#Prosa

Die Hochzeit von Auschwitz

Erich Hackl

// Rezension von Helmut Sturm

Es ist eine Art Traum, eine ferne Erinnerung mit der die spanische Schwägerin ihren Bericht über den Wiener Rudi Friemel beginnt. Sie ist sich unsicher, ob sie überhaupt erzählen soll, ob ihr wirklich jemand zuhört. Sie weiß, dass es zu spät ist, Einbildung und Wirklichkeit auseinanderhalten zu können. Erich Hackl nimmt damit von vorneherein jeden Anspruch auf die Wahrheit zurück, schon im Motto von Sergio Atzeni , das er dem „Eine Begebenheit“ genannten Text voranstellt, bekennt er die Möglichkeit, dass manches ausgeschmückt, über manchen Tatsachen der Schleier des Erinnerns liegt und Berichte wie Schlussfolgerungen „verzerrt, verwandelt, verdichtet“ sein können. Es ist freilich diese unprätentiöse Nüchternheit, die andererseits das Unerhörte der Begebenheit exemplarisch macht.

Erich Hackl harmonisiert nicht, macht die Vielstimmigkeit seiner Quellen und mitunter auch ihre Widersprüchlichkeit deutlich. Die Stimmen der Söhne, der Schwägerin, von Spanienkämpfern aber auch eines ehemaligen Staatspolizisten werden vernehmbar. Behutsam packt der Erzähler die „Archivbox“ aus, liest Dokumente und Bilder. Er fördert die Geschichte einer Liebe zutage, die stark wie im Märchen und grausam wie in einer antiken Tragödie ist. Der Österreicher Rudi Friemel war nach Spanien gekommen, um mit den internationalen Brigaden gegen Franco zu kämpfen, und lernt im Frühjahr 1938 in einer Kampfpause am Ebro unter den Mujeres Antifascitstas Margarita Ferrer kennen. Bei der Verabschiedung, nachdem plötzlich ein Befehl zum Einsatz gekommen war, umarmt er auch deren Schwester und gesteht ihr, dass er sich in Margarita verliebt habe.

Friemel war in Wien bereits verheiratet, hatte einen Sohn. Vom Vater der Spanierin wurde er vor die Tür gesetzt. Komplizierte Verhältnisse in einer zerrütteten Zeit. Trotz aller Hindernisse kommt das Paar wieder zusammen. Marga wird schwanger. Nur kurz dürfen sie zusammen sein, denn mit der Flucht vor den siegreichen Franco-Truppen beginnt eine Odyssee der Trennung durch verschiedene Lager und Gefängnisse. Rudi wird zuletzt nach Auschwitz gebracht, Marga wird in Deutschland als Zwangsarbeiterin festgehalten.

Am 18. März 1944 um 11 Uhr wurden auf dem Standesamt Auschwitz Häftling Nr. 25173, der Mechaniker Rudi Friemel, und die Spanierin Margarita Ferrer getraut. Die Schwägerin erinnert sich an das Hochzeitsfoto: „Ein Paar schöner als im Kino. Margarita hat ein trauriges Gesicht, voll Kummer, aber er lächelt.“

Rudi Friemel wurde am 30. Dezember wegen versuchter Flucht aus dem Konzentrationslager in seinem Hochzeitshemd, „das mit Rosen bestickt war“, am Galgen, der vor einem Christbaum stand, mit vier anderen Männern erhängt. Marga und ihr Kind haben den Krieg überlebt.

Erich Hackl beendet seinen Bericht mit der lapidaren Feststellung eines Lager-Überlebenden: „Wer in Auschwitz war, hat für den Rest seines Lebens eine Hornhaut auf der Seele.“ Ich denke, dass diese Geschichte von einer großen Liebe, gerade diese „Hornhaut“ vermeiden helfen kann. Genauso wie die Hochzeit von Auschwitz nicht folgenlos geblieben ist. Am Tag der Hochzeit stand für zwei, die spätnachts über die Lagerstraße zu ihrem Block gingen der Entschluss fest, dass sie fliehen würden. Die Hochzeit war für sie der unwiderlegbare Beweis ihrer Existenz.

Rudi Friemel sei, so meint seine Schwägerin einmal, besessen gewesen vom Wunsch, Österreich vom Faschismus zu befreien. Trotz aller widersprüchlichen Erinnerungen scheint es glaubhaft, dass Rudi Friemel diesen Wunsch auch gelebt hat. Das sei die einzig mögliche und glaubwürdige Haltung, meint Erich Hackl in einer Rede zum Thema „Schreiben gegen den Faschismus – einst und heute“. Er zitiert da zur Untermauerung aus dem Gedicht „Landmeer“ von Guntram Vesper
„Wir dürfen unser/Leben/nicht beschreiben, wie wir es/gelebt haben/sondern müssen es/so leben/wie wir es erzählen werden: /Mitleid/Trauer und Empörung.“
Die Hochzeit von Auschwitz hilft, die Bedeutung dieser Verse zu erfassen.

Erich Hackl Die Hochzeit von Auschwitz
Eine Begebenheit.
Zürich: Diogenes, 2002.
185 S.; geb.
ISBN 3-257-06324-5.

Rezension vom 20.11.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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