Die Neugierde war nie auf die nächste Umgebung beschränkt, sondern war und ist sozusagen unerschöpflich und gilt vor allem fremden Städten und Ländern sowie anderen Menschen und deren Geschichten. Mit den „Reiseaufzeichnungen“ könnte man ein – zwar lückenhaftes, aber doch sehr interessantes – Zeit-Weg-Diagramm des dreiundsiebzigjährigen und jung gebliebenen Dichters aus Wien erstellen.
Die große Straße versammelt erstmals in einem Buch Aufzeichnungen aus fünf Jahrzehnten und drei Kontinenten. (Zeit und Weg!) Der Reisende Peter Rosei beobachtet scharf und schreibt viel auf, weil er viel weiß. Er vermittelt der Leserin und dem Leser Bilder, Eindrücke, Gerüche, Klänge und noch viel mehr. Dem sogenannten Fremden, dem Unbekannten nähert er sich geduldig und mit Faszination, das heißt, mit Achtung und Respekt.
Peter Roseis „Reiselabyrinth“ hat seine Koordinaten in Bratislava, Istanbul, Los Alamos, Moskau, Paris, Peking, Seoul, mit all der Buntheit der Welt und Vielfalt der Menschen. Dabei ist der Autor unzweifelhaft – auch – auf der Suche nach sich selbst. „Ich suche das Andere, das Fremde – weil ich dort auch bin. Ich möchte auf den Klepper, den Tiger, den Wurm oder Elefanten der Welt aufspringen, um mich tragen und forttragen zu lassen.“ Und dennoch hat er nicht jede Reise dokumentiert. Die Aufzeichnungen hält er für ein Logbuch, das seine Lebensgeschichte festhält. Außerdem besitzt er „ein Köfferchen, in dem ich Stadtpläne aufbewahre.“
Das Buch gliedert sich in vier Kapitel. „Weiter, weiter“ berichtet im Wesentlichen von Asien-Reisen und beginnt in China. Der amerikanische Block „The Americas“ stammt aus verschiedenen Zeiten. Die Bildungsreisen findet man in „Europa“ und die Unternehmungen der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts im Kapitel mit dem illusorischen Titel „Reise ohne Ende“. Peter Rosei hat mehrere Bücher, die früher erschienen sind, zu dieser Sammlung vereint. Einige Texte, heißt es in der Vorbemerkung, hat er ausgeschieden, einige wenige unwesentlich verändert, die große Zahl hat er unverändert aufgenommen.
Die Grundlage des Sammelbands sind vier heute vergriffene Bücher, und zwar die „Reise ohne Ende“, die im Jahr 1983 im Suhrkamp Verlag erschienen ist, die „Fliegende[n] Pfeile“ von 1993 aus dem Klett-Cotta Verlag, „St. Petersburg, Paris, Tokyo“ von 2000 aus dem Verlag Sonderzahl und das „Album von der traurigen und glückstrahlenden Reise“ von 2002 aus dem Droschl Verlag. Fast alle Texte hat Peter Rosei vor der Buchpublikation in Feuilletons verschiedener Zeitungen veröffentlicht. Die frühesten Notizen stammen aus dem Jahr 1972, die neuesten aus 2016.
Der Anlass der Reisen waren nicht selten Lesungen oder Poetik-Dozenturen in weit entfernten Gegenden, so in China oder den Vereinigten Staaten von Amerika. Manchmal hat ihn seine Familie begleitet, diese Notizen gehören zu den interessantesten, da er schildert, wie man sich zu dritt organisieren muss, und dann war er wieder allein unterwegs. Es wäre nicht der juristisch gebildete und intellektuell versierte Peter Rosei, wenn seine Reiseaufzeichnungen nebst Geografie nicht mit Gesellschaftsfragen, Kritik allgemeiner Art, Kunst, Politik, Religions“philosophie“, Soziologie, Sprachen und Volkswirtschaft gespickt wären.
Roseis Reisen sind ein existenzieller Zustand und eine besondere Befindlichkeit, die – in Russland, Transsilvanien oder anderswo – naturgemäß mit Risiko und Veränderung sowie Neugier auf Unbekanntes verbunden ist. Das Ergebnis seiner Weltenbummelei auf hohem Niveau sind schriftstellerische Impressionen, die einerseits aus einer gewissen Sehnsucht und andererseits wohl aus Fernweh geboren sind.
Dieses Buch muss niemand von vorn nach hinten, von Seite 1 bis 254, geordnet und in einem Zug lesen. Man kann in Roseis literarische „Reiseveranstaltung“ einsteigen, wo man will, in Venedig, Wien oder Salzburg, Warschau, Peking oder Bangkok. Es ist allemal anregend und spannend. Peter Rosei vermittelt nämlich fast die ganze Welt in einem Buch.