#Roman
#Prosa

Die Einstellung

Doron Rabinovici

// Rezension von Erkan Osmanovic

Hass im Hochformat

Nur ein Herzschlag, ein Knopf – schon ist es passiert: August Becker hat den Rechtspopulisten Ulli Popp demaskiert. Mit einem Schnappschuss hat der Fotograf den Moment eingefangen, in dem Popp ein Bierfass anschlägt und sich „das Gesicht eines Totschlägers, Hass im Hochformat“ zeigt.

Mit Porträts Menschen und ihre Haltung festhalten, das kann und macht Becker schon seit Jahren. Die Medienbranche schätzt ihn. Und der Schnappschuss von Popp macht klar: er kann es noch. Doch sein Auftraggeber, das Magazin Forum, will die Aufnahme nicht abdrucken. Warum? Ist es die Angst vor dem Populisten und seinen Fans?

Nein. Forum hat Angst vor dem Vorwurf, es manipuliere mit dem Foto die Schlussphase des Wahlkampfs. Plötzlich interessiert sich Popp für das Foto und kauft es dem Fotografen ab. Becker versteht die Welt nicht mehr. Doch Popp wohl umso besser: Er nutzt die Aufnahme als Motiv für seine Kampagne. Und Becker? Der bekommt einen Haufen Geld und leider auch einen Shitstorm. Denn in der Szene gilt er nun als Überläufer, der seine Seele verkauft hat.

Zwischen den Zeilen

August Becker konnte früher mit seinen Fotoreportagen nicht nur Missstände aufdecken, sondern auch die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Doch die Zeiten sind vorbei: Smartphones und soziale Medien sind die neue Konkurrenz – und er droht an ihr zu scheitern, ebenso wie in seiner Rolle als Vater. Denn sein Sohn Tim möchte an einer Elite-Universität studieren, aber das Geld ist auch bei Becker knapp. Daneben versucht Becker noch seine Freundin Marion, die für die Boulevardzeitung Total schreibt, durch seine Arbeiten zu beeindrucken.

Und schließlich ist da noch die Enthüllungsjournalistin Selma, die gemeinsam mit Becker an der Popp-Geschichte arbeitet. Sie scheint für Becker mehr als nur eine Kollegin zu sein, doch die Beziehung der beiden wird nicht nur durch die Reportagearbeiten zu Popps Wahlkampf belastet, sondern auch durch ihren Freund Dino Ahmetovic. Der ist seines Zeichens Künstler und hat für eine Ausstellung ein Porträt von Becker erstellt: Ein Körper ohne Unterleib.

Einfach dagegen

Doron Rabinovici seziert in seinem neuesten Roman die Verbindungen zwischen Politik, Medien und Bildersprache. Dabei ist der Buchtitel doppeldeutig. Einerseits geht es um Kameraeinstellungen, andererseits um die persönlichen Einstellungen der Figuren. Während etwa Becker ein gebrochener Idealist ist, handelt es sich bei Popp um einen Machtmenschen, der für nichts, aber gegen „die da oben“ kämpft.

Im Verlauf des Romans wird aber auch klar: Einstellungen können sich ändern, sei es durch Parolen, Fotografien – oder Geld. Die Not an und Sucht nach Geld zieht sich als roter Faden durch den Roman. Allein aus Geldnot muss Becker die Aufnahme verkaufen und Popp will nicht nur den Wahlsieg, sondern plant auch „Staatsaufträge“ oder „Beteiligungen an heimischen Firmen“ an einen mysteriösen Geschäftsmann zu bringen.

Tempo und Korruption

Doron Rabinovici setzt in Die Einstellung auf Kontraste: sei es bei der Figurenzeichnung oder Handlung. Während etwa Becker ein Getriebener ist, lässt Popp alles und jeden nach seiner Pfeife tanzen. Der Roman dreht sich um Politik, Medien und deren Abhängigkeiten. Dabei verzichtet Rabinovici bewusst auf tagesaktuelle Bezüge zur österreichischen Politik- und Medienlandschaft. Er bleibt lieber im Allgemeinen, aber nicht im Oberflächlichen! Die Gegenüberstellung von Korruption und Idealismus wird in der packenden Geschichte durchgespielt – mit viel Tempo: Rabinovici will nicht langweilen. Es gelingt ihm.

Die Einstellung.
Roman.
Berlin: Suhrkamp Verlag, 2022.
224 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-518-43059-0.

Homepage des Autors

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 07.04.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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