#Prosa

Die Essenz der
getrockneten Tomate

Manfred Schullian

// Rezension von Sabine Dengscherz

Alle guten Dinge sind drei. Drei Prosatexte enthält Manfred Schullians Erzählband Die Essenz der getrockneten Tomate, sein literarisches Debüt für Erwachsene. Zuvor hatte der Südtiroler Rechtsanwalt bereits ein Kinderbuch verfasst: Balduin der Kofferfisch. In seinen jüngsten Erzählungen vereint er juristische Präzision mit träumerischer Poesie. Dabei sind die drei Texte trotz ähnlicher Grundthematik höchst unterschiedlich angelegt.

Der Ich-Erzähler der Titelgeschichte, „der den größeren Teil seines Lebens bereits hinter sich und den schwierigeren noch vor sich hat“, sinniert über seinen Platz in der Welt. Er spielt in einem Orchester die zweite Geige, und es hat den Anschein, dass er das auch im Leben tut. Zuweilen meint er dabei „den Faden zu verlieren, einen Faden, den jemals für mich gefunden zu haben ich nicht wirklich ernsthaft für mich beanspruchen kann, zu unstet war mein Leben, zu unbeständig meine Überzeugungen, zu unruhig meine Tage und zu ungeduldig meine Nächte.“

Ein Fixpunkt, ein solcher roter Faden im Leben wie im Text ist eine gewisse Frau, deren Namen der Erzähler nicht nennen kann, weil er daran zu zerbrechen glaubt. Denn seine Zeit mit ihr war „so intensiv wie der Extrakt von Rosenblättern, wie ein Destillat von Novemberfrüchten, wie die Essenz der getrockneten Tomate.“ Das also ist des Paradeisers Kern. Das Paradeis aber ist verloren, die Erinnerungsmomente werden behutsam aufbewahrt und aus dem Bewusstsein verbannt, bis ein Fremder kommt, um den Apfel der Erkenntnis zu kredenzen und damit eine Gedankenkette in zu Gang setzen, die wieder zurückführt zu jener unaussprechlichen Frau, mit der alles begann.

Die Erinnerungen, in denen der Erzähler kramt, sind keineswegs nur glückliche, sondern auch traurige, schaurige Geschichten von seinen Ahnen und ihren Leichen im Keller. Der erzählende Nachkomme ist Einzelgänger, Sonderling, ein Steppenwolf, der gerne nachdenkt über die Besonderheiten seines Einzelgängertums und sie detailliert beschreibt. Er assoziiert und schaut dabei in sich hinein, verpackt in Sprache, was er findet, verschachtelt Gedankensplitter und Erinnerungen gleichermaßen mit- und ineinander. Da wird viel präzisiert und differenziert, da werden Widersprüche aufgedeckt und Ähnlichkeiten abgewogen und das Denken dreht sich zusehends im Kreis, die Kreise werden enger, ihr Epizentrum sind die Liebe und der Tod.

Ganz anders die zweite Erzählung, ein poetisches Märchen über Liebe, Hass, Rache und – Rosinen. Alle jene, die immer schon voller Abscheu jede einzelne Rosine aus dem Topfenstrudel geklaubt haben, werden sich ein Schmunzeln nicht verkneifen können. „Der Fluch der Rosinen“ breitet sich ausgehend vom antiken Griechenland aus bis ins Italien der Gegenwart, lässt die Menschen altern und schrumpelig werden wie die Trauben, wenn sie sich in Rosinen verwandeln. Die Rosine ist das Werkzeug des Bösen und die Rache der Natur wider den Menschen, der sich an ihr vergreift. Die Geschichte rankt sich um eine weitere Geschichte über die wahre Liebe und eine eifersüchtige Schwiegermutter, die auf Rache sinnt. Und das Unglück nimmt seinen Lauf. Das Paradies erweist sich als ebenso irdisch wie vergänglich. Und am Ende bleibt die Rosine als Mahnmal des Welkens.

Um Liebe, Verrat und Eifersucht geht es schließlich auch in der dritten Geschichte, in der „Des Küsters Schuppen“ zuerst Dorn im Auge der Nachbarn und schließlich letzte Ruhestätte werden soll. Wie Marionetten an geheimnisvollen Fäden bewegen sich die Figuren durch die Erzählung, die, das wird bald klar, von der Liebesgeschichte sich zum Krimi wandelt, wie zuvor die Weintraube zur Rosine. Dabei verliert der Text aber nicht an Leben, sondern gewinnt zusehends; treffend ist geschildert, wie die Kleinstadtcharaktere ihrer verschlungenen Wege und trotzdem zielstrebig ihren Interessen nachgehen – jeder den eigenen, alleinigen, versteht sich.

So schließt sich der Kreis, die Liebe wird wieder einmal mit dem Tod bezahlt, die Zweisamkeit ist der Einsamkeit gewichen. Diese Thematik verbindet die drei Texte, deren Handlungen an der Oberfläche nichts miteinander zu tun haben. Auf sehr unterschiedliche Weise kreisen sie um die großen Fragen des Lebens: die Liebe und den Tod.

Die Essenz der getrockneten Tomate.
Prosa.
Bozen: Edition Raetia, 2007.
180 Seiten, broschiert.
ISBN 978-88-7283-289-9.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 13.05.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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