#Prosa
#Debüt

Die Inschrift

Dimitré Dinev

// Rezension von Karin Cerny

Die Geschichten von Dimitré Dinev sind schwer nachzuerzählen, sie schlagen Haken, wie Hasen auf der Flucht. Sie umfassen mindestens ein Menschenleben, manchmal gehen sie über Jahrhunderte, entwickeln sich richtiggehend zur Familiensaga, ohne aber ausufernd zu werden. Dinev erzählt mit der fast-forward-Taste, hat einen Hang zum Skurrilen, auch zum magischen Realismus, ein bisschen in der russischen Erzählhaltung, die im Sinne Gogols zwar nah an der Gegenwart bleibt, die aber voller Abgründe und phantastischer Entgleisungen ist.

Ein Hals über Kopf verliebter Polizeiinspektor lässt eine Handtasche für seine Angebetete anfertigen, dass sie aus der Haut ihres Geliebten ist, weiß diese natürlich nicht. Bald sind die beiden Protagonisten tot, die Geschichte der Handtasche und welch magische Momente diese auslöst, geht aber noch lange weiter. Man mag sich von der Thematik ein wenig an Roald Dahl erinnert fühlen, obwohl Dinevs Erzählungen weniger unheimlich sind.

Der Erzählband Die Inschrift ist Dinevs erste Buchveröffentlichung, hervorgegangen aus einem Wettbewerb. Im Jahr 2000 hat Dinev, der 1968 in Bulgarien geboren wurde und seit rund zehn Jahren in Wien lebt, wo er Philosophie, Ethnologie und russische Philologie studiert, den vom Amerlinghaus ausgeschriebenen Literaturwettbewerb „schreiben zwischen den kulturen“ gewonnen. (Die Beiträge der restlichen Gewinner kann man in der Anthologie „grenzGänger“, herausgegeben von Christa Stippinger, nachlesen.)
Für ein Debüt beweist der Erzählband Sprachsicherheit, gemischt mit Fantasiereichtum. „Lazarus“ beginnt so: „Vielleicht war es die Nachlässigkeit, mit der sie den Sargdeckel über ihm zuwarfen […], oder es war einfach der Umstand, in einem Sarg zu liegen, den Lazarus als günstig empfand, um über sein Leben nachzusinnen.“ Daß Lazarus gar nicht tot ist, sondern gerade als „Illegaler“ in einem Sarg über die österreichische Grenze geschmuggelt wird, erfahren wir erst ganz am Schluss des Textes, der wie fast alle in diesem Band auch vom Leben und Überleben von Einwanderern, die nach Österreich kommen, erzählt. Texte, in denen Wörter wie Pass, Arbeit und DM magische sind. „Deutsche Mark, Es war eine magische Währung. Sie öffnete Türen und Herzen, sie bewirkte Wunder“, heißt es in „Lazarus“ an einer Stelle. In dieser recht konkreten Magie ist Dinev sehr überzeugend.
Nah am Kitsch, der das Archaische liebt, ist hingegen in manchen Passagen die titelgebende Erzählung „Die Inschrift“, die im 18. Jahrhundert beginnt und die legendenumwobene Geschichte einer Familie und eines Dorfes rekonstruiert. Frauen wollen da ein Haus aus Spinnweben, Männer möchten für sie nach einem Kreuz tauchen, das alles reinwäscht. Das passt zwar in eine ländliche Gegend im 18. Jahrhundert, hat aber doch auch etwas von jenen Büchern, die das Archaische verklärend gegen unsere nüchtern gewordene Welt setzen. So sicher und im Grunde lakonisch und trocken Diniv in seinem Stil ist, so mischen sich doch immer wieder unangenehm selbstverständlich Wörter wie „Beischlaf“ oder Sätze wie „Sie bewirtete ihre Körper und ihre Seelen“ in sonst recht gegenwärtige Geschichten.
Dinevs Methode, Leben in sehr komprimierter Form mit ihren wechselhaften Bewegungen abspulen zu lassen, glückt in „Ein Licht über dem Kopf“ insofern bestens, als sich über die Einzelleben hinaus ein größerer Horizont erschließt, nämlich das System Kommunismus und sein Zusammenbruch. Als für Findige plötzlich über Nacht vieles möglich wurde, als man das große Geld ebenso leicht verdienen wie es einem wieder zerrinnen konnte. Die Geschichte ist ein Auf und Ab. Gegen Ende kommt Plamen als Taxifahrer nach Wien, wo er gar keine guten Erfahrungen macht.
Was seine Stärke ist, schreibt Dinev am Ende der Erzählung „Spas schläft“ über zwei junge Bulgaren in Wien selbst: „Unerhört sind die Wunder der Wirklichkeit“. Und zwar im negativen wie im positiven Sinn.

Dimitré Dinev Die Inschrift
Erzählungen.
Wien: edition exil, 2001.
147 S.; brosch.
ISBN 3-901899-13-8.

Rezension vom 08.01.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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