#Prosa

Die erfundene Frau

Daniel Wisser

// Rezension von Erkan Osmanovic

Betrug – alles nur erfunden!

Erwischt! Er hat die Hand einer fremden Frau gehalten – und Ilona? Die hat nichts gegen seinen Seitensprung, aber zugeben soll er ihn. Und zwar sofort! Karl will beichten, doch er hat ein Problem: Es gibt keine andere Frau. Seine Lösung? Ein Name, ein Grund, eine Erklärung – kurzum: Eine erfundene Frau. Es klappt! Ilonas Eifersucht ist gestillt, doch ihre Neugier findet ein neues Ziel. Ilona schreibt einen Brief an die Fremde und bittet um Tipps, damit sie ihren Mann in Zukunft besser verstehen kann.

In seinem Erzählband Die erfundene Frau versammelt Daniel Wisser 20 Erzählungen. Die Geschichten handeln von Liebe, Verlust, Krankheit und Wahnsinn. Das klingt nach dramatischen Geschichten voller Pathos – weit gefehlt! Nüchtern, ja, sachlich, schreibt Wisser über die Wirrungen und Irrungen der Protagonistinnen: Und hinter jeder Geschichte versteckt sich eine Pointe.

Kaffeeautomat bestohlen

Nachdem etwa Roswitha die Rechnung in der Bar selbst zahlen durfte, ist ihr klar: Sascha bleibt auch weiterhin nur ein Arbeitskollege. Nicht einmal küssen wollte er sie. Wenn nicht ihre Zuneigung, was sonst wollte er? Vielleicht nur das Kleingeld? Denn Monate nach ihrem Date und Saschas Kündigung entdeckt Roswitha ein Notizheft in seiner Schreibtischschublade. Darin versteckt eine Offenbarung: Geld hat er gestohlen – aus dem Kaffeeautomaten, im Supermarkt und aus ihrer Schublade.

Während der 2021 erschienene Roman Wir bleiben noch und die politische Kolumnensammlung Tausend kleine Traurigkeiten (2022) unsere Gesellschaft und Zeit sezierten, beleuchten die Erzählungen in Die erfundene Frau die Banalität des Alltags. Dass dieser mitunter komplizierter ist als gedacht, zeigt Wisser mit Humor und Leichtigkeit: Die Geschichten drehen sich zumeist um Beziehungsprobleme oder abstruse Begegnungen – sei es mit Menschen oder Tieren.

Von Mäusen, Hunden und Menschen

Was alle Erzählungen eint? Die Männer- und Frauenfiguren können nicht wirklich miteinander. Egal ob im Beruf oder in den eigenen vier Wänden: Es gibt Spannungen. Doch auch die Tierwelt tut in einigen Geschichten ihr Übriges, um die Figuren auf Trab zu halten. So kämpft in Lisa 7 die Bereichsleiterin Andrea nicht nur gegen eine Umstrukturierung in der Firma, sondern auch gegen eine Mäuseplage. In Frau Ilse stirbt der Hund der gleichnamigen Hauptfigur in einer Boutique, wird in eine Louis-Vuitton-Papier-Tragtasche gelegt und anschließend mitsamt dieser gestohlen, während sich Frau Ilse im Schwarzen Kameel mit Wein und Prosecco tröstet.

Die Figuren in Daniel Wissers Die erfundene Frau sind schrullig, verrückt und menschlich – gerade deshalb wachsen sie einem ans Herz: Denn oft findet man sich in ihren Geschichten wieder. Ein Grund mehr, diese großartigen Erzählungen wieder und wieder zu lesen.

Die erfundene Frau.
Erzählungen.
München: Luchterhand, 2022.
240 Seiten, gebunden.
ISBN: 978-3-630-87643-6.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 29.06.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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