#Roman
#Prosa

Dichtersgattin

Mario Schlembach

// Rezension von Andreas Tiefenbacher

Immer schon kehren Hedwig und Hubert (90 und 85 Jahre alt und seit einem Feuerwehrfest vor 50 Jahren ein Paar) Österreich den Rücken, wenn Salzburg mit seinen Festspielen zum „Hollywood für Alpenfaschisten“ avanciert. Lieber schwitzen sie sich in Venedig zu Tode, als sich der „Dummheit und Stumpfsinnigkeit“ heimischen Sommertheaters auszusetzen. In diesem Jahr haben sie jedoch für die Biennale nur einen Tag Zeit, weil Hubert zu einem Begräbnis in sein „geliebtes Bauernkaff“ fahren muss.

Die beiden befinden sich im Österreich-Pavillon, in dem Hedwig die „Leichenstarre österreichischer Kunstlangeweile“ zu erkennen vermeint, die Menschen nicht mehr anzieht, um sie zu betrachten, sondern deshalb, weil man hinter dem Pavillon ungestört urinieren kann. Dementsprechend ist Österreich in Venedig, das während der Biennale zu einer einzigen Bühne der „Künstlichkeit“ verkommt, nicht als „Kulturnation“, sondern als „Bebrunznation“ vertreten, – findet zumindest Hedwig. Sie und ihr Mann sind das, was man gemeinhin unter Kulturmenschen versteht.

Schon als Kind hat sie „von der Hochkultur kosten“ können, während er (vom Vater zu Dorffesten geschleppt, wo er erste Erfahrungen mit Bier macht) warten muss, bis ihn Hedwig aus dem Dorf befreit und in alle Sitten und Gebräuche der Stadt einführt, unter anderem auch in die Kultur des Essens, nachdem sein Spektrum über „ein Trumm Speck“ nicht hinaus reicht.

Für seine „Unbildung“ schämt sich Hubert natürlich und lässt sich bereitwillig von Hedwig, mit der er als typisch österreichischer „Verschweiger“ sowieso kein einziges Mal gestritten hat, in die Gesellschaft und in die Hochkultur einführen. Die ersten Jahre reisen sie durch die Welt. Dabei gelingt es ihr, aus dem „ungebildeten Einsiedler“ einen Kosmopoliten zu machen. Dennoch rennt er ein Leben lang dem Wissen hinterher, ohne es auch nur ein einziges Mal einholen zu können.

Genauso wenig führen seine vor Naivität und Lebensromantik strotzenden Schreibversuche zu einem „großen Wurf“. Hedwig versucht dennoch mit aller Entschlossenheit die „Hebamme“ seines Werkes zu sein. Durch das Erbe ihrer Familie bietet sie ihm nicht nur finanziellen Rückhalt für ein unbeschwertes Künstlerleben, sie richtet ihm auch einen idealen Arbeitsraum ein und unternimmt alles, um ihn „für den Mythos eines Großdichters“ fit zu bekommen. Er hätte nur schreiben müssen. Aber selbst auf ihre Drohungen hinauf, ihn zu verlassen, zu erschlagen, ja sich gar umzubringen, passiert nicht viel, denn Hubert ist eben bloß „ein Experte des Todes (…) und ein Amateur des Lebens“, weshalb er sich in eine absolut kunstlose Existenz flüchtet und eine Arbeit als „Arrangeur der Bestattung Wien“ annimmt.

Anstatt „einer der größten Nachkriegsdichter“ zu werden, macht er sich zum Sklaven des Todes, verschwendet seine Lebenszeit mit der Planung von Begräbnissen (vor allem des seinen) und verstrickt sich in einen „Todesagon“. Seine Schriften geraten zu dessen „Fußnoten“, ja entpuppen sich als „eine einzige Suderei“ und „Literaturkaraoke“.

Ein wenig „Literaturtkaraoke“ betreibt auch der Autor. Streckenweise liest sich der in den Mund einer alten Frau gelegte Endlosmonolog aber sehr amüsant, zumal die enttäuschten Erwartungen, nicht Muse und Dichtersgattin sein zu können, sich bei Hedwig in blanken Hohn und Verachtung wandeln. Sie lösen einige Rundumschläge aus, die in ihrer Drastik (sei es etwa „über den Verfall der österreichischen Kultur“ oder Huberts „Todesromantik“) zwar nicht ganz klischeefrei, aber zumindest eine gewisse Schrägheit freizuschaufeln imstande sind. Mitunter kommen einem die Attacken auf bekannte Größen und Repräsentanten der österreichischen Kunst- und Kulturlandschaft, die Elfriede Jelinek als „Schreibfurie“ und Thomas Bernhard als „Straßenköter der Sprache“ oder österreichische Künstler generell als „verweichlichte Scheinakrobaten“ ausweisen, die „an Lächerlichkeit nicht zu überbieten“ sind, weil sie nur „infantile Lästerungen“ herausbringen, von ihrer Tonlage her deutlich bekannt vor.

Das tut dem Lesevergnügen allerdings keinen Abbruch. Der aufmüpfige Sound des Romans, der sich nicht scheut, mit gängigen Klischees zu hantieren (etwa der Wichtigkeit, „den richtigen Titel“ zu haben oder der Meinung, dass das Leben auf dem Land hauptsächlich aus „Arbeit und Betäubung“ besteht und jeder, der „einen Schaas (…) in die falsche Windrichtung“ setzt, sich gefallen lassen muss, „die Heimat beschmutzt“ zu haben), lässt durch seine spontane Wechselhaftigkeit nie Langeweile aufkommen. Seitenhiebe auf die heutigen Autoren, die „jeden unverdauten Dreck“ publizieren, dem statt Dichtung und Poesie bloß „abscheuliche Befindlichkeitsliteratur“ zu sein gelingt, gerieren sich als kleine Boshaftigkeiten, die über ihr originelles Sprachgewand einiges an therapeutischer Wirkung zu entfalten vermögen, andererseits aber nicht gefeit davor sind, als plattitüdenhafte Abkupferungen missverstanden zu werden.

Genaueres Hinsehen allerdings hilft, Mario Schlembachs Roman in seiner exaltiert zur Schau gestellten, tiradenhaften Kritiklastigkeit als recht ungewöhnliches Aufmunterungsbuch zu identifizieren, wo Hedwigs Abscheu vor der „zwanghaften Originalität“ statt kopfschüttelnder Genervtheit freudiges Schmunzeln auszulösen versteht.

Dichtersgattin.
Roman.
Salzburg: Otto Müller Verlag, 2017.
227 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-7013-1249-8.

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Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 08.05.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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