#Roman

Die Eroberung Amerikas

Franzobel

// Rezension von Erkan Osmanovic

Ruhm ist ein Gift

Adolfo fletscht seine Zähne und beißt einen um den anderen Indianer tot. Und die Menschen ringsum? Die schreien – vor Begeisterung. Unter ihnen: Ferdinand Desoto. Der junge Seefahrer hat alles verloren. Weit weg von seiner Heimat Spanien, findet er sich in Westindien wieder. Dass es sich dabei um Mittel- bzw. Südamerika handelt, kann er nicht ahnen. Der Erzähler allerdings schon! In Franzobels neuen Roman Die Eroberung Amerikas dreht sich viel um Ferdinand Desoto. In der spanischen Grenzregion Extremadura aufgewachsen, verliert er sein Herz an die Grafentochter Maria. Ihr Vater Pedrarias Dávila bekommt Wind davon: ein Stallmeister an der Seite seiner Tochter? Niemals!

Der Tyrann gab ihm noch eine Ohrfeige und setzte ihm die Schwertspitze unters Kinn. Viel hätte nicht gefehlt, und Ferdinand Desotos Zeit wäre hier abgelaufen, die amerikanischen Autohersteller hätten sich einen anderen Patron suchen müssen, den Marktplatz von Barcarrota würde heute ein anderer zieren, das Havana-Club-Rum-Etikett sähe anders aus, und diese Geschichte würde nie erzählt werden. Aber gerade als der vor Wut rasende Pedrarias zustechen wollte, erschien das Näschen, Maria, blickte in den Raum, der vor Zorn zu beben schien, kreischte und lief entsetzt davon.
– Gut, lassen wir das. Ich verschone dich, brüllte der Wütende, aber du begleitest mich nach Darién. Ich gebe dir das Kommando über – der Alte dachte nach, gab ihm eine dritte Ohrfeige und fuhr fort … eine Reiterstaffel, und wenn du dich bewährst … In Darién wirst du sie vergessen.
– Gallien? Was soll ich denn in Frankreich?
– Darién! Idiot. Isthmus, Neue Welt!

Wir sind im 16. Jahrhundert – die Zeit der Conquista. Abenteurer wie Franciso de Aguirre oder Hernán Cortés erschließen nicht nur das mittel- und südamerikanische Festland, sondern unterwerfen und massakrieren die indigene Bevölkerung. Wozu das Ganze? Wegen einer göttlichen Mission? Auf Befehl des spanischen Königreichs? Nein. Es ist die Suche nach Gold und Silber, die Massen an selbsternannten Eroberern in die Neue Welt bringt.
Hernando de Soto ist einer von ihnen. Mit dem Conquistador Francisco Pizarro war er in Peru gewesen und hatte den letzten Inkakönig Atahualpa getroffen. Und nun ist Hernando de Soto oder, wie Franzobel ihn nennt, Ferdinand Desoto im April 1538 zu einer Expedition aufgebrochen. Sein Ziel? La Florida. Das bedeutet damals: das gesamte Land nördlich von Mexiko – die heutigen Südstaaten der USA.
Doch wozu die Strapazen auf sich nehmen? Sind die Bilder der Schlachten und Eroberungszüge in Peru, Panama und Nicaragua nicht genug? Das Leben als reicher und bekannter Mann in Sevilla zu wenig? Warum nicht das Leben mit Isabella genießen?

Desoto war kultivierter als die vulgären Pizarro-Brüder, ehrlicher als der gerissene Cortés und mutiger als viele andere Konquistadoren zusammen. Einer, der alles, was er anpackte, zu einem guten Ende brachte. Abgesehen von seiner Frau hatte er vor wenig Angst, nur vor Lebensstumpfsinn und Bedeutungslosigkeit.

This Land Is Your Land

Der Anwalt Trutz Finkelstein vertritt eine Sammelklage aller 562 Stammesvertreter der Native Americans gegen die USA: „Sie bezichtigten die USA der illegitimen Landnahme, wollten eine Rückgabe des gesamten Bundesgebietes – und zwar einschließlich Alaska und Hawaii sowie aller beweglichen und unbeweglichen Güter.“ Parallel zu Desotos Eroberungszug erzählt Franzobel im Hier und Jetzt die Geschichte dieses Gerichtsverfahrens.
Das Land mit Beweisen, Paragraphen und Gesetzen zurückzuerobern. Das ist Finkelsteins Mission. Doch die Mission des New Yorker Anwalts stößt auf wenig Gegenliebe. Er wird in den sozialen Netzwerken verspottet und bedroht. Sein Bruder und die Eltern brechen den Kontakt zu ihm ab. Und seine Exfrau ändert ihren Namen. Doch Finkelstein kämpft weiter:

Mittlerweile war es ihm egal, dass Amerika ihn hasste, sogar die Schwarzen, Inder, Mexikaner, Puertoricaner, Chinesen, nicht einmal die Indianer waren glücklich. Alle hielten Hinkelstein oder Finkelswine, wie er auch genannt wurde, für einen Querulanten.

Wofür die Mühen? Was erhofft sich Finkelstein? Weder Gold, Silber, geschweige denn eine Auszeichnung erwarten ihn. Ist es auch bei ihm die Angst vor dem Lebensstumpfsinn? Wofür die juristischen Winkelzüge? Was bringt ihm ein Prozesssieg?

Das alles war egal, Trutz wusste, da musste er durch. Es ging um nichts weniger als um Gerechtigkeit. Dieser Prozess war seine letzte Chance, sein Fünfzehn-Minuten-Ruhm. Verlor er, war er am Ende.

Finkelstein und Desoto, durch Raum und Zeit getrennt, zeigen sich als Seelenverwandte. Während der eine auf der Suche nach Ansehen in die Fremde zieht, kämpft der andere in der Heimat gegen die Bedeutungslosigkeit. Sie sind nicht die einzigen.
Drastischer Ruhm

Die Welt erscheint als Irrenhaus: Menschen schlachten einander ab und betrügen einander. Es ist die Rede von Mut, Gottesglauben oder Idealen. Doch am Ende geht es den Figuren nur um Reichtum und Ruhm.
So wie etwa Elias Plim, der sich zunächst als Sklave in Algier wiederfindet und von einem Drecksloch zum nächsten gereicht wird – gequält von seinem Aufseher, dem deutschen Konvertiten Mustafa Müller. Mehr durch Glück als durch Verstand landet er über den Umweg eines Seeräuberschiffs auf Kuba und schließlich in Desotos Mannschaft. Doch hält die Reise zum anderen Ende des Ozeans wirklich, was er sich gewünscht hatte?

Plim betrachtete seine Kameraden: tapfere, ruhmreiche Soldaten? Nein, sabbernde Münder, blinzelnde Augen, vor Nervosität knirschende Zähne, zitternde Hände, Körper, die nur von den Harnischen zusammengehalten wurden, und Gesichter, die so grün waren wie die Dotter von Enteneiern.

Und dann wären da noch die beiden Tunichtgute, Cinquecento und Bastardo, die mit gefälschten Papieren auf Desotos Galeone kommen. Die Neue Welt? Ihnen egal. Sie wollen nur ihre Diebesbeute, die sie unter einer riesigen Glocke im Schiffsbauch versteckt haben, nach Kuba bringen und dort ein Leben in Freiheit führen. Doch daraus wird nichts und bevor die beiden sich versehen, sind sie auch schon mitten in Desotos Eroberungszug:

Wer erledigt die meisten Wilden? Wetten wir?, schrie Quigley. Der Engländer redete von Cheddar, Sundowner und eingelegten Gürkchen. Neben ihm marschierte Jonas, der die Fahne des Kaisers trug. Bastardo und Cinquecento hielten sich im Hintergrund. Weil Sterben nichts ist, wofür es sich zu leben lohnt.  

Brutal und Lächerlich

Die Geschichte der conquistadores ist ein Panorama voller Brutalität, Hochmut und Lächerlichkeit. Da werden Menschen mit Kampfhunden in die Arena geworfen, königliche Gebietsansprüche an menschenleeren Stränden verkündet und von Gottes Gnade fabuliert, um danach wahllos Menschen niederzumetzeln.
Neben historischer Genauigkeit setzt Franzobel auf skurrile Figuren und eine humorvolle Sprache. Ein großartiger Roman – ja, auch brutal – aber dabei sehr witzig. Doch das Lachen bleibt einem nicht selten im Halse stecken.

Franzobel Die Eroberung Amerikas
Roman.
Wien: Zsolnay, 2021.
544 S.; geb.
ISBN 978-3-552-07227-5.

Rezension vom 15.02.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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