Dorthin zu kommen, ist insofern gar nicht so leicht, weil zwar jeder „normale“ Slowake weiß, dass es Ghetto-ähnliche Romagegenden gibt, diese jedoch tunlichst meidet. Womit wir auch schon bei Gauß` kluger Definition eines „Slums“ sind: „Das Wesentliche an einem Slum ist nicht die Armut, nicht die Gewalt, nicht die Arbeitslosigkeit, nicht der Verfall. Das Wesentliche eines Slums ist seine Unsichtbarkeit.“ (S.22) Was der Schriftsteller gleich eingangs sichtbar macht, sind die historischen Wurzeln der heutigen prekären Situation: Die kommunistische Regierung hat in den 50er Jahren die Gleichstellung der Roma mit allen anderen slowakischen Bürgern proklamiert, was zunächst zwar positiv klingt, sich in der Folge aber als brutale Gleichschaltung erwies. Die Roma sollten sozialistische Bürger werden, ihre Siedlungen wurden aufgelöst, Arbeit in den Industriekombinaten sollte ihre angestammten Tätigkeiten ablösen. Was freilich schief ging: „Viele Roma zogen herum, aber sie wurden nirgendwo mehr erwartet; andere waren so undankbar, in den schönen Plattenbausiedlungen inmitten der werktätigen Klasse nicht glücklich zu werden, nahmen Reißaus und bildeten an den Rändern der Städte und Dörfer neue Siedlungen“ (S.12).
Die Plattenbausiedlung, in die sich Gauß zu Anfang seiner Reise begibt, trägt den schönen bürokratischen Namen „Lunik IX“ und gilt mit ihren 6000 Einwohnern als das größte Zigeunerghetto Europas: Ein gleichsam autonomes Gebiet, mit einer Art improvisierter Selbstverwaltung, einem Bürgermeister, Clanführern und Klassenunterschieden, die peinlichst genau beachtet werden. Eine Parallelwelt, deren Integration in die slowakische Gesellschaft scheitert. Was unterschiedliche Gründe haben kann, wie Gauß berichtet. So sind es nicht nur die Barrieren und Vorurteile von Seiten der „übrigen“ Slowaken, die zu Problemen führen, sondern auch die Unsicherheit, mit der viele Roma der modernen Gesellschaft gegenüberstehen. Als Beispiel nennt Gauß hier den heiklen Bereich der Bildung: In der traditionell männerdominierten Roma-Gesellschaft wird es nämlich oft gar nicht gerne gesehen, wenn Mädchen die Schule besuchen und später ihre männlichen „Beschützer“ womöglich nicht mehr brauchen.
Hier erweist sich der Salzburger Schriftsteller einmal mehr als umsichtiger, differenzierender Beobachter der Lage. Wie er natürlich auch nicht auf Polemiken verzichtet, etwa jene auf die Geschäftseuropäer aus dem Westen, die sich in letzter Zeit nur deswegen verstärkt um die Roma-Siedlungen kümmern, weil sie um ihren eigenen Wohlstand fürchten. Einmal mehr stimmt Gauß außerdem ein Hohelied an jene an, die sich ohne Eitelkeit und große Öffentlichkeit engagieren, wie etwa jene jungen Mitarbeiter der „Roma Press Agency“, die die Journalisten aus der Slowakei und der ganzen Welt mit Fakten über die Roma versorgen, um den üblichen sensationsgeilen Berichten entgegenzuwirken. Auch selbstironische Passagen machen das Buch lesenswert, man stelle sich den Autor etwa in der Lobby des gediegenen „Slovan Quartier“ in Kosice vor, wo er sich vor lauter Grauen vor den Businessleuten in einen Fauteuil verkriecht und sich mit schalem Heineken-Bier zu betrinken versucht.
Erst am Ende des Buches besucht der Autor jene titelgebende Romasiedlung von „Svinia“, „weit außerhalb des Dorfes, an einer sumpfigen Stelle“ (S.87). „Irgendwann vor vielleicht fünfzig Jahren ist das Roma-Dorf von Svinia von der Welt vergessen worden.“ (S.101) Heute sei es „aus der Zeit gerutscht“. Was es mit den „Hundeessern“ auf sich hat? Das sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur soviel: Auf Gauß als probates Mittel gegen Legendenbildungen und Klischeebilder ist Verlaß.