#Sachbuch

Dichterdarsteller

Robert Leucht, Magnus Wienland (Hg.)

// Rezension von Martin Sexl

Nicht erst der Poststrukturalismus hat den Autor für tot erklärt, auch schon Formalismus, Strukturalismus, Marxismus, Psychoanalyse oder Diskursanalyse artikulierten Skepsis gegenüber Konzepten, die von Individualität und Schöpferkraft des schreibenden Subjekts ausgingen. Sie taten dies mit gutem Grund: Das Subjekt (als »sub-iectum«, als das »Daruntergeworfene«) ist nicht Herr im eigenen Haus, um an ein Diktum von Sigmund Freud zu erinnern, sondern ist ein Produkt von Diskursen, die seine Identität als Subjekt bestimmen: seien es nun die Strukturen unserer Sprache, Eigentumsverhältnisse, gesellschaftliche Wirkkräfte, das Zusammenspiel von Bewusstsein und Unbewusstem, Blickregimes oder Geschlechterverhältnisse – bzw. alles zusammen. Und natürlich ist auch die Bedeutung eines Textes nicht in diesem selbst zu finden, sondern wird erst innerhalb von sozialen Kon-Texten generiert.

Dass »Der Tod des Autors« mit Roland Barthes‘ gleichnamigem Artikel sowie mit Michel Foucaults »Was ist ein Autor?« einen wirkmächtigen Ausdruck gefunden hat, mag sein, aber doch lässt der vorliegende von Robert Leucht und Magnus Wieland herausgegebene Sammelband den beiden 1967 und 1969 erschienenen Texten fast zu viel der Ehre angedeihen, wenn er sie dafür verantwortlich macht, dass die »Kategorie des Autors vom Ende der 1960er-Jahre bis etwa 2000 kaum zum Gegenstand literaturwissenschaftlicher Debatten« (S. 9) gewesen sei. Denn erstens formulierten den literaturwissenschaftlichen Zweifel am Autor, wie gesagt, viele unterschiedliche Theorieentwicklungen (und dies nicht erst seit den 1960er-Jahren), zweitens blieb der Autor trotz der genannten Theorien auch in den drei Jahrzehnten vor 2000 immer eine zentrale Instanz der literaturwissenschaftlichen Praxis (wobei die beiden Herausgeber dies in ihrer Einleitung durchaus anklingen lassen), d.h. etwa der Edition oder Analyse literarischer Texte, und drittens verdeckt der radikale Titel des Textes von Barthes, dass dieser den Urheber ›nur‹ als Instanz der »Erklärung eines Werkes« (so Barthes im O-Ton) sowie als Instanz der Sinnproduktion beeinspruchte und die Rückführung aller Lektüren auf den Schöpfer als Mythos entlarvte. (In seinem Beitrag über Peter Handke erinnert Karl Wagner mit Ottmar Ette auf S. 189 im Übrigen daran, dass der berühmte Text von Roland Barthes »in einem amerikanischen Magazin erschienen ist, in dem sich Künstler und Schriftsteller wie Marcel Duchamp, John Cage, Alain Robbe-Grillet mit der Frage befassten, ob und wie Hochkultur und Massenkultur, hohe Kunst und die popular arts zu versöhnen seien.«)
Der Band möchte nun »Ansätze liefern, um das von der Literaturwissenschaft phasenweise tabuisierte Arbeitsfeld der Autor-Werk-Relation neu zu bewerten« (S. 8). Allerdings tritt er nun keineswegs an, um den Autor nach alter positivistischer oder hermeneutischer Manier wieder in sein Recht als Herr über seinen Text zu setzen (in welcher Form auch immer dieser Herrschaft gedeutet werden mag) – und die Autor/innen des Bandes würden der These vom Schöpfer als Mythos wohl durchaus zustimmen. Vielmehr versuchen die Beiträge ausgehend vom »Konzept der biographischen Legende von Boris Tomaševskij« (S. 7) aufzuzeigen, wie »schriftstellerische (Selbst-)Darstellungspraktiken prinzipiell als literarische Praktiken« (S. 8) aufgefasst werden können und wie diese Praktiken die Produktion von Bedeutungen eines Werks steuern. Dafür ein Konzept zu verwenden, das vor nahezu 100 Jahren formuliert wurde, vermag auf den ersten Blick zu erstaunen, allerdings gelingt es den Herausgebern und den Autor/innen (die sich erfreulicherweise alle explizit an diesem Konzept abarbeiten und somit dem Sammelband Kohärenz verleihen) in überzeugender Weise herauszuarbeiten, dass Tomaševskij eine auch heute noch gültige Erklärung für autorbezogene Selbst- und Fremdinszenierungen bereitstellt und dass auch – oder gerade! – in Zeiten von »Websites, Weblogs, Facebook oder Twitter« (S. 8) die einen Text begleitenden Praktiken (und die reichen von der Homepage eines Autors oder einer Autorin über Dichterlesungen bis zu Preisverleihungen, die im Fernsehen übertragen werden) das Werk von Autor/innen nicht nur flankieren und seine Verbreitung vorantreiben, sondern auch dessen Lektüren beeinflussen. Aus der Sicht des Rezensenten wäre vielleicht auch eine von Foucault inspirierte Diskursanalyse in der Lage gewesen, schriftstellerische Inszenierungsstrategien und die Steuerung von Lektüreprozessen zu erklären, allerdings ist es dem Band hoch anzurechnen, dass er ein Konzept und eine Terminologie fruchtbar macht, die in den Literaturwissenschaften nur wenig bekannt sind.
In der überzeugenden Einleitung, die durch klare Argumentation, kenntnisreiche terminologische Erklärungen, umfangreiche Kontextualisierung und viel (zusätzliches) Material besticht – und selbst für diejenigen, die ›nur‹ an Boris Tomaševskij und am Russischen Formalismus interessiert sind, eine hochspannende Lektüre darstellt –, machen die beiden Herausgeber klar, dass es nicht um den Autor geht, sondern um den Autor als öffentliche Figur. Diese wird in der Folge und im Gegensatz zu von Pierre Bourdieus Feldbegriff inspirierten Untersuchungen, die »das öffentliche Erscheinungsbild des Autors […] als das Ergebnis von Strategien der Selbstpositionierung in einem durch Distinktionsgewinn charakterisierten ›literarischen Feld‹ auffassen«, als »die persona des Schrifstellers« konzipiert, die im Sinne der Etymologie von persona (Maske) als »ästhetische Konstruktion« verstanden wird (S. 10). In anderen Worten: Die persona ist eine Kategorie des literarischen Werks bzw. der Werkerläuterung, und in den Sinnhorizont eines literarischen Textes sind Fremd- und Selbstdarstellung von Autor/innen immer schon integriert. Diese Darstellungen sagen uns also weniger über die Urheber/innen von Texten (S. 13), sondern erzählen uns von Bedeutungsfeldern der Literatur. Den einzelnen Beiträgen des Bandes geht es nun darum, die »Rückkoppelungseffekte« (S. 20) zu untersuchen, die zwischen Werk und Inszenierung (von Werk und Urheber/innen) entstehen und niemals gänzlich kontrolliert werden können, wie geschickt und geplant auch immer Vermarktungsstrategien in Szene gesetzt werden mögen. »Es geht also nicht darum, biografische Spuren im Werk eines Autors nachweisen zu wollen, sondern darum, die literarischen Verfahren bei der Evokation einer öffentlichen Autorenfigur und deren Bedeutung mit Blick auf das literarische Werk zu beschreiben.« (S. 33)
Dass in Zeiten medialer Hypes und hysterisch vorgetragener Scheinkritik (»bad news are good news«) biographische Legenden Kanonisierungsprozesse und hegemoniale Verhältnisse eher stützen als unterlaufen, ist klar, und leider tappt der Sammelband selbst ein wenig in diese Falle biographischer Legenden: Mit der Ausnahme der beiden Beiträge von Christoph Steier über »Ästhetik und Funktion des Klagenfurter Autorenporträts im 21. Jahrhundert« und von Evelyne Polt-Heinzl über »Gerüchtefiguren, Sonderabteile und brüchige Selbstentwürfe. Modellierungsoptionen für Dichterinnen« stellen die Beiträge jeweils einen (!) Autor (!) ins Zentrum. Hier rächt sich vielleicht, dass man in der Konzeption des Bandes Michel Foucault oder auch Judith Butler unberücksichtigt gelassen hat, denn Diskursanalyse oder Gender Studies würden ein Instrumentarium zur Verfügung stellen, das machtgestützte Prozesse der Identifikation und Differenzierung adäquater analysieren kann als personenzentrierte Analysekategorien. Und letztlich sind es auch nur die beiden genannten Beiträge, die dezidiert deutlich machen, dass Bedeutung in Zuschreibungsprozessen generiert wird, die immer in ein System von Praktiken der Macht und der Ohnmacht verortet sind, in dem Akteure/innen nicht denselben Spielraum zur Verfügung haben. Einfluss, Erfolg oder Identität wird immer durch Abgrenzung und Differenz zu etwas anderem hergestellt, und die Deutungshoheiten sind dabei ungleich verteilt.
So wird das weibliche Subjekt des Schreibens immer noch über und durch den männlichen Blick generiert, was in der Verteilung der ›Rollen‹ (Beiträge) im Sammelband reproduziert wird: Eine Gruppe von Schriftstellerinnen im fünften Beitrag des Bandes ist ›umstellt‹ von Autoren – Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann, Franz Kafka und B. Traven in den Beiträgen 1-4 sowie Thomas Bernhard, Peter Handke und Bret Easton Ellis in den Beiträgen 6-8 –, die im Übrigen (mit der einen oder anderen Ausnahme) wohl nicht an einem Mangel an (männlichem) Selbstbewusstsein und Stolz litten bzw. leiden. (Welchen Ort die legendenumwobenen Anti-Legenden im Literaturbetrieb einnehmen – man denke nur an Thomas Pynchon –, wäre im Übrigen auch noch ein spannende Frage.) Der Satz von Maria Ebner-Eschenbach, der einem der Beiträge vorgeanstellt ist, spricht daher auch für sich: »Auf den Eisenbahnen in Amerika giebt es einen Waggon für die Neger. In den Büchern über Litteraturgeschichte giebt es ein eigenes Kapitel für Frauen.« (S. 135)
Das beeinträchtigt jedoch weder die Fruchtbarkeit des Konzepts von Boris Tomaševskij noch die durchwegs hohe Qualität der einzelnen Beiträge. Anna-Katharina Gisbertz fragt nach »Lektüre und Legendenbildung beim frühen Hofmannstahl« (S. 35), der vor allem durch umfangreiches Briefschreiben die Deutungshoheit über sein Werk zu behalten versuchte. Katrin Bedenig analysiert »Thomas Mann als Dichterdarsteller« (S. 63) und zeigt dabei auf, wie erfolgreich der Autor seinen eigenen Ruhm vermehrte, in dem er (vor allem durch die geschickt platzierten Fotografien sowie die zahlreichen Interviews, die er – vielfach im Kreise der Familie – gewährte) meisterhaft Bescheidenheit vortäuschte und dabei gleichzeitig durch gezielte Interventionen gekonnt die Kontrolle über sein öffentliches Image behielt.
Ulrich Stadler (S. 91) belegt anhand von Franz Kafka und dessen Roman »Der Process« nicht nur, dass man es unter Umständen sogar mit mehreren Autor-Legenden zu tun hat (S. 92) – in dem Falle deshalb, weil die Überlieferungsgeschichte durch das Wirken von Max Brod eine ganz besondere war und ist –, sondern dass diese Legenden sogar zu einem erstaunlichen Neologismus geführt haben, nämlich zur Bildung des Adjektivs »kafkaesk«. Jan-Christoph Hauschild untersucht »B. Travens Selbstinszenierung als Abenteuerschriftsteller« (S. 111) und geht dabei dem geschickten Spiel des deutschen Autors mit »Biografieboykott« (S. 114), Pseudonymen und mit bewusst inszenierter »Namenlosigkeit« (S. 113) nach, das auch noch die gegenwärtige Literaturwissenschaft beschäftigt und irritiert.
Evelyne Polt-Heinzl thematisiert die Beschränkungen, denen Schriftstellerinnen von Bettina von Arnim und Helene von Druskowitz über Vicky Baum, Mascha Kaléko und Ingeborg Bachmann bis Elfriede Jelinek und Gisela Elsner unterlagen und immer noch unterliegen, und zeigt dabei, dass schreibende Frauen besondere Strategien der Durchsetzung im Literaturbetrieb entwickeln müssen, weil sie – ohne »an Traditionslinien und prestigemäßige Akkumulation« anknüpfen zu können (S. 154) – nicht alleine Medien, Markt und Konkurrenz ausgesetzt sind, sondern abschätzenden Deutungen und abwertenden Blicken.
Franz M. Eybl (S. 157) und Karl Wagner (S. 175) beschäftigen sich mit zwei Großmeistern des »unfreundlichen Auftritts« (S. 175), nämlich mit Thomas Bernhard und Peter Handke, wobei bei beiden jene ›Anekdoten‹ in den Blick genommen werden, die zum öffentlichen Bild des jeweiligen Autors entscheidend beigetragen haben: Bei Bernhard war es vor allem der »Staatspreisskandal« von 1968, bei Handke der berühmte Auftritt von 1966 beim Treffen der Gruppe 47 in Princeton. Hanjo Berressem (S. 191) erklärt anhand der Twitter-Einträge von Bret Easton Ellis, »dass die neue, digitale Medienökologie es mehr und mehr unmöglich macht, eine […] bewusste, kohärente Performanz [Anm.: der eigenen biographischen Legende] aufrechtzuerhalten« (S. 191) – »genauestens geplante Inszenierungen [sind] in der heutigen Medienökologie unmöglich geworden« (S. 196). Warum ausgerechnet Lindsay Lohans Twitter-Einträge die Kontrastfolie darstellen und damit Vorurteile über dumme, blonde Frauen bedient werden, bleibt in dem ansonsten sehr erhellenden Beitrag allerdings im Dunkeln.
Im letzten (und bereits genannten) Beitrag von Christoph Steier (S. 205) wird der »Chronotopos des Bachmann-Preises« (S. 208) analysiert, wobei die Lesungen der Autor/innen, die Verleihung der Preise und jene Videoporträts, mit denen die Autor/innen vor den Lesungen jeweils vorgestellt werden, zusammengespannt werden. Steier erstellt aus gut 200 analysierten Videoporträts eine Typologie von »Autor-Text-Figurationen«, wobei es ihm gelingt zu zeigen, dass »in Klagenfurt weder Texte noch Autoren, sondern die Institution des Wettbewerbs als diskursive Produktionsstätte eben dieser Autor-Text-Figurationen« ausgezeichnet werden (S. 209).
Ein Résumé der beiden Herausgeber, in denen die Beiträge noch einmal zusammengefasst werden, steht am Ende des Bandes. Mit der offen bleibenden Frage nach den Auswirkungen der biographischen Legende auf den Werkbegriff schließt der Band – es bleibt also noch einiges zu tun, und man ist gespannt auf eine Fortführung dieses gelungenen und wissenschaftlich ertragreichen Buches.

Robert Leucht, Magnus Wienland (Hg.) Dichterdarsteller
Fallstudien zur biographischen Legende des Autors im 20. und 21. Jahrhundert
.
Göttingen: Wallstein, 2016.
237
S.; brosch.
ISBN 978-3-8353-1821-2.

Rezension vom 01.06.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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