#Roman
#Prosa

Die Farben der
Grausamkeit

Joseph Zoderer

// Rezension von Spunk Seipel

Es ist eine Flucht vor sich selbst, die Joseph Zoderer in seinem Roman Die Farben der Grausamkeit beschreibt. Der Radiojournalist Richard hat eine Affäre mit der jungen Praktikantin Ursula und quält sich mit Gewissensbissen gegenüber seiner Frau Selma. Er selbst glaubt sein Familienglück durch die aufwendige Restaurierung eines einsamen Bergbauernhofes, gleich zwei Pässe von der Stadt entfernt, retten zu können.

Das Idyll wird mit sprachgewaltigen Bildern beschrieben. Der Lärm der Zivilisation bleibt ebenso aus diesem Paradies ausgesperrt wie die sozialen Kontakte auf das Nötigste reduziert werden. Bücher und Natur sind alles, was er seinen beiden Söhnen Rik und Tom und seiner Frau, aber auch am liebsten sich selbst, gönnt. Er hofft so, der Erinnerung an Ursula entfliehen zu können, seiner Familie ein sicheres Nest zu bauen, was ihm aber nicht gelingt. Ursula kann er nicht aus den Kopf bekommen. Jeder Stein, jedes kleinste Ereignis kann ihn plötzlich wieder an die junge Frau erinnern. Schließlich wird er als Auslandskorrespondent nach Paris und London, später  nach Berlin versetzt. Das sind die Metropolen, die im krassen Kontrast zu seinem Berghof stehen. Dort holt er all das kulturell nach, was er in den Bergen verpasst hat und seiner Frau auch weiterhin verweigert.

Im Gegensatz zu dem zeit- und ortlosem Bergidyll listet Joseph Zoderer die Orte und Ereignisse für jeden besseren Kulturtouristen in Berlin Ende der 1980er Jahre fast wie ein Chronist auf. Die von ihm genannten Ausstellungen und Theateraufführungen fanden allerdings im Jahr 1988 statt, als Berlin europäische Kulturhauptstadt war, nicht 1989, dem Jahr, in dem sein Protagonist sich in Berlin aufhält. Aber das tut nichts zur Sache, denn es dient lediglich dazu den Kontrast aufzuzeigen, den diese verschiedenen Welten für Richard bieten. Doch selbst in Berlin hat er sich in die Natur zurückgezogen. Er wohnt am Rande des Grunewalds. Dort sammelt er seine Energie in Naturerfahrungen. Das aufregende Leben einer Metropole, das Nachtleben, politische Diskurse, kulturelle Experimente jenseits der Hochkultur bleiben ihm fremd, ohne dass er es sich selbst eingestehen will.

Durch Zufall trifft er in Berlin auch wieder auf Ursula, die sich weiterentwickelt hat, in Barcelona mit einem bekannten schwulen Poeten verheiratet ist und in der Szene einen gewissen Namen hat. Die Liebe flammt wieder auf. Alle Sicherheiten, die Richard in Bezug auf seine Familie haben glaubte, sind ausgelöscht. Auch die Besuche in den Bergen, bei denen das Ehepaar kaum miteinander spricht, weil Richard nicht die richtigen Worte finden kann, wecken mehr Zweifel als dass ihm klar wird, wohin er wirklich gehört.

Die politischen Umwälzungen in Ostberlin, der Mauerfall, all das geschieht wie ein Hintergrundrauschen. Es ist seine Arbeit, davon zu berichten, doch ihn beschäftigen nur seine Zweifel. Ein wunderbares Bild ist dem Autor damit gelungen: Eine Welt geht unter, doch nur die Liebe interessiert. Als er sich gegen seine Familie entscheidet und zu Ursula nach Barcelona fliegt, lehrt ihn diese sehr schnell, dass für ihn nicht wirklich Platz in ihrem Leben ist. Er, der nur auf höchstem Niveau konsumieren kann, ist nicht geschaffen für ihre Welt voll dunkler Kneipen, wo Transvestiten, Huren und zwielichtige Männer auftauchen. Ursula liebt ihn, aber sie kann und will nicht mit ihm leben. Richard kehrt zurück in die Berge.

Joseph Zoderer hat ein Buch voll poetischer Sprache geschaffen. Manchmal sind es zuviele der Bilder, und zu Beginn wirkt die Erzählung dadurch etwas unentschlossen. Dabei spiegelt die Sprache die Situation des Protagonisten. Bilder, in denen Farben eine dominierende Rolle spielen, zeigen den Seelenzustand des innerlich zerrissenen Mannes, der durchaus spürt, dass seine Unentschlossenheit eine Grausamkeit gegenüber seiner Familie ist.

Die Gefühle und Gedanken der Frauen werden allein aus der Sicht von Richard geschildert, auf dessen Seelenleben der Autor sich ganz konzentriert. Aber geht es ihm wirklich nur um die Entscheidung zwischen zwei Frauen? Das Buch thematisiert schließlich auch die Frage, in welcher Welt Richard leben will. In einem auf den ersten Blick aufregenden kosmopolitischen Herumtreiben in den Metropolen oder in einer festen, stabilen Beziehung mit einer Familie in der stillen Heimat?

Joseph Zoderer schildert damit ein Problem, das fast jeden einmal beschäftigt, in einem emotional bewegenden Roman, der noch lange nachwirkt, nachdem man das Buch zur Seite gelegt hat.

Die Farben der Grausamkeit.
Roman.
Innsbruck: Haymon Verlag, 2011.
336 Seiten, gebunden.
ISBN: 978-3-85218-684-9.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 18.03.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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