Von Germanistik, Kritik und literarischer Öffentlichkeit vergessene AutorInnen wieder neu oder überhaupt entdeckbar zu machen, ist nun zweifellos ein äußerst positives Unterfangen. Die Fragen dabei lauten jedoch immer: Funktioniert ein Text außerhalb seines zeitlichen Entstehungskontextes? Wirken Inhalt und Stil verstaubt und wenig interessant oder ist der Text nach wie vor oder gerade jetzt spannend und aufschlussreich?
Aufschlussreich ist der Text sicherlich als Bericht eines Zeitzeugen, der versucht, ein differenziertes Bild der deutschen Gesellschaft in der Anfangszeit des NS-Staates zu zeichnen. Im Zentrum der Handlung steht dabei der österreichische Journalist Dr. Wilhelm Viktor Urbanek, kurz UVW, der für eine holländische Presse-Agentur aus Berlin berichtet. Urbanek bemüht sich, als Journalist und als Mensch ethischen Grundsätzen zu folgen. Er übt in seinen Artikeln Kritik an den neuen nationalsozialistischen Machthabern und schmuggelt drei von den Nazis Verfolgte über die Grenze nach Österreich. Schließlich stellt ihn der Gestapo-Mann Brock, ein sich kultiviert gebender Opportunist und Zyniker, vor die Wahl: Entweder (noch genauer zu definierende) Kooperation mit den Nazi-Behörden oder Ausweisung. Wie immer in grundsätzlichen Fragen verhält sich Urbanek auch in dieser Situation ethisch einwandfrei.
Hubalek beschreibt das als Gespräch getarnte Verhör Urbaneks durch Brock zwar nicht übermäßig subtil, aber doch gekonnt und eindrücklich. Auch die geschilderten Erlebnisse Urbaneks mit im NS-Staat lebenden Deutschen sind vielschichtig, wenden sich gegen Pauschalurteile und vermögen neue Perspektiven auf die nationalsozialistische Machtergreifung zu eröffnen. Die Hauptfigur selbst dient Hubalek vor allem dazu, zu demonstrieren, dass korrektes Verhalten gegenüber einer Diktatur möglich war und ist, wenn man sich an überzeitlichen moralischen Grundprinzipien orientiert.
Im Entstehungskontext betrachtet kann „Die Ausweisung“ allerdings kaum als bisher unbekanntes Meisterwerk der österreichischen Literatur der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte bezeichnet werden. Um dies zu verdeutlichen, müssen nicht unbedingt Vergleiche mit etablierten Größen wie Lebert, Bernhard, Bachmann oder Doderer angestellt werden. Auch im Zusammenhang mit heute eher unbekannten oder vernachlässigten Autoren kann Hubaleks Roman nicht überzeugen. So ist der Text auf der Handlungsebene weit weniger originell und radikal (aber auch weniger problematisch) als der ebenfalls in der Reihe „REVISITED“ erschienene Roman „Wenn das der Führer wüßte“ (1966) von Otto Basil. Auch thematisiert „Die Ausweisung“ nicht das für die österreichische Nachkriegszeit so zentrale Thema von Kontinuität und Wandel, vom Umgang mit einem wie auch immer gedachten „Erbe“ wie Herbert Zands „Erben des Feuers“ (1961). Aus literarisch-ästhetischer Perspektive reicht Hubalek weder an Albert Paris Güterslohs außergewöhnliches und leider kaum gelesenes Meisterwerk „Sonne und Mond“ (1962), noch, vielleicht eher vergleichbar, an die Romane von George Saiko – wie „Auf dem Floß“ (1948) – heran.
Am ehesten noch weist Hubaleks Text mit dem ersten Roman von Gerhard Fritsch, „Moos auf den Steinen“ (1956), Ähnlichkeiten auf. In „Moos auf den Steinen“ versuchte Fritsch – eher konventionell und nicht frei von Stereotypen –, die Gräben, die der Nationalsozialismus gerissen hatte, zuzuschütten und einen „Staatsvertrags-Roman“ (Reinhard Urbach) vorzulegen. Erst in dem posthum erschienenen „Fasching“ (1967) hat Fritsch das Groteske und Wahnwitzige, das Brutale und Banale des Faschismus schonungslos offen gelegt. Evelyne Polt-Heinzl weist nun in ihrem Nachwort darauf hin, dass „Die Ausweisung“ als Teil eines größeren Romanprojektes geplant gewesen sei, wobei „in den unpublizierten Textfragmenten […] Hubaleks eigene Flucht 1938 und seine Erlebnisse in den Gestapo-Folterkellern thematisier[t]“ (S. 182) werden. Man würde also dem Schriftsteller Felix Hubalek Unrecht tun, wenn man das Fragmentarische des vorgelegten Textes nicht bedenken würde. Hätte es sich bei Hubalek nur annähernd so wie bei Fritsch verhalten, so wäre von den weiteren Teilen des Romanprojektes – vielleicht gerade weil diese dann auf eigenen Erfahrungen im Widerstand und in der Verfolgung basiert hätten – doch noch einiges zu erwarten gewesen.
Für literaturgeschichtlich und zeithistorisch Interessierte bietet der Text auf alle Fälle eine lohnende und abwechslungsreiche Lektüre, die zu über den historischen Einzelfall hinausgehendem Nachdenken über Anpassung und Widerstand in totalitären Systemen anregt.