Wohl aus zweierlei Gründen: Zum einen hatte der Schriftsteller, ohnehin an ausgedehnte Reisen gewohnt, bereits 1925 als Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Paris gearbeitet und die Metropole an der Seine kennen und lieben gelernt. Als er Anfang 1933 ins französische Exil gehen musste, fand er sich daher ohne größere Probleme zurecht und konnte von dort aus dank seiner Kontakte weiterhin publizieren – wenn auch freilich ohne Absatzmöglichkeit in Deutschland. Zum anderen setzte Roths Hass auf das Dritte Reich eine kreative Energie unerhörten Ausmaßes frei. „Das nahezu pausenlose Schreiben war für ihn eine Aufgabe, die dem Dasein Inhalt verlieh und gleichzeitig eine nahezu pausenlose Konzentration erforderte, die eine Projektion seiner überwachen Phantasiewelt ins Objektivierte und somit teilweise eine Ablenkung von den inneren Spannungen herbeiführte“, beschreibt Roth-Biograf David Bronsen den Zustand des Schriftstellers. Mehr als die Hälfte seines literarischen Werkes entstand während der sechs Jahre im Exil, darunter Werke wie Die Legende vom heiligen Trinker, Das falsche Gewicht und Die Kapuzinergruft.
Beachtlich sind auch die publizistischen, politischen Beiträge Roths aus dieser Zeit.
In dem vorliegenden Band sind sie erstmals gesammelt, herausgegeben vom österreichischen Schriftsteller und Germanisten Helmut Peschina, der auch das Vorwort beisteuert. Schon die Überschriften der Artikel und Polemiken sprechen Bände: „Der Tod der deutschen Literatur“ (1933), „Europa ist nur ohne das Dritte Reich möglich“ (1934), „Der Mythos von der deutschen Seele“ (1938), „Die Hinrichtung Österreichs“ (1939).
Zunächst ging es Roth darum, zwischen der „wahren“ deutschen Kultur und der Unkultur der Nazis und ihrer Sympathisanten zu differenzieren: In dem Aufsatz „Das Autodafé des Geistes“ etwa bezeichnet er die Emigranten als „erste Welle der Soldaten, die unter dem Banner des europäischen Geistes gekämpft haben“. „Wir sind die einzigen Repräsentanten Europas, die nicht mehr nach Deutschland zurückkehren können. […] die einzigen legitimen deutschen Repräsentanten dieser Kultur“ (S. 44 f.). Ein Motiv, das der Autor oft wiederholt – etwa bei einer verbittert atemlosen Aufzählung deutsch-jüdischer Schriftsteller und ihrer Werke (von Peter Altenberg bis Arnold Zweig).
Gleichzeitig müssten die Emigranten und mit ihnen die kultivierte Welt erkennen, dass sie eine Niederlage erlitten hatten, die Barbarei regiere und ohne deren Überwindung könne kein friedliches Zusammenleben in Europa zustande kommen. Konsequenter Weise schreibt Roth daher bereits 1933 in einem Brief an seinen Freund Stefan Zweig: „Ich fürchte, daß ich in die Lage gerate, einen möglichst schnellen Krieg wünschen zu müssen“ (S. 24). Scharf fällt das Urteil über jene aus, die auf Appeasement setzen oder gar das Dritte Reich (mehr oder weniger gutgläubig) unterstützen – wie etwa Gottfried Benn, der in seinem berühmten offenen Brief an die Emigranten diese zum Verständnis für die naturgewaltige nationalsozialistische Revolution aufforderte und es unverständlich fand, dass man sich vor ihr unverantwortlicher Weise ins Ausland rettet. Ähnlich Karl Kraus mit seiner Polemik gegen Benn in der Dritten Walpurgisnacht greift Joseph Roth in seinem Aufsatz „Dichter im Dritten Reich“ mithilfe entlarvender Benn-Zitate den Lyriker an. Auch an anderen Stellen fühlt man sich zwangsläufig an Karl Kraus erinnert, etwa wenn Roth den Aufsatz „Das Dritte Reich, die Filiale der Hölle auf Erden“ mit dem Satz beginnt: „Seit siebzehn Monaten sind wir nun an die Tatsache gewöhnt, daß in Deutschland mehr Blut vergossen wird, als die Zeitungen Druckerschwärze verbrauchen, um über dieses Blut zu berichten“ (S. 56). Bemerkenswert ist, dass Roth die Traditionslinie der nationalsozialistischen Bewegungen bis weit in die deutsche Geschichte hinein sieht und gleichsam als tragische, aber folgerichtige Konsequenz des deutschen Junkertums deutete.
Was die Texte auch offenbaren, ist Roths – aus heutiger Perspektive naiver – Glaube an die politische Potenz der Habsburger bzw. der katholischen Kirche. Nur diese beiden Institutionen könnten Europa noch vor dem Untergang retten, ist der Schriftsteller bis zum Schluss überzeugt: Er wollte diesbezüglich sogar bei Bundeskanzler Schuschnigg vorsprechen, freilich vergebens. Aus Roths Kommentaren zum Anschluss spricht nur mehr Verbitterung. Als im Juni 1938 seine Dauerresidenz in Paris, das Hotel Foyot, abgerissen wird, schreibt er: „Man verliert eine Heimat nach der anderen, sage ich mir. Hier sitze ich am Wanderstab. Die Füße sind wund, das Herz ist müde, die Augen sind trocken“ (S. 19).