#Anthologie

Die Chefin

Evelyne Polt-Heinzl (Hg.)

// Rezension von Johanna Rachinger

Eine literarische Besichtigung.

Frauen, die Karriere machen, sind heute keine Einzelfälle mehr, trotzdem interessieren sich die Medien stärker für sie als für erfolgreiche Männer. Die Öffentlichkeit will wissen, wie so genannte Karrierefrauen ihre Führungsposition in einer weitgehend von Männern dominierten Arbeitswelt wahrnehmen, ohne die geschlechtsspezifischen Seiten ihrer Persönlichkeit zu verleugnen.

Auch in der Literatur ist die Auseinandersetzung mit der Chefin längst keine Seltenheit mehr, wie Evelyne Polt-Heinzl, die Herausgeberin der vorliegenden Anthologie, eindrucksvoll aufzeigt. Und im Gegensatz zu den immer gleichen Seitenblick-Szenen, in denen erfolgreiche Frauen vor allem bei gesellschaftlichen Anlässen präsentiert werden, bieten die einzelnen Texte ein wesentlich facettenreicheres Bild der Frau, die sich durchgesetzt hat.

Sie ist in der Vorstandsetage eines internationalen Konzerns ebenso anzutreffen wie in der Redaktion eines Hochglanzmagazins oder im TV-Studio, sie arbeitet im Kriminalkommissariat, im eigenen Hotel oder als Architektin auf einer Baustelle. Sie setzt sich zur Wehr gegen unliebsame Konkurrenz, ist phantasievoll, wenn es darum geht, die eigene Position zu verteidigen oder auf lästige Anbiederung von männlichen Untergebenen zu reagieren, und sie schreckt nicht davor zurück, Männer mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

In den in neun Kapiteln gesammelten Kostproben aus Romanen und Erzählungen ist die Chefin nicht immer sympathisch gezeichnet, und der Blick hinter die Fassade der perfekt gestylten Erfolgsfrau eröffnet manchmal gruselige Abgründe. So versteckt sich etwa hinter Maria Benedickts biederer Dame im vornehmen Kostüm eine gerissene Diebin und hinter der von Milena Moser porträtierten Haushälterin, die zu Geld gekommen ist, ein Racheengel, der eine Demütigung nicht vergessen kann. Was schließlich Eva Rossmanns eiskalte Wahlkampfleiterin mit ihrem Küchenmesser vorhat, wagt man kaum zu erahnen.

Dass die „Chefin“ gar nicht so neu ist, wie es scheinen mag, zeigen Beiträge zum Kapitel „Blick zurück“, in dem nicht etwa die erfolgreichen Frauenfiguren aus der Geschichte oder der Mythologie vorgestellt werden, sondern die namenlosen Chefinnen wie etwa die Priorin, die Puffmutter, die Gutsherrin oder Kerstin Hensels Inhaberin einer Wasch- und Plättanstalt, die die finsteren Züge einer Herrscherin zeigt und den Hass, „den die schwere Arbeit mit sich brachte.“

So sehr das Chefinsein die Frau prägt, so sehr kann auch das Frausein die Chefin verändern. Das zeigen interessante Beiträge, die weiblichen Führungsstil und weibliche Kampfstrategien thematisieren. Natürlich geht es dabei immer auch um Klischees, aber die Autorinnen und Autoren spielen mit diesen Klischees, zeigen die Brüche in den so genannten Bilderbuchkarrieren und widmen sich auch der Frage, was den beruflichen Erfolg der Frauen verhindern kann. Nicht immer sind es männliche Ausschließungsmechanismen, nicht immer ist es fehlende Solidarität unter den Frauen, oft liegt es an der Frau selbst und dem Bild, das sie sich von ihrer eigenen Zukunft entwirft. So kommt Gabriele Kögls frustrierte Sekretärin zu einer späten Einsicht: „An eine Karriere hatte ich nie ernsthaft gedacht, dafür verdiente der Mann zu gut. Mit dem Titel am Ende des Studiums glaubte ich bewiesen zu haben, dass ich könnte, wenn ich wollte. Schließlich hatte ich gezeigt, dass ich in der Lage war, die Voraussetzungen zu schaffen.“

Ob Frauen die erfolgreicheren Chefs sind, ob sie mit männlichen Machtritualen besser umgehen können oder mit dem ihnen nachgesagten Harmoniebedürfnis konstruktivere Lösungen zustande bringen, kann auch nach der Lektüre dieser Anthologie nicht beantwortet werden. Auf jeden Fall aber bieten die vielen originellen Beiträge ein buntes und abwechslungsreiches Bild der erfolgreichen Frau, das man sich nicht entgehen lassen soll.

Evelyne Polt-Heinzl (Hg.) Die Chefin
Anthologie.
Wien: Picus, 2003.
209 S.; geb.
ISBN 3-85452-455-2.

Rezension vom 15.11.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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