Schon die Aneinanderreihung der Zitate an den Kapitelanfängen gibt einen Vorgeschmack auf den Inhalt des Buches. Suchen Sie keine Logik darin, lassen Sie sich einfach darauf ein und lesen Sie mit „Die Farbe des Schmerzes“ eine dunkel-violette Geschichte des Verrats, einen Entwicklungsroman schauriger Dimensionen des Alltags. Menschen, die man leichthin als durchschnittlich einordnen wollte, werden zu Vollstreckern ihrer Ängste. Scheinbare Kleinigkeiten bringen ungeahntes Aggressionspotential zum Überlaufen, es verklebt sich in den kleinsten Ritzen des Daseins. Wie Blutegel verbeißen sich Gewalt in der Familie, Alkoholsucht und die Wut enttäuschter Liebe in die persönlichen Schutzzonen der Figuren und saugen das Gute aus ihren Leibern und Seelen, das Böse kann ungehindert in den Köpfen und Körpern wuchern.
Harald Schwinger komponiert die Handlung seines neuen Romans aus Horror, Schmerz und beklemmender Skurrilität und lässt den Leser aus der Vogelperspektive zusehen: „Wer nicht atmet, stirbt.“
Dem Drang, die Geschichte zu verorten, die Figuren zu positionieren, stellt der Autor Phantasienamen wie Pfrin, Lyrön, Dristin, Vrona, Fesse Mrk entgegen. Der Ordnungsdetektor sucht nach Anhaltspunkten, zeigt skandinavische Skalen, um unmittelbar wieder in südlichere Sphären zu holpern, nach Akutowai, einer Stadt am großen See, der dem Nebel permanent Nachschub liefert. Nur die Eisdecke im Winter gibt den Sonnenstrahlen die Möglichkeit, die Menschen zu erreichen und für wenige Wochen als Wärme des Himmels in die Gassen zu kriechen. Wir gehen ein Stück mit Pfrin, dem kleinen Jungen, der die Fesseln häuslicher Gewalt nicht abstreifen kann und die erlebten Aggressionen an seine Umwelt weitergibt, wie Steinwürfe aus blätterrauschender Deckung. Er verlässt seinen Geburtsort, versucht die Vergangenheit zurückzulassen … „Akutowai gab ihm das Gefühl, unsichtbar zu sein, und der Dunst machte auch die anderen unsichtbar oder zumindest nicht so greifbar.“ Der Verrat nimmt seinen unaufhaltsamen Lauf, als Kettenreaktion blutigen Ausmaßes. Die Lebenslinien der Figuren verknoten sich in verhängnisvoller Manier und werden gordisch gelöst.
Das Geschehen gewinnt nach den ersten hundert Seiten zunehmend an Tempo, das Ende ist in all der behäbigen, grausamen Ausweglosigkeit fulminant und es bleibt zu bedenken: „Wer behauptet, die Wahrheit sei besser als das Ungewisse, hat nichts verstanden.“
Das Poetische, unter anderem in der malerischen Entladung gehörter Gefühle, zeugt von wohltuender handwerklicher Fertigkeit des Autors und unterscheidet diesen Roman von plänkelnder Brachialunterhaltung, wie wir sie in anderen sogenannten Kriminalromanen, deren Hype unerklärlich bleibt, allzu oft finden.
Der kleine Logikbruch in der meteorologischen Entwicklung des Himmels über Akutowai (S. 61), der die Stadt vom Nebel befreit und letztendlich doch sommerliche Sonnenhitze auf den fischmanischen Ederim niederknallen lässt, kann als dramaturgischer Effekt durchgehen. Bei so viel Gewalt verzieht sich sogar der Nebel zur unpassenden Zeit.
Die Farbe des Schmerzes ist der zweite Roman von Harald Schwinger, zwischendurch erschienen ein Drama und Erzählungen, ebenfalls in der gediegen schönen Aufmachung der Edition Meerauge. Wollte man eine Genrezuordnung machen, könnte man den Text als Unterhaltungsliteratur zwischen Kriminalgeschichte, Horrorfragment und Alltagsphantasie kategorisieren. Gute Unterhaltungsliteratur! Die auf jeder Seite mitschwingende Gesellschaftskritik, und zwar an der Gesellschaft im Hier und Jetzt, macht diesen Roman zu einem beachtenswerten Stück Lesestoff. Das Bizarre der Handlung und ihrer Protagonisten kann die Realitätsnähe der Ereignisse nicht endgültig tilgen. Nach dem Zuklappen des Buchs verbleibt ein seltsames Gefühl der Betroffenheit, das Wissen, dass keine Chance besteht, die Dinge als reine Fiktion beiseite zu schieben.
Also, achten Sie auf die schrägen Vögel in Ihrem Umfeld und bitte füttern Sie sie nicht!