#Roman
#Debüt

Die Abschaffung der Wochentage

Moritz Franz Beichl

// Rezension von David J. Wimmer

Junger Mann mit D-Wort, schreibend

„Ich schreibe dir nicht mehr. / Nie wieder. / Ab jetzt.“ – so beginnt der Roman Die Abschaffung der Wochentage, das Debüt des Theaterregisseurs und Nestroy-Preisträgers Moritz Franz Beichl. Am Anfang steht also der Versuch eines Endes, der Versuch der Hauptfigur Lukas, mit einigem Vergangenen abzuschließen – mit der soeben gescheiterten Beziehung, mit einem gemeinsam aufgebauten Leben, das sich jetzt aufzulösen beginnt, und mit den eigenen Vorstellungen von Partnerschaft und Liebe, die nach einer Trennung plötzlich in Frage gestellt werden.

Was folgt, sind unzählige Nachrichten an den Ex-Freund, der auf keine der Mitteilungen Antwort gibt, der bis zuletzt Leerstelle bleibt. So entwickelt sich ein einseitiger Briefroman, allerdings in aktuellem Gewand, denn das Ich, das hier in alltäglicher Sprache schreibt, bedient sich vorerst der Kurznachricht, verschickt per WhatsApp tief verletzt und an der Grenze zur Obsession eine Nachricht nach der anderen – im steten Wissen, vom Gegenüber ignoriert zu werden: „Ich habe die zwei blauen Häkchen gesehen, ich weiß, dass du das liest.“ Und auch Leser:in liest mit – wie sich Lukas in seinem neuen Leben einzurichten versucht und grandios daran scheitert, wie er sich etliche Coping-Strategien erarbeitet, stets zwischen Exzess und Zweck-Zynismus – Stichwort: „Rotwein-WhatsApp-Tagebuch-Mitteilungs-Ichlebenoch-Ja-Ich-lebe-aber-wie?-Mitteilungs-WUT“ – und wie der Schmerz und die Verzweiflung an- und abschwellen, um sich schließlich gegen Ende des ersten Erzählabschnitts ins Höchste zu steigern in einem über mehrere Nachrichten hinweg angekündigten Selbstmordversuch.

Dass sich die Form des Briefromans besonders eignet, eine (unglückliche) Liebesbeziehung zu beschreiben, hat die deutschsprachige Literatur hinlänglich bewiesen. Auch Beichl weiß den gattungsspezifischen Mix aus Formalismus, Innerlichkeit und Naturalismus gekonnt einzusetzen, wenn er oft innerhalb einer Kurznachricht zwischen distanzschaffendem Selbstkommentar und verletzlicher Ehrlichkeit wechselt und damit allzu oft ein voyeuristisches Unbehagen in den Lesenden erzeugt. Dabei wird in den fünf Teilen, in die der Roman gegliedert ist, auch das Kommunikationsmedium selbst gewechselt. So folgen auf die WhatsApp-Kurznachrichten im ersten Teil handschriftliche Briefe im zweiten. Der dritte Teil wird von einer einzigen 30-seitigen Mail eingenommen, die der Ich-Erzähler nach Monaten der Betreuung kurz vor seiner Entlassung aus der Psychiatrie schreibt. Darauf folgt wiederum eine Reihe von Postkarten aus Paris, die über Jahre hinweg von einem Neuanfang in der Ferne erzählen, nur um mit dem letzten Teil wieder bei Kurznachrichten zu landen, die die Erzählfigur nach einem schweren Rückfall erneut aus der psychiatrischen Abteilung des AKH Wien schickt. Das jeweilige Medium bestimmt dabei den Ton und den Rhythmus der einzelnen Erzählabschnitte und prägt somit die gesamte Dramaturgie des Textes, dessen thematisches Zentrum die Depression der Hauptfigur bildet, die später als bipolare Störung präzisiert wird. Dabei geht es dem Text allerdings weniger darum, das Leiden tiefenpsychologisch zu be- und ergründen, vielmehr geht es um das episodische Mit- und Nacherleben eines wechselhaften Zustands, der für viele schwer greifbar scheint. Denn die Depression, das macht der Roman deutlich, lässt sich schwer in Worte fassen. So geistert der Begriff mit Unsagbarkeitstopos behaftet weitgehend als das „D-Wort“ durch den Roman. Das Erleben der psychischen Krise wird für den mitteilungsbedürftigen Ich-Erzähler somit auch das Erleben einer Sprachkrise: „Das Problem eines jeden Depressiven. Wie beschreiben?“ Die Sprache der Psychologie, die Sprache der Depression entpuppt sich nämlich als eine kontaminierte: als eine vom neoliberalen Sprech um Selbsthilfe, Selbstfindung und Selbstoptimierung verunreinigte Phrasendrescherei: „Kein Wort schafft es, dass Unbeteiligte nur im Geringsten erahnen können, wie sich eine Depression anfühlt. Vor allem Albert-Einstein-Zitate nicht, vor allem die nicht. Ich hasse Albert-Einstein-Zitate, falls die wirklich alle von Albert Einstein sind.“

In dieser Logik inszeniert der Roman die Depression als Politikum, dabei aber weniger als kollektive Problematik, die es von Seiten der Politik anzugehen gilt, sondern als logische Reaktion auf ein krankhaftes System, in dem der Leistungsgedanke bis in den letzten Winkel dringt: „Depression verweigert sich der Selbstoptimierung, die nicht nur in der Arbeitswelt, sondern in sämtlichen Lebensbereichen herrscht.“ In diesem Sinne ist auch der Titel des Romans zu verstehen: Die Abschaffung der Wochentage als eine bewusste Absage an das ökonomische Denken, als eine Utopie der Zeit- und Zwecklosigkeit, die Lukas in seinen Nachrichten nach und nach entwirft. Beichl unterfüttert die Ausführungen seiner Hauptfigur mit allerlei Theorie von Eva Illouz und Georges Bataille und auch Büchners Leonce und Lena, von Beichl noch in der letzten Spielzeit am Landestheater Niederösterreich inszeniert, blitzt deutlich zwischen den Zeilen hervor. Doch sind es gerade jene Passagen, in denen der Erzähler nach aphoristischen ‚Wahrheiten‘ sucht, die am wenigsten überzeugen. Da helfen auch nachgestellte Ironisierungsversuche wenig, denn allzu oft geraten Lukas‘ Erkenntnisse selbst zu Plattitüden („Ich habe genug Leben geprobt, ich möchte es jetzt leben.“) und die Grundthematik der Depression läuft punktuell Gefahr zur bloßen Metapher zu verkommen. Die Stärken des Romans liegen eher in der gesamtheitlichen Darstellung der manisch-depressiven Verfassung der Hauptfigur, für die Beichl im Brief- oder WhatsApp-Roman die ideale Form findet. Denn in der fragmentarischen Erzählung im Modus absoluter Innerlichkeit, in der mit jedem Brief, jeder Nachricht immer wieder von neuem angesetzt wird, in der sich ein P.S. an das andere hängt, in der die drängende Manie in der SMS ebenso Platz findet wie die zerdehnte Leere einer Depression im ausufernden Brief, spiegelt sich die von Ambivalenz bestimmte Struktur der chronischen Erkrankung schon allein formal. So liegt der Reiz des Romans im Auf und Ab der Erzählung, dem Wechsel zwischen Akzeptanz, Hoffnung und Verzweiflung, dem Hin und Her zwischen Selbstaufgabe und Emanzipation. Bei aller Schwere ist der Text auch geprägt vom charakteristischen Humor der Erzählfigur, der sich jeglichem Fatalismus verweigert und der in melancholisch-gebrochener Selbstironie und im eigenen politischen Anspruch an die Programme der australischen Comedy-Künstlerin Hannah Gadsby oder die Serie Please like Me erinnert.

Letztlich ist Die Abschaffung der Wochentage ein schillerndes Buch über Depressionen und Mental Health, nicht ohne Unterhaltungswert; ein im Nachhall der Pandemie und sozialer Vereinzelung wichtiges, ja notwendiges Buch, das konsequent nach einem neuen Blick auf die Thematik sucht; ein überzeugender Debütroman, der immer dann brilliert, wenn er das Theoretisieren sein lässt und sich der Unmittelbarkeit der Erzählung hingibt.

Moritz Franz Beichl Die Abschaffung der Wochentage
Roman.
Salzburg, Wien: Residenz, 2022.
176 S.; geb.
ISBN 9783701717576.

Rezension vom 29.08.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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