#Roman

Die Hintertür

Inga Pfeiffer

// Rezension von Gianna Zocco

Was macht eine Buchhandlung zum „natürlichen Ort“ eines Verbrechens, was qualifiziert eine Buchhändlerin für eine Nebentätigkeit als Ermittlungsbeamtin? Das Naheverhältnis zwischen Literatur und Kriminalistik, zwischen dem Beruf des Detektivs und dem des Schriftstellers hat schon viele Autor/innen – etwa Edgar Allan Poe oder Paul Auster – dazu angeregt, in kriminalistischen Erzähltexten grundsätzliche Fragen nach den Möglichkeiten und Eigenschaften literarischen Erzählens zu stellen.

 

In Inga Pfeiffers mit „Krimi“ untertiteltem Roman Die Hintertür verhält es sich genau umgekehrt: Die Literatur wird zum „Hilfsmittel“ bei der Lösung eines Verbrechens.

Was ist geschehen? Der sozial engagierte Rechtsanwalt Anton Farkas wird ermordet aufgefunden – in der Buchhandlung der mit ihm befreundeten Buchhändlerin Sophie Treber, mitten im 7. Wiener Gemeindebezirk. Nicht nur das Opfer, auch der ermittelnde Polizist ist ein alter Freund von Sophie, die nun, hin und hergerissen zwischen ihren verschiedenen Loyalitäten und den sich überschneidenden Rollen als Freundin, Buchhändlerin und „soziale Hauptverkehrsader“ (S.52) des Bezirks, die Polizei bei ihren Ermittlungen unterstützen soll – und gleichzeitig, gemeinsam mit ihren engsten Freunden, eigene Ermittlungen aufnimmt, deren Ergebnisse nicht immer sofort mit der Polizei geteilt werden.

Die Ermittlungen führen im Wesentlichen in drei verschiedene Richtungen: Zu den Parteigängern des rechten Milieus, von denen eine Gegnerschaft zum Mordopfer, das im Asylbereich engagiert war, angenommen wird; zu einer „Problemfamilie“ des Viertels, die wegen eines früheren Falls negativ gegen den Rechtsanwalt eingestellt sein könnte; und schließlich weg aus Wien in die Ferne, zu Antons plötzlicher Rückkehr aus seinem Urlaubsort in Italien und zu unverständlichen Plänen über Mittelmeer-Kreuzfahrten und Kaffeehäuser in Spanien.

Doch was heißt ermitteln? Für Sophie und ihr Unterstützerteam bedeutet es zunächst: Möglichst viele Informationen zu den einzelnen „Strängen“ und „Motiven“ zu sammeln, vergangene Gespräche und Dokumente auf „Spuren“ hin zu überprüfen und entsprechend neu zu „deuten“, sich in Anton und diejenigen, deren Welt er möglicherweise in Unordnung gebracht hat, hineinzuversetzen und daraus eine möglichst kohärente „Geschichte“ zu „konstruieren“: Doch literarische Termini und Methoden haben nicht nur als Analogien ihren Platz, sondern auch ganz konkret: Sophie findet in ihrer Buchhandlung einen Stapel mit Büchern, der für Anton, der den Schlüssel zur Hintertür des Geschäfts besaß, reserviert war, und entdeckt Notizzettel mit Anmerkungen und Zitaten, die Anton bei seiner Lektüre gemacht hat (siehe Leseprobe). Die Interpretation dieser Notizen hilft Sophie entscheidend bei den Ermittlungen und bringt Licht in einige Bereiche von Antons Leben, die ihr bis dahin fremd waren.

Einer dieser Bereiche ist Antons Engagement für Asylwerber, der, so erkennt Sophie, Konsequenzen weit über den einzelnen Mord hinaus haben könnte: „Dieser Mord hat ihr nicht nur einen wichtigen und lieben Menschen genommen, er zerstört möglicherweise ein soziales Gefüge, für das sie sich mitverantwortlich fühlt.“ (S.16)

Es macht Inga Pfeiffers Krimi besonders interessant, dass sie sich einem so aktuellen, kontrovers diskutierten Thema zuwendet. Und sie erhöht ihren eigenen Anspruch noch, wenn sie in einer Anmerkung schreibt, dass ihre Darstellung des sozialen Gefüges als „Versuch einer neuen Ortsbeschreibung“ (S.352) intendiert sei. Tatsächlich schildert sie Sophies Wohn- und Arbeitsviertel, in dem die Grenzen zwischen 7., 8. und 16. Bezirk keine eigentlichen Grenzen darstellen, in einer Weise, die dazu anregt, sich beim Warten auf die Straßenbahn nach der einen oder anderen Person und dem einen oder anderen Geschäft und Kaffeehaus umzudrehen, da es aus dem Roman zu stammen scheint.

Doch birgt dieser enorm hohe Anspruch auf sowohl politische Aktualität und realistische Orts- und Charakterbeschreibung als auch auf literaturtheoretisch reflektiertes, intertextuelles Schreiben einige Gefahren, denen dieser sicherlich lesenswerte, spannende und unterhaltsame Roman nicht immer entgeht.

Zum einen sind die Dialoge und Gespräche Sophies mit ihren Freunden an manchen Stellen recht hölzern: Der Wiedergabe der direkten Rede sind umständliche Anmerkungen über Tonfall und begleitende Gestik beigefügt, die man sich als Leser/in lieber über die präzisere Formulierung der wörtlichen Rede selbst vorgestellt hätte. Ein kleines Beispiel: „‚Männlicher Instinkt!?‘, gibt der Professor zwar in fragendem Ton aber gespielter Überzeugung zurück.“ (S.276)

Zum anderen stellt sich, nachdem die Dimension der aktuellen Politik an vielen Stellen des Romans so intensiv thematisiert worden ist, die Frage, ob die Lösung des Mordfalls nicht auch eine, wenn nicht Stellungnahme, so doch weiterführende Frage zu diesem Aspekt enthalten sollte. In anderen Worten und mit einer Lesewarnung an all die, die über den Ausgang des Rätsels im Unklaren bleiben wollen: Birgt die Tatsache, dass die Lösung des Mordes dann doch in eine andere Richtung verweist und dass das soziale Gefüge des Viertels letztendlich als gefestigt und der Verdacht gegen Nachbarn und Bekannte als unbegründet erscheint, nicht die Gefahr, dass die angesprochenen Probleme am Ende des Buches als „nicht vorhanden“ wahrgenommen werden? Vielleicht ist die Welt, die in Die Hintertür dargestellt wird, letztendlich zu kohärent, zu verständlich und überschaubar, um dem Anspruch auf eine wirklich realistische Schilderung zu genügen.

Inga Pfeiffer Die Hintertür
Krimi.
Wien: Braumüller, 2010.
352 S.; geb.
ISBN 978-3-99200-017-3

Rezension vom 18.10.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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