#Comic

Dick Boss

Nicolas Mahler

// Rezension von Bernhard Oberreither

Bilder von Nicolas Mahler, Texte von Nicolas Mahler, Tilman Rammstedt, Verena Roßbacher, Dietmar Dath, Franz Adrian Wenzl, Clemens J. Setz, Simon Froehling, Martin Amanshauser/Linda Stift, Michael Stavaric, Hanno Millesi, Andrea Grill, Jürgen Lagger.

Dick Bos – was für ein Mann: Mit markantem Kinn und unbestechlichem Sinn für Gerechtigkeit kämpft er gegen das Verbrechen,stets auf der Seite des Guten. Sein Job als Privatdetektiv ist für den wohlhabenden Idealisten eher ein Hobby; nimmt er einmal tatsächlich Geld für seine Dienste, verschenkt er es recht bald wieder. Der ideale Schwiegersohn.

Wie kommt es also, das dieser tadellose Charakter plötzlich in Frauenkleidern herumläuft, den Falschen erschießt, sich hoffnungslos in seine Therapeutin verliebt, dann aus Frust zum Gewohnheitsverbrecher wird und gar nach Polen verschwindet, um dort schmutzige Filmchen zu drehen?

Ganz einfach: Nicolas Mahler hat sich seiner angenommen. „Dick Bos“, die Bildchenromanserie des Niederländers Alfred Mazure aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, ist Vorbild für Mahlers ureigenes Großstadtheldenepos Dick Boss. Mahler, der Meister des skurrilen, hintersinnigen Humors, der Schöpfer so subtiler Meisterwerke wie „Flaschko, der Mann in der Heizdecke“ oder „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“ und dreifacher Gewinner des Max und Moritz-Preises, hat sechzehn Zeichnungen geschaffen, in denen alle Plattheiten und Gemeinplätze des Hardboiled-Genres, die man sich nur denken kann, ihren Platz finden: Schießereien, geheimnisvolle Briefe, die obligate femme fatale …

Er tut das mit zurückhaltendem Pinselstrich und ohne nennenswerte Details – und dennoch wirkt das alles vertraut, sieht man Szenen, die man sofort wiedererkennt, weil man sie in dieser Kombination eben schon tausendmal gesehen hat (und wahrscheinlich nicht gerade in den besseren „Tatort“-Folgen). Wenn es in einer Laudatio zu Mahler heißt, seine Figuren hätten normalerweise keine Augen, keine Ohren, keine Münder – aber zweifellos Charakter (Denis Scheck), so ist das hier genau andersrum: Augen, Münder, Nasen, alles irgendwie erkennbar; nur Charakter findet man in diesen Mahlers Mutwillen entstiegenen Pappkameraden keinen.

Dass es sich um bleiche Projektionsflächen handelt, ist dem Projekt – und nun kommt der zweite Clou – durchaus zuträglich: Hatten doch elf AutorInnen von Roßbacher bis Rammstedt, von Setz bis Stavaric die Aufgabe, aus den sechzehn Zeichnungen Mahlers ihre eigene „Story“ zu basteln und das Ganze mit eigenen Texten zu unterlegen. Kurzkrimis, so nennt das der Verlag im Klappentext, das Verbrechen oder gar dessen Lösung sind aber meist nur Nebensache.

Großartig meistert dieses Metier natürlich Mahler selbst: „Eines gleich vorweg. Das ist keine postmoderne Detective-Story, in der sich der Held selbst jagt. Und besser so. Macht einen Verdächtigen weniger.“ Was folgt, ist eine wunderschön zusammenhanglose Reihe von Genregemälden, die mitsamt ihren bis zum Exzess sinnentleerten Texten auch gut alleine dastehen könnten. Wenn im Comic gemeinhin das zählt, was zwischen den Bildern geschieht (was für Mahler ohnehin nur bedingt gilt), dann ist das keiner: Gar nichts geschieht hier nämlich, trotz Leiche, trotz Geschlechtsverkehrs, gar nichts.

Einen recht pragmatischen Weg, den stets drohenden Bildchenzerfall zu zähmen, findet unter den Mitstreitern Mahlers Simon Froehling. Sein „Beobachtungsprotokoll“ überträgt die fehlende Kohärenz gleich in eine Textsorte, in der Zusammenhang ohnehin eher die Ausnahme ist: in das Protokoll eines ahnungslosen Observierenden. Dort stehen dann ziemlich komische, weil in ihrer Lückenhaftigkeit höchst erklärungsbedürftige Sätze: „Bis 9.00 Uhr saß das Objekt gefesselt an seinem Küchentisch.“ – Nichts weiter. Am elegantesten, wenn es um das Konstruieren des genannten Zusammenhanges geht, ist wahrscheinlich der Ansatz von Clemens J. Setz: In „Der Tod ist ein Papagei“ reihen sich die Bilder zu einem Reigen an ätherischen Erinnerungsfetzen, die nicht gänzlich unironisch eine genregesättigte Vorgeschichte erzählen.

Während Dietmar Dath den einen oder anderen Schreibfehler inszeniert, um seinen durch Liebsentzug zum Bösewicht gewordenen Helden durch alle Bilder zu treiben (sehr witzige Story), erfinden Hanno Millesi und Tilmann Rammstedt schlicht einen neuen Protagonisten: Rammstedt macht ein Brieflein, das sich auf so manchem Bild findet, zum gesprächigen und nur vermeintlich treuen Kumpel des Helden, während bei Millesi die Dunkelheit zu seinem Gegenspieler wird. Der ist nämlich Schriftsteller, die Dunkelheit figuriert für seine Schreibblockade und wird so kurzerhand erschossen.

Nicht verwunderlich ist, nebenbei, dass unter den Händen so vieler SchriftstellerInnen die Detektivstory oft zum Schreibkrisen-Tagebuch wird: Neben Millesi noch bei Roßbacher, deren Held unaufhörlich Anfangssätze durchprobiert, oder bei Michael Stavaric mit seinem eher minder begabten Dichterhelden: „Blutbespritzt die Hosenbeine / denkt er an irgendeine Kleine … (was Rilke wohl von Bukowski hält?)“.

Aus allen möglichen Richtungen wird hier Hardboiled dekonstruiert, hoch amüsant und sehr originell. Zwar: Manches an dem ansonsten tollen Band kalauert schon recht wild, anderswo wirkt die Lustigkeit ein wenig bemüht. Trotzdem: Dem Luftschacht-Verlag kann man zu diesem Projekt nur gratulieren. Bitte mehr davon!

Nicolas Mahler Dick Boss
12 Stories.
Wien: Luftschacht, 2010.
230 S.; brosch.
ISBN 978-3902373625.

Rezension vom 11.11.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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