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Die Fackel

Karl Kraus (Hg.)

// Rezension von Heinz Lunzer

Die Zeitschrift Die Fackel, von 1899 bis 1936 von Karl Kraus herausgegeben und zu einem großen Teil von ihm auch geschrieben, ist ein enormes literarisches und zeitgeschichtliches Werk – nicht nur dem Umfang und der Energie eines Menschen nach, auch gemessen an der Informationsmenge, der Standpunkte und des Kontroversiellen, die darin enthalten sind. Wie kommt man ihr bei, wie kommt man mit ihr aus (denn an ihr vorbei kommt man nicht), wenn man nicht Zeitgenosse war und sie in den Portionen des mehr oder weniger regelmäßigen Erscheinens der Hefte (zwischen 4 und 316 Seiten stark, 922 Nummern) zu sich nehmen konnte? Wenn alles auf einem Mal vor einem ist?

Der Leser verfällt unweigerlich ins Schmökern, bleibt da oder dort und an hundert Stellen hängen und freut sich über die Vielseitigkeit, die Breite, die immer neuen Aspekte der Themen Menschen, Lügen, Schönfärbereien, Aberwitz und an Kraus‘ Biß. Oder er sucht etwas und findet’s nicht leicht, weil die vielen tausend Seiten unübersichtlich sind.
Bisher halfen da ein Personenregister (Ögg), ein „Sachnamen- und Jargonregister“ (Modern Austrian Literature, Vol. 8, Nr. 1-2, 1975, S. 181-210), bibliografische Verzeichnisse der Titel (Hink) oder privat angelegte Verzeichnisse und man benützte die originalen Hefte, den Reprint bei Kösel oder den bei Zweitausendeins, alle vergriffen, aber doch immer wieder antiquarisch zu haben.
Nun gibt’s die Fackel als CD-ROM: der gesamte Text aller 922 Nummern, zusätzlich Hinks „Bibliographie und Register“ [s. Anm. 1] und Pfäfflin/Dambachers „Der ‚Fackel‘-Lauf“ [s. Anm. 2], zu einem stolzen Preis.

Hier mein Erfahrungsbericht.

Lesen auf der CD-ROM?
Die CD-ROM-Edition der Fackel ist nicht zum Lesen da, sie dient dem Nachschauen. Wer das Riesenwerk hier lesen möchte, wird bald müde (wie immer beim Lesen auf dem Bildschirm) – aber das ist nicht der CD-ROM anzulasten. Man vermiß aber nicht nur das Haptisch-Faszinierende der Hefte, des Blätterns, wenn man sie im Original vor sich hat, sondern, gravierender, auch den optischen Eindruck des Druckbildes, das Kraus mit großer Sorgfalt gestaltet hat. Der Eindruck von Seite, Doppelseite, Textanordnung im Heft und die Gestaltung des auf wechselnd rotem Papier gedruckten Umschlags mit seinen vier Seiten geht auf der CD-ROM (teilweise naturgemäß) verloren.

Optisch-Ästhetisches
Zwar sind die Umschlagseiten U1 bis U4 jedes ‚Fackel‘-Heftes faksimiliert (ohne die unterschiedlichen Rottöne wiederzugeben und ohne sie im Feld der Pagina über der Seite zu bezeichnen [also „U1“ statt „—“ wäre wünschenswert – z.B. die leere U2 von F 400 zeigt nichts), und alle Abbildungen sowie die Fackel-Symbole, die Kraus im Inneren der Hefte als Trennung zwischen Artikeln benützte – aber der Text selbst ist nicht faksimiliert, sondern als Fließtext in neuer Schrift wiedergegeben. Wie das Schriftbild der Fackel als CD-ROM aussieht – naja, seit Kraus tot ist braucht man sich nicht mehr so anstrengen … Es ist erstaunlich, mit welcher Unsensibilität entgegen den ausdrücklichen Anweisungen von Kraus Leerzeichen, Abstände, Einzüge – mißachtet werden. Selbst die Proportionen der Schriftgrößen, z. B. Überschriften zu Fließtexten, sind dem Vorbild nur halbherzig angenähert und nicht genau nachgebildet. Für Kraus waren solche „Details“ wichtige Fragen der Gestaltung. Das Gefühl des Betrachters für die gestaltete Seite geht verloren – auch der fragende Blick, ob da oder dort etwa die Zensur Leerstellen hervorgerufen habe, kann nicht sicher urteilen.
Einem Korrektor müßte doch auffallen, daß in F 778.1 im 2. Motto ein Gedankenstrich in der oberen Zeile, der folgende Beistrich in der nächsten Zeile steht oder 3 Zeilen darunter zwei Gedankenstriche auf zwei Zeilen verteilt blieben.
Die Schriftgrade des Fließtextes sind außerdem recht klein, auch das erleichtert Schmökern nicht.

Der Text
Der „Volltext“ gibt also immerhin den genauen originalen Wortlaut der Zeitschrift (wie er in den Reprintausgaben gedruckt wurde) völlig unverändert wieder [„Morgenathem“, „Oesterreich“, etc.].
Ist zwar der optische Eindruck des Originaltexts dahin, so sind doch alle Hervorhebungen zumindest in Annäherungen berücksichtigt – die Überschriften, die Sperrungen, die verschiedenen Schriftgrößen und -stärken, auch wenn zwei Spalten Text laufen oder die Verschmälerung einer Spalte eine Besonderheit (ein Zitat, einen lyrischer Text, etc.) markiert. Initialen, grafische Chiffren, Striche, Rahmen, Pausezeichen werden als Abbild wiedergegeben. Kraus‘ Anführungszeichen sind genau wie im Vorbild deutsche Guimets oder Gänsefüßchen.
Insgesamt ist der Scanvorgang äußerst sorgfältig gemacht worden [hier ist ganz großes Lob zu zollen], ich habe in langen Nächten der Arbeit mit der CD-ROM neben dem „l.u.“ ohne Spatium (siehe unten) nur einen zweiten Lesefehler gefunden, nämlich „Adolf Barteis“ statt „Adolf Bartels“ in F 374.26.

Bringt das neue Schriftbild dem Benützer Vorteile? Ich glaube nicht; es ist ja nicht nur eine neue Schrift verwendet worden, auch die Zeilen wurden neu umbrochen (ohne Abteilungen): Jede Seite endet analog zur Seite der Zeitschrift, gegebenenfalls mit dem entsprechenden Teil eines abgeteilten Wortes. Das alles hilft zwar der Suchbarkeit des Texts, zum Zitieren mit Zeilenhinweis kann man den CD-ROM-Volltext aber nicht benützen, da die neuen Zeilen mit den Zeilen der Originalausgabe nicht übereinstimmen.

Noch einige Details dazu:
Kraus‘ Anmerkungen, die mit Sternchen gekennzeichnet sind, haben eine Hochzahl wie in einem Computertext bekommen [z. B. F 413.114], aber das ist keine schlimme Veränderung.

Nicht wiedergegeben ist ein engerer Zeilendurchschuß im Vorbild, etwa in F 400.57, wo das Zitat von Theodor Haecker zwar in gleicher Schriftgröße, aber eben enger gesetzt ist als der davorstehende Einleitungstext von Kraus.

Eingerückter Zeilenbeginn wird auch nicht immer richtig wiedergegeben, z.B.: In F 445.98 ist das Gedicht von Matthias Claudius „An -, als ihm die – starb“ mit dreizeiligen Strophen abgedruckt, jede ist im Original ein Geviert weiter eingerückt; im Text der CD-ROM sind die zweite und die dritte Zeile gleich weit, nämlich zwei Geviert, unter der ersten Zeile eingerückt. Im folgenden Text „Der Tod und das Mädchen“ auf der gleichen Seite sind die Überschriften der beiden Strophen nicht mittig, sondern weit nach rechts verschoben. Beabsichtigter schmaler Blocksatz, die Spalte einer Zeitung symbolisierend (z. B. Inserate der ‚Neuen Freien Presse‘, etwa in F 400.85f. „Aus einem großen Familienblatt“ oder F 445.123) werden in der CD-ROM schmal, aber im Flattersatz und daher ohne den spezifischen Assoziationsgehalt der Zeitung wiedergegeben, da helfen auch nicht die irgendwie, aber nicht richtig breiten horizontalen Trennstriche.

Ausnahmsweise faksimiliert – also als Bild wiedergegeben – wurde z. B. der in Trauerrand gefaßte Nachruf auf Georg Jahoda in F 743/1-3 mit dem Ergebnis, daß der Text (nicht die ganze Seite 1, nur der im Rand stehende Text) originalgetreu zu sehen, aber nicht zu suchen ist – klar, im Abbild kann man nicht suchen, aber man hätte wohl zum Zweck des Suchens den Text im Hintergrund stehen haben können – keine unlösbare technische Schwierigkeit.

Abbildungen
Aus demselben Grund wie oben der Nachruf auf Jahoda ist das abgebildete Zeitungsinserat der Firma für Bodenbeläge Weinberger in F 759.115 nicht findbar, weil es faksimiliert ist. Ögg hat’s übrigens auch nicht. Gleiches gilt für ein faksimiliertes Inserat der Firma Gerstl in F 759.6. Das ist, werden Puristen sagen, eine Benachteiligung der optischen Zitate, deren Stellenwert in der Fackel ja nicht ohne ist.
In die gleiche Kategorie reihe ich die Abbildung der Noten zu Offenbachs „Madame Archiduc“ in F 781.106ff.: etwas flau, daher kaum lesbar und nicht vergrößerbar. (Im Original sind sie auch klein, aber präzis faksimiliert.)
Groß aber nicht optimal reproduziert erscheint die Abbildung „Der Sieger“ in F 326 vor S. 1, die Rückseite davon (vacat) ist auch da, leer und unbezeichnet. Die im Original in gleicher Weise auf besserem Papier gedruckte und eingeklebte Fotografie Annie Kalmars in F 852 nach S. 48 ist hingegen auf der CD-ROM nicht auf einer eigenen Seite abgebildet, sondern an S. 48 unten angehängt und, da beim Scannen nicht auf ein Originalheft zurückgegriffen wurde, mit Moiree-Nadelstreif verunziert.
Gut und der vollen Seitengröße entsprechend abgebildet ist die Kerr-Zeichnung in F 787.208. Für F 757 hat die CD-ROM nach dem Text des Hefts eine Umschlagseite abgebildet (wie stets unbezeichnet), danach kommt eine leere Seite mit einem Fehlzeichen [Rechteck mit rotem x], dann die U1 des folgenden Hefts. Ist nun die unbezeichnete Umschlagseite die U3 oder die U4? Es ist die U4 und die vorhandene, bedruckte U3 ist nicht abgebildet. Kleinigkeit! – aber beim Zitieren etwa einer Werbung auf einer solchen Seite wird’s schwierig.

Die Installation der CD-ROM –
funktionierte auf einem Gerät mit großem Speicher und Microsoft Windows Professional XP völlig problemlos. Auf einem nicht ganz modernen System, z.B. Win NT (4.0) mit Problemen.
Auf der CD-ROM selbst ist angegeben:
Benutzeroberfläche: L7View. 1.1.0. Level 7 Software. offiloltce@laxj45evervgqnl7.2xgsproiude, www.level7.ro.

Auf der CD-ROM befinden sich zwar die deutschsprachigen Versionen des Service Pack 6 aber nur jene für normale Verschlüsselung. In vielen Fällen benötigen Benützer hohe 128-bit Verschlüsselung und Service Packs dafür sind nicht beigegeben. Es folgt eine mühsame Suche und downloaden.
Ohne Administrator-Rechte wird man die CD-ROM nicht installieren können. Sollte man die CD-ROM einmal verlegt haben, hat man schlicht und einfach Pech gehabt, denn zum Starten muß diese im Laufwerk sein.
Alle Funktionen, auch kompliziertes Suchen, gehen zufriedenstellend rasch.

Darstellung auf dem Bildschirm
Es wird auf der rechten Bildschirmhälfte jeweils eine Seite des Volltexts gezeigt, während links die Bedienung „Suchmenü – Datenbank“ offen ist. (Doppelseiten anschauen geht nicht.) Unter einer Leiste mit Bedienungsknöpfen und den bibliografischen Anzeigen gibt es die Auswahl „Bände“, „Register“, „Suche“ und „Lesezeichen“.

Die Explorer-artigen Strukturen für Jahrgänge / Bände / Hefte der Fackel und die verschiedenen tief gegliederten Register Hinks sind logisch und brauchbar zur Übersicht. Aber sie funktionieren schlecht; manche Buttons habe ich nie öffnen können, weil sie sich beim Anklicken schließen statt öffnen, andere nur gelegentlich nach etlichen Versuchen. Zu manchen Heften und Übersichten habe ich während meiner Versuche über den Bandindex nie Zugang gefunden.

Die Rubrik „Bände“ zeigt den chronologischen Aufbau der Zeitschrift nach Jahrgängen und Heften als Baum wie bei einer Explorer-Übersicht. Anklicken des gewünschten Hefts führt zu dessen Umschlagseite 1 und in der Folge mit Blättern zu allen Seiten bis zur U4.

Suche im „Register“ (damit ist nicht Öggs Personenregister [s. Anm. 3], sondern Wolfgang Hinks zweibändiges Werk „Bibliographie und Register“ von 1994 gemeint) geht ganz analog den in Hinks Inhaltsverzeichnis aufgezählten Kapiteln seines Werks vor sich. Seine Fundstellen sind bis ins kleinste Detail mit dem Volltext verlinkt.
1. Chronologisches Titelverzeichnis
gibt Bibliografie und Hinks Kurztext wieder; Seitenzahlen und Titel bilden Links zum Volltext [hier immer als „Band“ bezeichnet], auch die Verweise sind mit Links versehen.
2. Verzeichnis der von Kraus verfaßten Texte mit den gleichen Abschnitten nach Textarten (Achtung, gelegentlich sind Abschnitte vertauscht, in 2.1 ist z. B. der Abschnitt Wen [richtig Wer]-Wus vor W-Wen gereiht).
3. Autorenverzeichnis (das sind die Verfasser von Fackel-Texten neben Kraus).
4. Verzeichnis der von Kraus vorgelesenen eigenen Fackel-Texte (Links zum Volltext).
5. Vorlesungen (Links zum Volltext – nur hier lassen sich fremde gelesene Texte erschließen; die Plakate sind nach wie vor nicht eingearbeitet).
6. Rundfunksendungen von Kraus‘ Texten (Links zum Volltext).
7. Chronologie der Fackel – also die Angaben zu den Erscheinungsdaten der Hefte (und das alles jeweils mit Links zu den Einleitungen von Hink).
Ich würde gerne mehr davon schwärmen, hätten dieses Register nur öfters funktioniert (s.o.).

„Suche“ erlaubt dem Benützer ein oder mehrere Wörter einzugeben und ihr Naheverhältnis zu definieren. Man kann in der Fackel (hier „Zeitschrift“) oder im Register suchen. Die Suche wird jeweils durch eine „Wortliste“ aller vorkommenden Worte (mit Flexionen) unterstützt. (Ich kann also den Genitiv „Abendbesuchs“ suchen: 1 Treffer). Ein Wort ist automatisch ein „Stichwort“. Mehrere sind unmittelbar aufeinander folgend („Phrase“) oder nahe zueinander stehend definierbar, die Nähe (Worte, vermutlich) kann mit einer Zahl eingegeben werden.
Die Suche kann auf Bände, Hefte oder Jahrgänge eingeschränkt werden.
Die „erweiterte Suche“ wird in der (bescheidenen) „Hilfe“ näher erklärt: Sie ermöglicht Operatoren oder Trunkierungen zu verwenden, Prioritäten in einer Suche zu setzen oder die Sortierung der Trefferliste nach vorrangigen Worten zu definieren.

Finden
Aus der Reihenfolge, in der die Treffer aufgelistet werden, sollte man keine größere Bedeutung lesen: gibt man bloß ein Wort zur Suche, wird keineswegs ein etwa chronologisch gereihtes Ergebnis angezeigt. Was der Text unter der Seitenangabe der Fundstelle bedeutet? Nur zweieindrittel Zeilen des Textanfangs der Seite, gleich, ob das Gesuchte drin vorkommt oder nicht – also belanglos für das Suchergebnis, Ballast.

Wie Andreas Weigel in der Kraus-mailing-list [s. Anm. 4] schon festgestellt hat, wird im Suchvorgang auf Seiteneinheiten zugegriffen, nicht auf ganze Texte. Daher wird eine Suche nach zwei oder mehreren Worten, von denen das eine auf der einen Seite (etwa das letzte), das andere auf der nächsten Seite (etwa das erste) steht, nicht erfolgreich sein – für beide Wörter gemeinsam gibt es keinen Treffer; erst wenn die Suchmaschine nur nach einem der beiden sucht, wird sie fündig – das kann aber leicht unter sehr vielen Stellen liegen und gehört nicht mehr zu den Vorteilen eines gut funktionierenden Suchvorgangs. Zum Beispiel: Die Suche nach den zwei Worten „jüngeren Schaffenden“ in F 462.61f. bringt keinen Treffer; ebenso wie „beschleicht Würdenträger kein Bangen“ (F 771.13f.). Als schwacher Trost bleibt dem Benützer die Tatsache, daß er sich dessen bewußt sein („Hilfe“ verrät das natürlich nicht) und seine Suchstrategien danach anlegen muß. Daß das nicht der EDV-Technik letztes Können darstellt, ist klar.
„Thränen“ und „Tränen“ lassen sich getrennt suchen (erstes Wort 34, zweites 169 Treffer). Rufzeichen sind nicht suchbar.

Zum ersten Mal …
Die CD-ROM gibt sich spartanisch. Das sechsseitige Blatt vorne in der Hülle gibt Installationshinweise, die Rückseite „Systemvoraussetzungen“. Was die CD-ROM in welcher Form enthält, sagt ein einseitiger, äußerst knapper Text, der zur Hälfte vom editorischen Unternehmen „Bibliothek Janowitz“ berichtet, in folgenden Worten:

„Exemplare der ‚Fackel‘ vor der Zensur aus dem Besitz der Sidonie Nádherný werden nach dem im Tschechischen Nationalmuseum überlieferten Bestand wiedergegeben, wofür Herausgeber und Verlag danken.
Der CD-ROM-Edition liegt die Reprintausgabe Kösel, München 1968-1973 zugrunde.“
(Selten so kurze Worte als Einleitung für ein editorisches Werk gelesen – Mehr steht tatsächlich nicht da.)
Die zweite Aussage verwundert nicht, auch wenn sie nicht hundertprozentig stimmt. Was aber versteckt sich hinter der ersten? Man weiß, daß etliche Hefte der Fackel nur mit der Bezeichnung „nach der Confiscation“ und Zensurlücken bekannt sind. In Heft 23, 41 und 45 [um nur die ersten drei zu nennen] wurden Texte konfisziert. Für diese frühen Hefte trifft obige Nachricht nicht zu – das wird vom Herausgeber im Vorspann nicht gesagt, sondern stillschweigend auf den Krieg 1914-1918 bezogen. Man zögert: Die Seiten 1 bis 7 von Nummer 426 (die ersten kriegsbedingten Lücken) sind leer, kein Hinweis auf das, was da fehlt. (Man weiß schon, wie Kraus sie im folgenden Heft beschrieb.). Erst die Lücke von F 437.1 wird gefüllt: Ein Link führt zur unzensierten Version dieser Seite, die sich dann links neben der zensierten einblendet. Dorthin verweist allerdings das Register nicht (schade – nein, Schlamperei, denn auf die unzensierte Version der Seite 127 wird schon verwiesen, zufällig mit den gleichen Suchworten „Gebet während der Schlacht“, die auf S. 1 im Text vorkommen, auf S. 127 als Titel – ohne zugehörigen Text – stehen geblieben sind; wohlgemerkt, es wird nicht auf S. 127 selbst verwiesen, sondern nur auf deren unzensierte Version, obwohl der Titel auf beiden Seiten steht – – – hmm Peanuts!? – Pfäfflin macht’s nicht, wenn’s Hink nicht macht; dabei hat’s Pfäfflin gemacht, in seinem „Der ‚Fackel‘-Lauf“ sind die zensierten Hefte – nicht die Stellen – vermerkt und auf die nachgetragenen Texte in späteren Heften der Zeitschrift verwiesen – also das in ein kleines Register bringen, darf man schon vom stolzen Finder erwarten).

Sich neugierig den unzensierten Seiten systematisch nähern gelingt nicht, da sie nicht aufgelistet sind – schade, immerhin sind sie eine kleine Sensation. Also stolpere man dahin, ab F 437 wird’s spannend. Natürlich könnte man Fäden leichter aufnehmen, wären die unzensierten Texte auch suchbar; z. B. „‚Vater, Brot!‘ ‚Kinder, Frankreich / Rußland ver/hungert!'“ findet die Suchmaschine in F 508.59 („Rußland verhungert“), F. 472.5 („Rußland hungert“) und F 445.17 („Frankreich verhungert“), wo im dem Zitat folgenden Text auf die Tätigkeit des Zensors Bezug genommen wird; nicht erfährt man die zensierte Stelle, an der Kraus zum ersten Mal den Text zu bringen versuchte, nämlich in F 437, unzensierte Seite 43 „So leben wir alle Tage“ („Rußland verhungert“).

Suche nach Namen. Ein Vergleich mit Öggs Namenregister
Man darf von der Volltextsuche nicht zu viel verlangen. Suchen wir zum Beispiel Ludwig Ullmann, aber nur den Familiennamen, denn so hat ihn Kraus meist verwendet (Die CD-ROM findet 11 richtige Treffer bei der Phrasensuche nach Vor- und Familienname).
Für „ullmann“ gibt es 26 Treffer, davon beziehen sich 24 auf Ludwig Ullmann und 2 auf (wie Ögg weiß und weshalb bedachte, nichtmechanische Register selbstverständlich unersetzlich sind neben der Volltextsuche) Joseph und Bertold (bei Ögg Berthold), die uns hier nicht interessieren.
Für den Fall, daß Kraus Genitive verwendet hat, suchen wir den Familiennamen trunkiert, also „ullmann*“ per „Erweiterte Suche“; Ergebnis: 29 Treffer, die sich aus den 24 „Ullmann“, den beiden anderen und drei Genitiven zusammensetzen. Ögg verweist 40 Mal auf Ludwig Ullmann. Die Differenz ergibt sich aus „l. u.“, dem Kürzel des Journalisten. Sollte das die Suchmaschine nicht finden können? Hmm – sie bringt da zuerst nur einen Treffer, aber da habe ich das Spatium vergessen (Der Treffer ist in F 890.147, die Zeile ist sehr eng gesetzt, so hat der Scanner keinen Abstand gelesen). Dann aber eine Überraschung: Gebe ich die Chiffre mit Spatium ein („l. u.“), kommen 20 Treffer daher, wovon 5 nicht bei Ögg sind! Immerhin, das erfreut und gibt wieder etwas mehr Vertrauen in die Technik.
Spannend wird’s, wenn man das Suchwort „ullmann*“ eingibt, aber nicht die „Erweiterte Suche“ wählt: da perlen 40 Treffer daher, von denen hinter 24 der Gesuchte steckt plus die 2 nicht gesuchten Ludwigs, dann gibt es 13 Treffer mit einem Sterndl aber keinem Ullmann dazu, und dann ein Wunder: Ein Treffer nur mit einem Sterndl aber ohne den Namen Ullmann verbirgt sehr wohl einen Text von ihm. Es handelt sich um Ullmanns Bericht in der „Wiener Mittags-Zeitung“ über Kraus‘ Vorlesung am 23. Mai 1912 (V 28, Nestroys „Die beiden Nachtwandler“ u. a., F 351.51f.). Der Text ist auch in der Zeitung nicht signiert (‚Wiener Mittags-Zeitung‘ vom 25. Mai 1912, S. 3), aber der Stil (und die Tatsache, daß Ullmann, bis kurz davor ein Kraus-Sekretär und verstoßener, wegen seiner blumigen Ausdruckswiese heftig gehänselter Bewunderer war) spricht recht deutlich für ihn; er arbeitete zu dem Zeitpunkt seit kurzem in diesem Blatt. (Auch Ögg hat übrigens einmal erschlossen: F395.40f. bringt ein Zitat, das nur mit „-n.“ gezeichnet ist, aber recht gut von Ullmann sein kann.)

Ein Wunder ist der Nestroy-Treffer deswegen, weil ihn naturgemäß auch Ögg nicht nennt. Tja, aber solche Wunder sind eine seltene Draufgabe fürs mühsame Abklappern der ungeordneten Treffer (sorry, die in der „Hilfe“ genannte Begründung für die Reihung ist vielleicht der Mengenlehre nach vernünftig, aber nichts für Germanisten. Die wollen doch das Meiste chronologisch serviert bekommen).
Fazit: Man suche auf wie immer nur denkbare Art, man wird gute Chancen haben, nicht alles auf einmal und mühsam zu finden. Dafür wird’s wohl öfters mehr geben als bei traditionell-rational-systematisch Gesuchtem.

Wer hätte das gedacht? „Stagelgrün“ kommt in der ganzen Fackel nur 23 Mal vor. „Kasmader“ 39 Mal.
Die Worte „Wenn du mir verrätst“, der springende Punkt in Frank Wedekinds Brief an seinen Hund Fischmann, stehen auf zwei Seiten. Kein Ergebnis bei „Phrasensuche“, „Nahe“-Suche, wohl aber bei der „Erweiterten Suche“ (und zwar sehr viele, alle „du“ und „mir“ – 15977 an der Zahl), und als erstes Ergebnis das dem günstigsten Verhältnis von gesuchten zu gefundenen Buchstabenmengen – hier hilft die findige Suchstrategie.

Nicht leicht suchbar sind Titel, z. B. „Das Schoberlied“ – es kommen bei der Volltextsuche alle 16 Stellen, an denen es erwähnt wird. Sucht man es über Hinks Titelverzeichnis, erscheint das ganze Heft 838 und stürzt beim Scrollen ab, ehe man das Gesuchte erreicht hat (es kommt erst auf S. 138); also kommt man endlich zu Hinks „Verzeichnis der von Kraus verfaßten Texte, 2.5. Gedichte. D“, da ist es dann da, auf einen Schlag.

Die Beilagen der Fackel, soweit sie in den Reprintausgaben wiedergegeben wurden, sind erstaunlicherweise suchbar, obwohl sie keinen Text der Fackel darstellen; es gibt 77 Treffer, in denen sie versteckt sind. Es wäre wohl klug gewesen, einen sonst nicht verwendeten Begriff dafür zu benützen, damit die Beilagen der Fackel leicht suchbar werden. Achtung, die Nummern der Beilagen der Reprintausgaben und die auf der CD-ROM abgebildeten Beilagen sind nicht identisch, da einige aus unbegreiflichen Gründen in den Volltext integriert wurden. Hier die Autopsie im Detail:

Beil. 1 (F 223 vor S. 1) der Reprintausgaben ist im Volltext der CD-ROM (recht schlecht) abgebildet.
Beil. 2 (F 454 vor S. 1) ist als eigener Scan mit dem Link „Beilage“ hervorragend reproduziert, mit der etwas irreführenden Dateibezeichnung „Bild 1“.
Beil. 3 (F 508 nach S. 14) der Reprintausgaben ist im Volltext der CD-ROM (gut) abgebildet, suggeriert aber, daß im Original das Faksimile von Peter Altenbergs Brief unter dem Text stünde, der jedoch allein schon die Seite füllt. Das Faksimile ist aber extra gedruckt und eingeklebt worden.
Beil. 4 (F 577 nach S. 96): „Bild 2“.
Beil. 5 (F 608 nach S. 32): „Bild 3“.
Beil. 6 der Reprintausgaben (das Programm von Vorlesung Nr. 428 am 4. 2. 1928) ist, wie in „Der ‚Fackel‘-Lauf“ auf S. 103 festgestellt, ein Irrtum der Redaktion der Reprintausgaben und bildete nie eine Beilage von F 757 oder sonst einer Fackel-Nummer.
Beil. 7, die inhaltlich zu F 811/90 gehört, und die in den Reprintausgaben im Band wie als Beilage extra abgebildet ist, habe ich im Volltext der CD-ROM nicht gefunden.
Beil. 8: im Reprint irrig bei F 852/52, hier richtig bei F 857/74 als „Bild 5“.
Beil. 9: „Bild 6“ ist auf der CD-ROM als F 873/45 in prachtvoller Größe und Abbildungsqualität zu finden. Hat dieses Heft wirklich 45 Seiten – die Reproduktion ist auf S. 45 gefaltet eingeklebt – wie hier angegeben? (Kann eine Zeitschrift 45 Seiten haben?) Natürlich nicht, die leere Seite 46 ist diesmal bloß nicht wiedergegeben.

Was die CD-ROM noch enthält: „Der ‚Fackel‘-Lauf“.
Das ungeheuer detailreiche Ergebnis der kritischen Lektüre der Fackel in editorischer Hinsicht und zahlreicher externer Hinweise ergänzt den Volltext der Zeitschrift sehr gut – wäre doch nur alles, was dort an Erkenntnissen vermittelt wird, auch in den Volltext eingearbeitet.
Allerdings ist die Wiedergabe der Seiten dieses Buchs in pdf-Dateien schwammig und unscharf – was die Wirkung der Abbildungen etwas beeinträchtigt.

Was auf der CD-ROM nicht enthalten ist
Auch davon muß die Rede sein – schließlich werden an eine neue Ausgabe dieses monumentalen Werks editorische Erwartungen gestellt: Es soll ja nicht nur ein Modernisierungsschritt (der ja nicht automatisch und ausschließlich, wie man grade hier sieht, ein Fortschritt ist) in der Benützung eines enormen, bloß etwas unhandlichen Werks erzielt werden.

Varianten von Umschlagseiten, z. B. Preisvarianten: F743/U1 hat in den Reprints und auf der CD-ROM Kc 20.-, mein Exemplar S 3.20; oder die 2. Auflage (nein: „II. Auflage“) von F 777/U1, was oben lustig fett draufsteht.

Seiten von Fackel-Nummern, die in manchen Heften enthalten sind, z. B. jene zusätzlichen, unnumerierten 4 Seiten der Nr. 27, die „Der ‚Fackel‘-Lauf“ zwar erwähnt (S. 16), aber der Kösel-Reprint schon nicht enthält – 2 Seiten Hinweise auf das Ende des Abonnements 1899, eine leere Seite ([2]) und eine Werbung für den „Sonderdruck aus der ‚Fackel'“ „Nachträgliches zur ‚Affaire‘ von Wilhelm Liebknecht“, dazu eine Werbung für Ibsens „Wenn wir Todten erwachen“ im S. Fischer Verlag. (Es wäre doch nicht so mühsam gewesen, den Kösel-Reprint zu überarbeiten und zu ergänzen.).

Vorabdrucke, z. B. „Warnung in letzter Stunde. Vorabdruck aus Nr. 759 ff.“. Dieser unterscheidet sich zwar nicht im Text vom Abdruck in F 759/117 ff., aber der Umschlag ist etwas anders, und die Vollständigkeit ist auch was Schönes.

Für die Sonderausgaben, z. B. „Das Schoberlied“, gilt ein Gleiches.

Es ist nach den Sammelbänden gefragt worden, die als Werbung v. a. in Berlin verkauft wurden und unter neuem Umschlag ältere Heftinhalte zusammenfaßten. Sie werden in „Der ‚Fackel‘-Lauf“ erwähnt (S. 70f., Band V scheint als einziger bekannt zu sein, seine U1 wird abgebildet); im Volltext der CD-ROM kommen sie nicht vor.

Register und Abonnementhinweise, alles, was mit den Bindungen in Jahrgängen zusammenhängt und zusätzlicher Werbung (z. B. die „Sammelbände“). Diese Angelegenheiten sind jedoch in „Der ‚Fackel‘-Lauf“ dokumentiert, manches auch abgebildet.

Die Sonderbände, und damit als wichtigstes Desiderat die Aktausgabe des Stücks „Die letzten Tage der Menschheit“, die – wie auch Öggs Register – eben schon ein Teil des 2001-Reprints ist, und deren Fehlen ganz besonders schmerzt, weil sie nur antiquarisch meist recht teuer zu haben ist.
Die anderen Sonderdrucke enthalten Texte aus der Fackel, sind also leichter verzichtbar, hätten aber der Vollständigkeit halber schon mit dabei sein können.

Und ein ediertes Personenregister? Das wird vielleicht auf der nächsten CD-ROM-Ausgabe stehen, die wir alle dringend brauchen, weil wir soviel Geld haben.

Ich weiß, daß die CD-ROM nicht mehr verspricht als einen an wenigen Stellen korrigierten Informationsstand der Reprintausgaben. Aber worauf wartet der Herausgeber? Wann sonst als auf dieser CD-ROM (und zu diesem Preis) sollte eine sorgfältige Fackel-Ausgabe erscheinen? Einen besseren Termin als diesen, fürchte ich, wird’s in den nächsten Jahrzehnten nicht geben. Und gar so viel wäre nicht zu tun gewesen – wenn man die initiale Arbeit, die Pfäfflin schon geleistet hat (nicht zuletzt durch das Begleitwerk „Der ‚Fackel‘-Lauf“) bedenkt. Ich erlaube mir also, das Vorliegende gebührend zu loben (endlich! hat ja lang genug gedauert, möchte man allen, die daran Schuld sind, noch einmal vor die Füße werfen), und gleichzeitig als eine vertane Chance zu bezeichnen.

Anm. 1: Wolfgang Hink: Die Fackel. Herausgeber Karl Kraus. Bibliographie und Register. 1899 bis 1936. 2 Bände, München u. a., K. G. Saur 1994, 455, 223 S.

Anm. 2: Der ‚Fackel‘-Lauf. Bibliographische Verzeichnisse. ‚Die Fackel‘ als Verlagserzeugnis 1899-1936. Verlag Jahoda & Siegel, Wien 1905-1935. Zeitschriften, die sich an der ‚Fackel‘ entzündeten. Vorbilder, Schmarotzer und Blätter aus dem Geist der ‚Fackel‘. Ein Jahrhundertphänomen. Hrsg.: Friedrich Pfäfflin und Eva Dembacher in Zusammenarbeit mit Volker Kahmen. Beiheft 4 zum ‚Marbacher Katalog‘ 52. Deutsche Schillergesellschaft Marbach. 1999, 204 S.

Anm. 3: Zur Zukunft von Öggs Personenregister verheißt die Website der Akademie www.oeaw.ac.at/litgeb/fackellex/index.html Interessantes.

Anm. 4: kkml@lists.dawmmaschke.dezq

Karl Kraus (Hg.) Die Fackel
CD-ROM.
Volltextausgabe mit Bibliographie und Register von Wolfgang Hink.
Hg.: Friedrich Pfäfflin.
München: K. G. Saur, 2003.
ISBN 3-598-40705-X.

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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