#Prosa

Die Donau hinab

Karl-Markus Gauß, Christian Thanhäuser

// Rezension von Peter Landerl

Claudio Magris, einer der versiertesten Kenner des mitteleuropäischen Kulturraums, schrieb in seinem Klassiker „Donau – Biographie eines Flusses“, dass sich Rhein und Donau seit dem Nibelungenlied feindlich gegenüberständen: Stehe der Rhein für das Germanische, für Siegfried, so sei die Donau der Fluss Etzels und stehe für den unberechenbaren Orient.

Tatsächlich gilt der Rhein als Inbegriff des nüchternen Westeuropa, ist er ein verlässlich funktionierender Wirtschafts- und Handelsfluss, der seinen Anwohnern einen beträchtlichen Wohlstand verschafft hat. Dagegen hat die Donau zahlreiche Auseinandersetzungen und Kriege gesehen, das Blut des Balkans ins Schwarze Meer geschwemmt. Politische Konflikte, unterschiedliche Gesetze, Sprachen und Zölle erschweren Schifffahrt und Handel bis heute. Die Donau ist Mitteleuropa und Balkan, sie ist ein germanisches Kind des Schwarzwalds und mündet als alte Slawin ins Schwarze Meer.

Zahlreich sind die Autoren, die der Faszination der Donau erlegen sind, zahlreich die Publikationen über den Fluss. Eine besonders schöne ist nun im Haymon-Verlag erschienen. Karl-Markus Gauß, unermüdlicher Erkunder Mittel- und Südosteuropas, und Christian Thanhäuser, ebenso unermüdlicher Verleger bibliophiler Kostbarkeiten, haben gemeinsam die Donau erkundet. Gauß erzählt in seinem Donau-Alphabet von Orten, Menschen und ihren Geschichten, Thanhäuser folgt dem Lauf des Flusses in seinen zumal zarten und sparsamen, zumal abstrakt-groben, immer aber ausdrucksmächtigen Zeichnungen und Holzstichen.

Was gibt es über die Donau zu erzählen? Dass es vor hundert Jahren am Wiener Fischmarkt 50 verschiedene Donaufischarten zu kaufen gegeben hat. Oder dass die Donau einst Eisschollen aus Wien ins Schwarze Meer und von dort zum Bosporus nach Istanbul geschwemmt hat. Solche Details finden sich natürlich auch im Gaußschen Abc, doch gilt sein Blick vor allem der Kulturhistorie, den Dichtern und Denkern des Donauraums. Gauß erzählt vom Serben David Albahari, der in seiner Literatur auf das osmanische Erbe der Donau verweist; vom Ungarn István Eörsi, dessen letzter Roman „Im geschlossenen Raum“ auf einer Donauinsel spielt; von Milo Dor, dessen Lebensweg untrennbar mit der Donau verbunden war – Dor wurde in Budapest geboren, wuchs in Belgrad auf und fand nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien sein Zuhause; oder vom Oberösterreicher Franz Kain, der der Donau in jungen Jahren den Sonettenkranz „Der Strom“ widmete und dessen Kriminalerzählung „Die Donau fließt vorbei“ an den dunklen Ufern und in den Auen des Flusses spielt. Und er erzählt vom Ungarn László Végel, der in seinem Buch „Exterritorium“ die endgültige Zerstörung der ehemals multinationalen Vojvodina, des „Modell eines kleines Europa“ beschrieb.

Aus dem Völkergemisch der Vojvodina entstammen die Vorfahren von Gauß, Donauschwaben sind sie, und sie haben viel von Flucht, Vertreibung und Tod zu erzählen. Gauß erinnert an seinen Onkel, János-bácsi genannt, ein Musiker und Junggeselle, „ein gut aussehender, auffällig gekleideter Dandy, der für einen Hagestolz zu elegant und zum Filou zu schüchtern war.“ Er verließ seine Heimat nicht, wurde ins Lager Jarek deportiert und starb dort zu Weihnachten 1945.
Ein Großteil der Familie entschloss sich jedoch 1944 zur Flucht aus Novi Sad, wo der Großvater von Gauß ein Kaufhaus besessen hatte. Die intensivsten Kindheitserinnerungen der Mutter, die in Futog, einem Stadtteil von Novi Sad aufgewachsen ist, sind mit der Donau verbunden: „Futog, das war der pannonische Staub – und die Donau, zu der die Kinder sommers zogen, um sich von ihr ein paar Kilometer flussabwärts treiben zu lassen und dann an ihrem Ufer wieder zurückzutraben, ein Vergnügen, so groß, dass meine Mutter noch am Ende ihrer Tage kein anderes zu nennen wusste, das ihm gleichgekommen wäre.“

Der Osten gilt im Westen immer noch als melancholisch raue Welt, in der alte, zahnlückige Frauen mit Kopftüchern aus ihren baufälligen Häusern auf schmutzige, löchrige Straßen blicken, auf denen Pferdegespanne unterwegs sind und Hühner nach Nahrung picken. In den Medien dominiert das Bild einer nicht nur wirtschaftlich desolaten Welt, die mit Hilfe von EU-Geldern entwickelt werden muss.
Gauß dagegen begegnet dem europäischen Osten wie in seinen übrigen Publikationen auch – und das ist eines seiner Erfolgsgeheimnisse – stets auf intellektueller und menschlicher Augenhöhe und führt dem Leser neben allem Verhängnisvollen auch den Reichtum des Ostens vor Augen, einen Reichtum, der im Widerspruch lebt und nicht mit Zahlen gemessen werden kann:
„Was die Donau mit ihren Ländern und Menschen so anziehend macht, ist eben die Vielfalt, der sich auf engem Raum entfaltende Widerspruch: nicht unberührte Natur, nicht einheitlich durchformte Kultur, bietet die Donau immer das Zugleich, von Nationalitäten, Religionen, Sprachen, von Entwicklungsstufen der Ökonomie, von Traditionen, die nicht preisgegeben, und Aufbrüchen, die gewagt werden, von Besonderheiten einer Volksgruppe, die trotzig bewahrt, und Verflechtungen mit der Welt, die als das Selbstverständliche gesucht werden.“

Karl-Markus Gauß, Christian Thanhäuser Die Donau hinab
Reisebericht.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2009.
151 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 978-3-85218-599-6.

Rezension vom 04.11.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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