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Die Außerirdischen

Doron Rabinovici

// Rezension von Marietta Böning

Wohin treibt die Weltgesellschaft unter der Voraussetzung einer globalen Demokratie und zugleich unter der Annahme von Konstanten, welche eine Demokratie anfällig halten und die Geschichte der Menschheit seit je mitbestimmten? Eine solche Konstante ist der Mythos. Menschen, die Mythen (vulgo Gerüchte) verbreiten, Menschen, die an sie glauben und Menschen, die sich am Glauben bereichern, sind ebenfalls Konstanten der Menschheitsgeschichte. Mythen bestehen aus Mutmaßungen und postulierten Ereignissen, dabei wird nicht hinterfragt, ob oder vergessen, dass sie imaginiert wurden. Sie bergen das Potenzial zu Handlungen zu führen und tatsächliche fatale Ereignisse, im Extremfall Kriegshandlungen, zu motivieren.

Eine Gesellschaft mag sich aufgeklärt wähnen, wenn sie meint dieses Prinzip durchschaut zu haben und via Medien, Opposition und Stärkung des Pluralismus kontrollieren zu können. Gleichzeitig mag sie doch so verblendet sein nicht zu erkennen, wie sie sich einer Inversion von Wahr- und Falschheiten in der Form jener Religion hingibt, die eben unsere postmoderne Gesellschaft prägt: Fake News. Ihre Verbreitung durch Social Media ist schwer kontrollierbar. Doron Rabinovici entwirft in seinem Roman Die Außerirdischen eine sich am Ziel ihrer Träume wähnende Weltgesellschaft. Feindseligkeit unter den Völkern soll es nicht mehr geben, weil der globale Friede erreichbar scheint. Sie bildet sich ein, ihre Chance auf Weltfrieden in dem Moment zu bekommen, als angeblich Außerirdische auf der Erde gelandet sind. Diese Gesellschaft ist historisch erfahren genug zu wissen nicht a priori ein Feindbild aufbauen zu dürfen. Doch sie erkennt an sich selbst nicht, dass es just die Gelegenheit ist eine Rassendifferenz zu forcieren, dass es also lediglich die plausible Andersheit der Außerirdischen ist, welche die menschlichen Völker imaginär zusammenschweißt. Was den gemeinsamen Nenner des Menschseins aber ausmacht, fragt sie sich nicht. Sie weiß auch gar nicht, ob es ihn gibt. „Interstellare Solidarität“ wird gepredigt, als wäre sie das Menschlichste der Welt. Dabei zeigt sich der Mensch gerade durch die plötzliche Anwesenheit von Außerirdischen wie eh und je. Gleich die offizielle Kundmachung ihrer Landung führt zu Gerüchten wie einem drohenden Nuklearkrieg durch die Außerirdischen, die den Strom lahmgelegt hätten, zu Panik, überstürzten Plünderungen, schließlich zum Mord an einem überirdisch aussehenden Feuerwehrmann.

Nachdem die wie Menschen aussehende Delegation von Aliens im Beisein von UNO-Delegierten die Erdenmenschheit gegrüßt und verlautbart hat in Friedensabsicht zu kommen, grassieren Mythen darüber, ob und welche Menschen wohl hinter den Aliens stecken. Es kommt zu Meinungslagern, Demonstrationen, Gegendemonstrationen, einer Bürgerwehr. Es gibt Berichte und Gegenberichte, banlieuartige Zuständen, Ängste, die den Willen zur Selbstbewaffnung schüren.

Rabinovici erzählt aus der Perspektive eines intellektuellen TV-Redakteurs, dessen Format vormals eine Gourmetsendung war und sich fortan auf ein Essen-affines Thema inmitten der Turbulenzen stürzt: das fehlende Brot, den Hunger nach den Plünderungen. Den Plot durchziehen fortan zwei stetig durch die Geschichte des Redakteurs eng miteinander verflochtene Handlungsfäden. Zum einen die Formierung eines Sicherheitsapparates, um das Chaos diverser Grassrot-Bewegungen verschiedener Couleurs (undifferenziert, sodass man ahnen kann, in welche Richtung die Security die Gesellschaft ziehen wird) in den Griff zu bekommen; zum anderen die Orientierung am „Mythos“, als dessen Metapher man getrost alle Zeit auch „Alien“ einsetzen darf. Es scheint überhaupt nicht klar, wer hier wirklich für Frieden demonstriert oder ob die Gruppierungen überhaupt etwas mit der Gestaltung von Frieden anfangen können, sich überhaupt bewusst sind, was Frieden impliziert – man ist mehr als man zugeben möchte mit Freund-/Feindbildern unter den Menschen selbst konfrontiert. In diesem „Stadium“ von Antifrieden wird der Mythos „Mensch oder Alien“ leicht zur Verschwörungstheorie: „Das Regime hatte den Märchen über Marsmenschen und UFOs nie widersprochen, um im Windschatten esoterischer Verschwörungstheorien umso besser Spionage betreiben zu können.“

Der zweite Handlungsfaden zieht aus den Außerirdischen etwas unheimlich Schwarzes für die menschliche Seele, das sie aber seit Jahrtausenden so gut kennt wie sich selber: das Opfer des Menschen. Es sind von den Aliens erbetene und global im TV gesendete Glücks-, Wissens- und Leistungsturniere, die es erfordern. Der Maßstab: das Menschenmöglichste, die totale Verausgabung. Dass es die Turniere überhaupt geben soll, war zuerst eine Information aus den Social Media. Eine Idee, die zum Schneeball wurde. Was an der Lektüre des Buchs Angst macht, ist die rasche Einfindung in unmögliche Ideologien. Schockierend ist nämlich, dass die Aliens Menschenopfer fordern, eben die Verlierer der Spiele; noch schockierender aber, wie rasch der Schock dem Achselzucken weicht, denn die Wettkämpfer stellen sich freiwillig. Für ihre Hinterbliebenen wird gesorgt, und sie sterben für die Menschheit. Eines der abgeschmacktesten Gerüchte, aus denen Rabinovici sein Buch flicht: Die Aliens würden nach intelligentem Leben suchen, und gerade die Wahlfreiheit, der freie Wille sei ihnen besonders bekömmlich. Letztlich kommt es soweit, dass die Spiele gestattet werden, damit die Aliens die Menschheit nicht angreifen.

Die Außerirdischen liefert ein Bild über die Angst vor dem inneren dunklen Spiegel; liefert einen Hinweis auf das Menschliche als das Befremdliche und auch das Andere, das ohne den Zusatz der Menschenwürde unmenschlich wird. Rabinovici evoziert eine Bedrückung, indem er vorführt, wie simpel die Allmacht der Diskurse in den Muttersprachen Platz greift, und zwar universal, sodass sie uns einwiegt. Wer sind die Außerirdischen? Wir selber, echte Aliens? Oder doch nur wieder solche, für die wir alles tun, weil wir uns selber nicht ganz als Stellvertreter eines vermeintlichen Gottes wähnen dürfen, aber irgendwie doch auch schon? Propheten vielleicht, denen man guten Glaubens dieses Zwischenstadium samt der Verantwortung überträgt. Und außerdem Selbstmörder auszubilden, und von denen man nicht recht weiß, ob sich Märtyrer von ihnen unterscheiden? Am Ende führt uns die ins Abendmahl überführte Spaßkultur vor Augen, dass der Mythos der Freiwilligkeit nicht besser ist als der Mythos der Willensfreiheit; dass Subversion mit Kapitulation verwechselt werden kann, ändert man nur den Blickwinkel; dass die Begriffe „Würde“ und „Frieden“ unterstrapaziert sind und dass immer noch so schwer begreifbar zu machen ist, weshalb Begriffe wie „Faktum“ und „Archiv“ keine Fremdwörter werden dürfen.

Die Außerirdischen.
Roman.
Berlin: Suhrkamp, 2017.
255 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-518-42761-3.

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Rezension vom 10.01.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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