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Die Herren Söhne

Peter von Tramin

// Rezension von Alexander Kluy

Zu früh, zu spät. Das beschreibt das Schicksal Peter von Tramins innerhalb der österreichischen (und deutschsprachigen) Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts ziemlich treffend. Den Zweiklang „Zu spät geboren, zu früh gestorben“ formulierte als erster Erik Wickenburg, Autor, Theaterkritiker und 1981 als Präsident des PEN-Clubs amtierend, in seinem Nachruf auf den am 14. Juli jenes Jahres verstorbenen Tramin, der im Jahr darauf seinen 50. Geburtstag gefeiert hätte. Und damals, zu Lebzeiten, schon halb vergessen war, obschon er für seinen vom Wiener Metro Verlag nun neu aufgelegten Roman Die Herren Söhne 1963 den Österreichischen Staatspreis verliehen bekam. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Zum einen haftete ihm der Ruf eines Schülers an, eines treuen Adepten Heimito von Doderers, ein Faktum, das allerdings von Doderer selber auf verbal überaus zweischneidige Art in doppelsinniges Lob gekleidet wurde. Denn Einzelgänger, der Doderer war, dürfte ihn der ab den späten 1950er Jahren existente Freundeskreis größtenteils Jüngerer eher als Adorantenpublikum und Echoraum interessiert haben denn als stilistisch wie erzählerisch gleichwertig talentierter Zirkel.

Zum anderen lag Peter von Tramin, der mit vollem Namen Peter Richard Oswald Freiherr von Tschugguel zu Tramin hieß, mit seiner traditionellen Auffassung vom Roman als Erzählvehikel vollständig quer zu den sechziger und siebziger Jahren, zum französischen Nouveau Roman und dessen Echo in Deutschland, zu den Reduktionen des Absurden Theaters, vor allem zu den durch und durch politisierten, sich flachem Alltagsrealismus verpflichtenden, anti-psychologischen, häufig anti-fiktionalen Texten nach 1968 ff.

Und zum dritten könnte das Absinken Tramins ins Legendäre und legendär Ungelesene auch, und vielleicht nicht zuletzt, auf seinen Verlag zurückgeführt werden; das Haus Langen Müller stand nicht eben im Ruch des Avantgardistischen, ganz im Gegenteil: Intellektuelle des linken Lagers, progressive Kritiker und Rezensenten mieden diese dem Populären verpflichtete Münchner Edition, deren Verleger, der zu seinen Hausautoren nicht nur Friedrich Torberg zählte, sondern vor allem Ephraim Kishon (den Torberg recht freihändig ins Deutsche übertrug), persönlich eindeutige Sympathien besaß für das im politischen Spektrum einem postnationalen Liberalismus völlig konträre Lager.

Hat all dies dazu beigetragen, dass Tramins Werk überschaubar ist und so rasch ins Vergessen absank? (Kurioserweise wurden Die Herren Söhne in der DDR aufgelegt und mehrfach nachgedruckt.) Und dass er gerade einmal drei Bücher veröffentlichen konnte; dass sein letztes Romanvorhaben so auswucherte, dass er darüber verstarb? (Ein ganz ähnliches Schicksal widerfuhr dem ebenfalls als „Doderer-Schüler“ apostrophierten Herbert Eisenreich, dessen Mammutroman Die abgelegte Zeit mit dem keineswegs kokett gemeinten Untertitel Ein Fragment wenige Monate vor seinem Tode 1986 in einem Wiener Kleinverlag erschien).

Es mutet als alles andere denn zufällig an, dass der Roman Die Herren Söhne, der als eine Art antiquarisches Phantom durch viele Köpfe und durch um österreichische Literatur nach 1945 kreisende Gespräche schwirrte, ausgerechnet jetzt wieder aufgelegt wird. Denn die von Jonathan Franzens Familienpanorama Die Korrekturen vor zehn Jahren eingeleitete Renaissance des breit angelegten Familienromans ist mittlerweile auch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur angekommen; wie auch und erst recht beim Publikum.

Tramin zielte auf nichts Geringeres ab als ein ausgreifendes Porträt der pars pro toto mundi stehenden besseren Wiener Gesellschaft der 1950er Jahre, dies an Hand von vier ungleichen Freunden/Nichtfreunden, von denen ein jeder den Vornamen „Peter“ trägt und die sich seit der gemeinsamen Lyzeumszeit kennen. Es ist das Porträt einer Generation, die weder Ziele hat noch supraindividuelle Überzeugungen hegt, keinerlei Ideale noch einschneidende Prägungen in sich trägt. „Ich hänge“, heißt es einmal aus dem Munde des mit dem Erzählen beauftragten Protagonisten Peter (von der) Schwengkh, „wie so viele Freunde von mir, mit meiner Weltanschauung eigentlich in der Luft. … Mama ist sechsunddreißig Jahre älter als ich, ihre Welt ist klein geworden, aber auch noch nach zwei Weltkriegen intakt. Meine hat es in Wirklichkeit gar nicht mehr gegeben.“ Wo ist der Ausweg aus einem Sein, das ein Nichts ist, in dem schon ein schrankenlos selbstvergnüglicher Hedonismus sein Lusthaupt erhebt? Dies exerziert Tramin durch mittels eines vielköpfigen, fein gezeichneten Personals, bei dem die Söhne, was der Titel bereits signalisiert, stets Bürgersöhne bleiben werden, schwache Nachgeborene, die dem traditionell vorgezeichneten Wegen nicht entrinnen; und bei denen es die soignierten Herren Väter nicht selten „richten“.

Ein jeder der vier Peter, die drei des Adelstitels verlustig gegangenen Peter von der Schwengkh, Peter Baron Schelnhausen, Peter Graf Chensky, ein charmant-leichtherziger Schlemihl, und der Bürgerliche Peter Fechtner, steht für eine Ab- und Unterart der Verarbeitung eines lebensnihilistischen Existenzwurmfortgangs. In barock angereicherter Sprache wird am Bürgerlichen Fechtner ab der Maturafeier Jahre lang vor allem vom skrupellosen Seinszyniker Schelnhausen ein Experiment am lebenden, zitternden, fühlenden Menschen durchgeführt, das schließlich zu dessen Vernichtung führt. In diesem detailgesättigten und an Atmosphäre reichen, der Tradition sich stets bewusst seienden Zeitroman verbirgt sich ein psychologisches Kammerspiel voller Demütigungen, falscher Sentimentalitäten und sexuell morbider derber Ausschweifungen, philosophischer Mittel, Schuld, menschlicher Blind- und moralischer Schlaffheit und unheilvoll praktiziertem Gefühlsterrorismus. Somit ist dieser österreichische Nachkriegsroman keineswegs nur ein wichtiges Monument der Literaturhistorie. Sondern er scheint, erneut, zur rechten Zeit zu kommen, nicht zu früh, noch zu spät.

Die Herren Söhne.
Roman.
Wien: Metro Verlag, 2011.
416 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-99300-062-2.

Rezension vom 14.02.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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