Protagonisten hinausgehen. Alles und jedes kann darin mit allem in Verbindung treten und potentiell Bedeutung tragen, zugleich ist alles schon einmal dagewesen, brauchen nur Namen genannt zu werden, um ganze Bedeutungskontexte aufzurufen. Alle in diesem Text sind Nachgeborene, Sekundär-Künstler, zaubern sich durchs Leben und hoffen auf Erlösung, doch die Paradiese bleiben verschlossen, können nur für Augenblicke heraufbeschworen werden. Tatsächlich neu ist die Dichte, mit der die christlich-jüdische Ikonografie zitiert wird, was den Verdacht aufkommen lässt, dass Gerhard Roth an einer Art zeitgenössischer Ring-Parabel arbeitet, die die Glaubens-Probleme der abrahamitischen Religionen als Fundamente der heutigen sozialen und religiösen Spannungen und Radikalisierungen aufzeigt. Man darf gespannt sein, wie es weitergehen wird.

Die Irrfahrt des Michael Aldrian.
Roman.
Frankfurt am Main: S. Fischer, 2017.
496 Seiten, gebunden.
ISBN 9783100660695.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 10.01.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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