Doch gleichzeitig ist „Handke über Handke“ in dem Band omnipräsent. Es gibt eine durch unzählige fiktionale Texte und Interviews laufende untergründige „Autobiografie“ Peter Handkes: der Dichter hat sein Leben und die Personen seiner Umgebung fiktionalisiert und die Zahl seiner nicht nur die dichterische Arbeit, sondern auch die Biografie kommentierenden Interviews ist Legion. Und diese „Autobiografie“ ist die zentrale Quelle Pichlers, er hat an entlegenen und heute unzugänglichen Stellen liegendes Material gesammelt und komprimiert. Es sind also – mit Ausnahme zahlreicher zitierter Briefe Handkes – hauptsächlich gedruckte Materialien, auf die sich diese Biografie stützt. Die berühmten „Rowohlt – Monographien“ liefen früher unter der Bezeichnung: XX in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“ und das wäre auch für diesen Band eine adäquate Bezeichnung.
Pichler geht in seiner Darstellungsweise sehr sachlich vor: er beschreibt einen biografischen Ablauf, konfrontiert ihn mit den Auswirkungen auf das Werk, zitiert Selbstkommentare und Berichte oder Kommentare Dritter. Häufig – ein kleines Beispiel: Handkes Beziehung zur Rockmusik – stehen widersprüchliche Selbstaussagen unkommentiert nebeneinander und der Autor fühlt sich nicht verpflichtet, diesem Widerspruch nachzugehen. Auch in der Frage der Werkinterpretation bleibt Pichler entweder abstinent oder referiert anerkannte Sekundärliteratur. Das Privatleben Handkes – sofern es nicht in Prosa oder Interviews behandelt wurde – bleibt weitgehend unerörtert. Unter den ungedruckten Materialien sind vor allem die Briefe an Alfred Kolleritsch wichtig, mit dem Handke einen über Jahrzehnte laufenden Dialog über seine Arbeit geführt hat.
Eine kleine Kostbarkeit ist ein offensichtlich von Pichler entdeckter Brief Curd Jürgens an Handke, in dem dieser „den faszinierendsten deutschsprachigen Dichter dieser Jahre“ tatsächlich bat, für ihn eine Rolle zu schreiben. Jürgens dachte an eine „Figur (…), die im schroffen Kontrast zu seiner (sic!) äußerlichen Erscheinung steht“: „Mit anderen Worten, es würde mich ungeheuer reizen, einen KOLOSS AUF TÖNERNEN FÜSSEN … zu spielen.“ Ob der „normannischen Kleiderschranks“, dessen Karriere damals offensichtlich stagnierte, Handke wirklich verstanden hat, bleibt dahingestellt.
Dass Pichler mehr als treuer Chronist der Selbstbilder des Objekts seiner Arbeit auftritt, spricht ein wenig gegen den Anspruch von der „umfassenden“ Biografie, soll aber sein Verdienst nicht schmälern. Nicht nur ist es eine Leistung, die Vielfalt der Quellen zusammengefasst zu haben, Pichler versteht es auch, Handke „sichtbar“ zu machen. Haltungen – etwa die zu Jugoslawien – die wir nur in der massenmedialen Zuspitzung kennen, werden hier in ihrer langsamen Entwicklung gezeigt. Handke ist nach dieser Arbeit für das Publikum verstehbarer und seine Positionen haben an Nachvollziehbarkeit gewonnen – ich bezweifle, dass eine biografische Arbeit im Augenblick mehr leisten könnte.