#Prosa

Die Autos meines Vaters

Wolfgang Pollanz

// Rezension von Werner Schandor

Eine Entwicklungsgeschichte in maisgelb.

Auf dem ersten Album von The Police, „Outlandos D’Amour“, gibt es den Versuch einer Generationenhymne mit dem Titel „Born in the 50ies“. Sänger Sting bemüht sich in diesem Song vergeblich einen auf Tom Waits zu machen, und auch sonst ist das Lied nicht gerade eine Sternstunde des Pop. Dennoch bleibt einem die singalong-taugliche Refrainzeile „We were born, born in the 50ies“ unweigerlich im Ohr hängen.

Der Ich-Erzähler in Wolfgang Pollanz‘ Geschichtensammlung Die Autos meines Vaters ist ebenfalls in den Fünzigern aufgewachsen, und auch er „singt“ von seiner Generation, aber er singt besser als Sting. Sein 173 Seiten langer Song handelt nicht vom vor-68er-revolutionären England, sondern von der südwestlichen Ecke Österreichs, genauer gesagt vom südsteirischen Grenzland, einen Hügel von Slowenien entfernt.

Die Autos meines Vaters erzählt in 12 lose zusammenhängenden Episoden von der Kindheit und Jugend in diesem abgelegenen Eck. Eine Entwicklungsgeschichte in maisgelb sozusagen, denn wenn ein Gewächs die Landschaft des Buches dominiert, dann ist es der Kukuruz. Kukuruzfelder dienen den Kindern nach diversen Streichen als Zuflucht vor dem Zorn und der Strafe der Eltern; durch Kukuruzfelder irren die Jugendlichen auf der Suche nach dem neu eröffneten Puff im Wald; und nicht zuletzt verliert der Ich-Erzähler als Halbwüchsiger seine Unschuld im Kukuruzacker.

Der Ort, in dem der Erzähler aufwuchs, und der in seiner Topographie Pollanz‘ Heimatort Wies stark ähnelt, gehört jener sprichwörtlichen Region an, in der sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Doch auch in dem kleinen, verschlafenen Ort machen sich nach und nach die Segnungen der Konsumgesellschaft bemerkbar. Die Chronologie der fahrbaren Untersätze des Vaters, die dem Buch seinen Titel geben, verdeutlicht den wirtschaftlichen Aufschwung und die damit verbundenen sozialen Häutungen, den bzw. die die österreichische Kleinfamilie von den Fünfzigern bis in die Siebziger mitmachen durfte / musste.

Es begann mit einem Motorrad mit Beiwagen und führte über den ersten Skoda in den Sechzigern bis zu immer neueren, vom Vater stets penibel gepflegten Automobilen westlicher Herkunft in den Siebzigern. In dieser Zeit ändern sich auch die Welt und das Leben des Ich-Erzählers. Man könnte es auf den Nenner bringen: Aus Mais wird Popcorn. Der Jugendliche wird ins Internat in Graz gesteckt und macht dort nach und nach Bekanntschaft mit den wesentlichen Ingredienzien eines Aufwachsens in Zeiten des kulturellen Umbruchs. Filme, Popplatten und Höschenphantasien bringen Licht in den eher düsteren Erziehungsalltag des Teenagers im Internat. „Später bin ich dann manchmal allein am Wochenende im Heim geblieben und habe mir mit dem Cover von Hendrix‘ Electric Ladyland, dem mit den nackten Frauen, einen runtergeholt, und Nacht für Nacht in den Stoff-Wandschoner meines Bettes gewichst, bis der schon von alleine stand.“ (S. 77)

Die weiteren Entwicklungsschritte des Erzähler-Ichs werden von Lieblingssongs, ersten Küssen, Räuschen, Drogenexperimenten, langen Haaren, künstlerischen Versuchen, Reisen ins Ausland und den Sorgen der Eltern um das Wohl ihres Sohnes markiert. Der Pollanz’sche Erzähler erinnert sich aus einer erwachsenen Position heraus an seine Kindheit und Jugend in der österreichischen Provinz. Dabei hat das geschaute Panorama durchaus intersubjektive Geltung; jedenfalls haben sich beim Autor schon Leser gemeldet, die in den frühen Siebzigern ebenfalls Zuhörer bei den „legendären Poppendorfer Poptagen“ (S. 139) gewesen sein wollen. Soviel zum Stichwort Generationenhymne.

Die Autos meines Vaters ist Wolfgang Pollanz‘ erstes Buch nach längerer literarischer Abstinenz. Der Autor betätigte sich in den vergangenen Jahren vor allem als Herausgeber der kleinen, aber feinen „edition kürbis“ sowie unter dem Pseudonym T.M. Download bzw. in der Band „ultrascope“ als Musiker. Wenn sich Popstars erinnern, wollen es die Hagiographen ganz genau wissen. Da gibt es Biographien, in denen vermerkt ist, in welcher Schnürlsamtjeans ein Bob Dylan bei welchem Konzert aufgetreten ist. Ähnlich ist es bei Pollanz: Das nebensächliche Detail, die genüssliche Abschweifung, das Schwadronieren, das bewusst auch die phantastische Übertreibung sucht, prägt den Stil seiner Geschichten, was den Texten nicht in jedem Fall gut tut. Manche der Episoden, zum Beispiel „Tödlicher Sommer“, in dem das Siechtum und der Tod des an Alzheimer erkrankten Vaters geschildert werden, sind berührend und voller – wie sagt man so schön? – Feeling. Bei manchen Geschichten aber – zum Beispiel der ersten, „Das Schwirren von Käfern in warmer Luft“ – geht durch die Zentrifugalkräfte des schwadronierenden Erinnerns auch die Textmitte verloren, die Erzählung löst sich in diesen Passagen in ihre Einzelteile auf und lässt den Leser eher verwirrt zurück.

Das Gros der Geschichten wird jedoch von einer heiteren Grundstimmung zusammen gehalten, in die gekonnt Pointen gestreut sind wie gute Refrains in einem guten Popsong. Durch diese lakonische Heiterkeit, aber auch durch die ungeschminkte Wiedergabe selbst peinlicher oder unangenehmer Erinnerungen, gewinnen „Die Autos meines Vaters“ Farbe und Kraft, so dass man zwischendurch meint, man höre die Kukuruzstauden im Fahrtwind rascheln.

Wolfgang Pollanz Die Autos meines Vaters
12 Erzählungen.
Klagenfurt, Wien: Kitab, 2003.
173 S.; brosch.
ISBN 3-902005-26-2.

Rezension vom 08.12.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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