#Sachbuch

Die Dichter und das Denken

Klaus Kastberger, Konrad Paul Liessman (Hg.)

// Rezension von Martin Sexl

Ich muss gestehen, dass mich doch auch ein kleines bisschen ’niedere Instinkte‘ angestachelt hatten, als ich mich für die Rezension des vorliegenden Bandes ‚angemeldet‘ hatte: „Noch ein Sammelband über Literatur und Philosophie! Die eine Hälfte der Beiträge in solchen Sammelbänden sucht nach Spuren altbekannter Philosophen – selten Philosophinnen – in altbekannten literarischen Texten, die andere Hälfte nimmt die Texte jener Philosophen – selten Philosophinnen – auseinander, die sich eines ‚literarischen Stils‘ befleißigen.“ Mein Schadenfreude-Zentrum im Gehirn meinte da: „Das Buch werden wir aber ganz schön auseinander nehmen!“

Als das Buch dann auf meinem Schreibtisch lag, war der erste Gedanke nur: „Was für ein schönes Buch!“ – und der zweite und der dritte ebenso. Ich liebte das Buch schon, bevor ich eine Zeile davon gelesen hatte: die Bilder, Fotos, die Faksimile-Abbildungen, das Druckbild, die Kompaktheit, die auch nicht durch Fußnoten gestört wird – immer wieder nahm ich den Band zur Hand, um ihn einfach durchzublättern, ohne zu lesen.

Beim Lesen dann verflüchtigte sich der erste Eindruck keineswegs, im Gegenteil, er vertiefte sich. Und etwas beschämt erinnerte ich mich an meine allzu voreilige Schadenfreude, an meine Urteile und Vorurteile, welche nun von den Beiträgen des Bandes so eindrücklich widerlegt wurden. Sammelbände sind Sammelsurien und Anhäufungen von Dingen, die eine gewisse gemeinsame Themenstellung, ansonsten aber keine Ähnlichkeiten aufweisen – und die auch alle für sich alleine existieren könnten und können. Die schlechten unter diesen Zusammenstellungen erinnern an Wohnungen, in denen sich Urlaubsmitbringsel anhäufen, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, eben Urlaubsmitbringsel zu sein. Die besseren unter ihnen – und dieses Buch gehört zweifelsohne zu dieser Sorte – sind liebevolle Arrangements, die es erlauben, Zusammenhänge wahrzunehmen, die sich erst in der Ordnung einzelner Gegenstände (sprich: Beiträge) – so willkürlich gewählt diese Ordnung auch erscheinen mag – ergeben. Gerne hätte ich mehr über dieses Buch geschrieben – aber der Platz für eine Rezension ist knapp bemessen -, denn über die Solidität aller Beiträge hinaus regen die meisten unter ihnen an zum Weiterdenken und Weiterschreiben. Ein schönes Buch, ein gelungenes Buch – rundum. Viele AutorInnen genießen in den Geistes- und Kulturwissenschaften nicht umsonst einen hevorrragenden Ruf, und sie beweisen hier, dass sie ihn zu Recht genießen.

Ich weiß, ich habe immer noch kein Wort über das Buch verloren, und ich werde auch nicht mehr viele darüber verlieren. Die einzelnen Beiträge des ersten Teils („Die Dichter und das Denken. Aufsätze“) wären es mehr als wert, dass man ins Detail ginge: Ich müsste mehr über Daniela Strigls einleitenden Beitrag schreiben, die Nietzsche und Heidegger, Schmatz, Czernin, Sartre und Camus, Eco und Sloterdijk nach den Verbindungen zwischen Literatur und Philosophie befragt, oder müsste mehr über Konrad Paul Liessmann schreiben, der – unter anderem – in Thomas Manns „Doktor Faustus“ und „Zauberberg“ die Spuren Adornos und Lukács‘ wieder findet. Ich müsste Evelyne Polt-Heinzls so präzise und luzide Analyse loben, welche Arno Schmidt und Bertha Helene Diener (Sir Galahad), Martina Schnabl und Bachmann und Gerstl und die Geschlechterollenkonflikte und Jelinek und Wittgenstein und und und miteinander brilliant vernetzt, müsste Elisabeth Bronfens Ausführungen über Shakespeare und die Tragödientheorie Stanley Cavells im Lichte der Gender-Problematik ausführlicher erwähnen, müsste Benedikt Lebedurs Analyse von Robbe-Grillet und Wendelin-Schmidt-Denglers Reise auf den Spuren Thomas von Aquins in Heimito von Doderers und Umberto Ecos Werk genauer nachgehen, müsste Peter Strassers Handke-Lektüre oder Martin Hubers Verbindungslinien zwischen Wittgenstein und Bernhard würdigen und müsste auch Klaus Kastbergers Suche nach dem Schweigen in Literatur und Philosophie (unter anderem bei Hofmannsthal, Mauthner, Wittgenstein, Morgenstern, Horváth und Celan) viel deutlicher hervorheben.

Der zweite Teil des Buches („Literatur und Philosophie. Eine Umfrage“) versammelt Antworten der SchriftstellerInnen Ballhausen, Cejpek, Falkner, Franzobel, Gerstl, Glavinic, Grond, Gruber, Hermann, Jelinek, Kerschbaumer, Kreidl, Mayröcker, Mischkulnig, Rabinovici, Rühm, Schmatz, Steiger, Stolterfoht, Weber, Wimmer und Zauner auf die Frage nach deren Verhältnis zwischen Philosophie und Literatur, der dritte Teil („Dossier Günther Anders“) bietet Untersuchungen über den Schriftstellerphilosophen und philosophischen Literaten mit zwei Beiträgen von Ludger Lütkehaus und Bernhard Fetz sowie mit größtenteils bislang unveröffentlichten (und wunderbaren) Fabeln von Günther Anders.

Ich könnte auch ein bisschen herummeckern: So habe ich den Beitrag von Oswald Egger „Nichts tun (stumm)“ schlicht nicht verstanden (aber das nehme ich auf meine Kappe), eine Einleitung hätte vielleicht erklären können, wie das Buch zustande gekommen ist (aber das ist nun wirklich nicht besonders wichtig) und beim zweiten Teil des Buches („Literatur und Philosophie. Eine Umfrage“) erfährt man leider nicht, welche Frage nun eigentlich genau den Antworten der verschiedenen SchriftstellerInnen zugrunde lag (aber da habe ich wohl etwas überlesen). Dass die besagten Antworten heterogen sind, ist selbstverständlich und stört die Kompaktheit und Schönheit des Buches keineswegs. Und dass einige Antworten auch ein bisschen banal sind, ist ja nun nicht die Schuld der Herausgeber. Ab und an hat man beim Lesen auch den Eindruck, der sich durch die stilistische Sicherheit – an einigen Orten sogar Brillianz – schnell wieder verflüchtigt, dass die AutorInnen vergessen, dass jeder ‚wirklich‘ gute literarische Text (von Sophokles, Shakespeare, Proust et al. – und nicht ’nur‘ von den literarisch-philosophischen Doppelbegabungen Camus, Sartre oder Anders) auch Philosophie ist, weil man darin – ich weiß, es klingt allzu banal und pathetisch – etwas (vieles!) übers Leben, die Liebe, den Tod und anders mehr lernt. Aber diesem Buch verzeihe ich alles. Und diese kleinen Schatten können den Eindruck nicht einmal vorübergehend trüben: Das Buch ist eine wunderbare Mischung aus „alles was man sagen kann, kann man klar sagen“ (Wittgenstein) und „alles, was man sagen kann, kann man auch beiläufig sagen“ (Gerstl, zitiert von Polt-Heinzl, 61). „Aber lesen Sie selbst! Sie werden es nicht bereuen“ (de Selby, „Golden Hours“).

Klaus Kastberger, Konrad Paul Liessmann (Hg.) Die Dichter und das Denken
Wechselspiele zwischen Literatur und Philosophie.
Mit einem Dossier zu Günther Anders.
Zusammengestellt von Bernhard Fetz.
Wien: Zsolnay, 2004.
302 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-552-053220-0.

Rezension vom 04.10.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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