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Die Haischwimmerin

Heinrich Steinfest

// Rezension von Spunk Seipel

Heinrich Steinfest verfügt über einen eingeschworen Kreis von Fans, der sehnsüchtig auf jede neue Erscheinung des Autors wartet. Nun liegt Die Haischwimmerin vor, ein weiterer Kriminalroman mit der „besten Polizistin der Welt“, Lilli Steinbeck. Es ist dennoch keine direkte Fortsetzung des Erfolgsromans Die feine Nase der Lilli Steinbeck, obwohl einige Figuren aus diesem Buch wieder auftauchen. Vielmehr wird die Geschichte davor und danach erzählt, wobei sich der Autor in einigen unwesentlichen Details korrigiert.

Lilli Steinbeck ist eine Frau, die immer alles richtig macht und noch dazu immer auf das beste gekleidet ist. Nur ihre Nase, die an die Klingonen aus Raumschiff Enterprise erinnert, entstellt ihr Gesicht. Aber das stört niemanden weiter, der mit ihr zu tun hat. Im Gegenteil, es scheint ihre Perfektion noch zu unterstreichen.

In Die Haischwimmerin wird ein Teil der Biografie von Lilli Steinbeck erzählt, von ihren Studienjahren in Rom, wo sie Ivo Berg kennenlernt und von ihm schwanger wird. Mit ihm will sie in ein geerbtes Haus in Giesentweis in Schwaben ziehen, da sie glaubt, dass Kinder in einer gesunden Luft aufgezogen werden müssen. Doch in der ersten Nacht in Giesentweis kommt es zu tragischen Ereignissen. Ivo Berg gerät an eine prügelnde Gruppe Jugendlicher, wird von diesen in eine Bauruine entführt und entdeckt so einen Jungen, der gerade Selbstmord begeht. Er rettet ihn in letzter Sekunde, aber der Junge bleibt schwerbehindert. Ivo stellt sich die nächsten Jahre die Frage, ob dies ein lebenswertes Leben ist. Eine moralische Diskussion wird hier als Nebenschauplatz eingeführt, ohne sie wirklich auf den Punkt zu bringen.

Während Ivo Leben rettet, gerät Lilli bei der Suche nach ihm in einen Verkehrsunfall, verliert ihr ungeborenes Kind und behält als Unfallfolge die zerquetschte Klingonennase. Lilli trennt sich von Ivo, den sie als Kindsvater nun nicht mehr braucht und wird Polizistin, erst in Wien, später in Athen. Ivo hingegen bleibt in Giesentweis und wird Baumdoktor.

Jahre später erhält Ivo den Auftrag, eine ganz spezielle Sorte der Dahurischen Lärche, die für die Pharmaindustrie wahre Wunder verspricht, in Ostsibirien zu suchen und nach Deutschland zu bringen. Mit einem unguten Gefühl tritt Ivo die Reise an und wartet in dem von Kriminellen regierten Ochotsk fast wie ein Gefangener auf das Ende des Winters, um die Expedition antreten zu können. Begleitet wird er von einer tauben Frau und dem elfjährigen Waisenkind Spirou, das mit Hilfe eines alten, fleckigen Comicbandes perfekt deutsch gelernt hat und ein Fantasiekostüm trägt. Sie treffen mitten in der sibirischen Wildnis den griechischen Detektiv Spiridon Kallimachos. Er ist schon aus Die feine Nase der Lilli Steinbeck bekannt. In Ostsibirien wird der fette Kettenraucher von den Ureinwohnern als Gott verehrt und auf einer Sänfte durch die Landschaft getragen. Er führt Ivo, Spirou und die taube Frau in die unterirdische Stadt Toad’s Bread, einen internationalen Fluchtpunkt für Kriminelle. Hier trifft Ivo wieder auf Lilli, die eine Mordserie aufklären soll. Toad’s Bread ist ein Begriff für Fliegenpilze und von diesen ernähren sich die Bewohner hauptsächlich. Genauso wirken auch die Schilderungen der Stadt, wie auf einen Drogentrip geschrieben, teils Alptraum, teils Wunschbild.

Erst hier unten, in der Welt der Kriminellen, die alles dulden außer Zuhälterei und Mord, wird der Roman zu einem Kriminalroman. Allerdings findet der Autor für seinen Fall eine phantastische Lösung, die jedem Krimi hohnspricht. Wichtiger als die Lösung ist dann doch das glückliche Zusammenkommen von Ivo und Lilli nach jahrzehntelanger Trennung und dass das Waisenkind Spirou eine neue Familie findet. So könnte man dieses Buch fast in die Rubrik der Liebesromane mit kitschigem Ende stellen, wenn der Autor nicht mit einer Überzahl von Einfällen und Ideen glänzen würde, die seine Geschichte vor diesem Schicksal bewahren. Manchmal scheint er sich selbst ein bisschen davor zu fürchten, so erwähnt er mehrmals, dass es sich eben nicht um einen Fantasy- Roman handelt. Seine Fans würden dies auch bestreiten, sie haben der Einfachheit halber für den Autor eine neue Gattung, die „Steinfestliteratur“, erfunden. Das ist eine große Würdigung.

Dennoch, das Buch kann auch anstrengen. Der Autor scheint manchmal nur zu schreiben, um seine Meinung zu allem und jedem in der Welt zu äußern. Oft sind diese ‚Weisheiten‘ einfach nur spießig, zuweilen gar ermüdend, wenn sich Heinrich Steinfest zum Beispiel seitenlang über die Jagd auslässt oder wenn er jeden neuen Absatz mit einem Statement abschließt, wie man die Welt zu sehen habe.

Trotz der Kritik, der Autor hält den Spannungsbogen aufrecht, verbindet Orte, Zeiten und Personen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, und macht den Leser auch auf bisher unbekannte Länder und Kulturen neugierig. Die Fans von Heinrich Steinfest können sich über dieses neue Buch freuen, das wieder in den wunderlichen Kosmos des Autors entführt.

Die Haischwimmerin.
Kriminalroman.
München: Piper Verlag, 2011.
352 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-492-05407-2.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 04.11.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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